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Menschen ohne Wohnung benötigen in Corona-Zeiten besonderen Schutz

Der neuartige Coronavirus COVID-19 legt das öffentliche Leben fast vollständig lahm. Um die Ausbreitung zu verlangsamen, fordern staatliche Stellen von ihren Bürger*innen einen weitgehenden Rückzug in die eigenen vier Wände. Dies ist für Menschen ohne Wohnung nicht möglich. Damit aber auch sie bestmöglichen Schutz erfahren können, benötigen sie öffentlich zur Verfügung gestellte Rückzugsmöglichkeiten.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) macht in einem Forderungspapier deutlich, dass Menschen die wohnungslos oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind, angesichts der grassierenden Corona-Epidemie besonderer Aufmerksamkeit und Hilfe bedürfen. Dies liege zum einen daran, dass Menschen, die dauerhaft ohne festen Wohnsitz leben, signifikant häufiger unter Vorerkrankungen leiden und bei ihnen somit die Wahrscheinlichkeit für einen schweren Krankheitsverlauf deutlich erhöht ist. Zum anderen sorge die Wohnungslosigkeit dafür, dass sich die Betroffenen nicht einfach in 'häusliche Quarantäne' begeben könnten. „Viele wohnungslose Menschen gehören zur Risikogruppe, haben aber keine Chance soziale Kontakte zu reduzieren und Schutz durch den Rückzug in die eigene Wohnung zu finden“, bringt es Werena Rosenke, Vorsitzende der BAGW auf den Punkt.

BAGW fordert Stopp von Zwangsräumungen

Eine weitere besonders gefährdete Gruppe sind Menschen, die durch eine anstehende Zwangsräumung bedroht sind. In der jetzigen Situationen sind Zwangsräumungen nicht nur aus humanitären Gründen höchst fragwürdig. Werena Rosenke weist darauf hin, dass sie mit Blick auf die Verbreitung des Virus sogar einen kontraproduktiven Effekt zur Folge haben könnten. Denn aufgrund der ohnehin schon extrem hohen Auslastung der Notunterkünfte könnten dort nicht annähernd die erforderlichen Maßnahmen zur Vermeidung von Ansteckungen getroffen werden, denn eine Reduzierung sozialer Kontakt sei dort schlicht „nicht möglich“, so Rosenke.

Unzureichende Mittelausstattung könnte sich jetzt rächen

Die BAGW weist zudem auf die spezielle Situation bezüglich der medizinischen Versorgung von Menschen ohne festen Wohnsitz hin. Dadurch, dass viele Betroffene nicht krankenversichert sind, war es für sie bereits vor Beginn der Corona-Krise schwierig, eine ausreichende medizinische Versorgung zu erfahren. Aufgrund der Corona-Epidemie sei nun nicht mehr sichergestellt, dass alle niedrigschwelligen Versorgungsangebote aufrechterhalten werden können. Grund hierfür ist laut Rosenke, dass die chronisch unterfinanzierten Angebote sehr stark von der Mitarbeit freiwillig engagierter Pfleger*innen und Ärzt*innen abhängig seien. „Wir wissen nicht, wie viele der Ehrenamtlichen in dieser Krise weiter zu Verfügung stehen“, erklärt Rosenke. „Viele von ihnen sind Ärzte und Pflegekräfte im Ruhestand, also Menschen, die aufgrund ihres Alters selbst zu einer durch das Coronavirus besonders gefährdeten Personengruppe gehören.“ 

Fünf Maßnahmen zur sofortigen Umsetzung

Aufgrund der besonderen Situation fordert die BAGW fünf Sofortmaßnahmen, damit die drohende Notlage der wohnungslosen bzw. von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen verhindert werden kann. Hierzu zählen:

  1. Die sofortige Aussetzung von Zwangsräumungen aus Wohnraum,
  2. kommunale Maßnahmen zur Beschaffung von Wohnraum, um besonders vulnerable Gruppenvon Wohnungslosen den Rückzug in Wohnungen zu ermöglichen,
  3. eine ununterbrochene Öffnung von ordnungsrechtlichen Unterkünften oder Notunterkünften. D.h. Wohnungslose sollten auch tagsüber in den Unterkünften verbleiben dürfen, damit sie sich nicht in häufig stark frequentierten Wohnungslosentagesstätten oder im öffentlichen Raum aufhalten müssen,
  4. die Akquise zusätzlicher Räumlichkeiten durch die Kommunen, z.B. geeignete Gewerbeimmobilien, um die Belegungsdichte in Notunterkünften zu reduzieren, und
  5. die Einrichtung zusätzlicher Tagesaufenthalte, um Ausweichmöglichkeiten zu schaffen und der oft drangvollen Enge in solchen Einrichtungen zu begegnen.

Rosenke fasst zusammen: „Bei den vom Robert Koch Institut und der Bundesregierung geforderten Anstrengungen zur Reduzierung von sozialen Kontakten und zu verstärkten hygienischen Maßnahmen mit dem Ziel der Vermeidung von Infektionen im privaten, beruflichen und öffentlichen Bereich dürfen die wohnungslosen Menschen und die vielen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden in den Hilfeeinrichtungen nicht vergessen werden.“