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Wohnen – gemeinsam?! Zum Leben, Wohnen, Füreinander-Sorgen in gemeinschaftlichen Wohnprojekten

Am 17.11.2022 fand im Rahmen eines Online-Formats die Abschlussveranstaltung des WellCare-Teilprojekts der Frauenakademie München statt. Zusammen mit der OTH Regensburg bilden sie den Forschungsverbund WellCare. Unter dem Titel „Gutes Leben – Gutes Care: Innovative Sorgestrukturen und konkrete Praxis sozialräumlich verankern“ werden gemeinschaftliche Wohnformen und Wohnprojekte erforscht und wie die darin lebenden Menschen sich umeinander kümmern. Teilnehmende der Veranstaltung waren neben Bewohner:innen gemeinschaftlicher Wohnprojekte Personen, die beruflich damit zu tun haben so wie Interessierte.

 

Das Forschungsprojekt WellCare

In einem ersten Vortrag wurden der Projektaufbau, die Hintergründe und die Methode dargestellt. Das Teilprojekt der Frauenakademie München „Gemeinsam wohnen – füreinander sorgen. Eine Untersuchung zu selbstverwalteten, genossenschaftlichen und kommunalen Wohnprojekten“ untersucht Praktiken, Tätigkeiten und Deutungsmuster von gemeinschaftlichem Wohnen. Im Gegensatz zu dieser Mikro-Ebene von Alltagspraktiken in gemeinschaftlichen Wohnformen forscht das Teilprojekt der OTH Regensburg auf der Ebene kommunalpolitischer Diskurse.

Diese Alltagspraktiken gemeinschaftlicher Wohnformen werden besonders unter dem Aspekt von Care und geschlechtsstrukturierenden Prozessen betrachtet. Care umfasst Sorge und Sorge-Arbeit für sich oder andere, die nicht selbst für sich sorgen können, z. B. Kinder oder Pflegebedürftige. Doch genau hierbei gibt es eine große Lücke, weswegen man auch von der Care-Krise sprechen kann: Der Care-Bedarf übersteigt das Angebot bei Weitem. Dabei handelt es sich sowohl um bezahlte, berufliche Care-Arbeit (z. B. Pfleger:innen) wie auch unbezahlte Care-Arbeit (z. B. Haushalt oder Kindererziehung), welche nach wie vor zum Großteil von Frauen übernommen wird. Genau an dieser Thematik setzt das WellCare-Projekt an: Während der Wohlfahrtsstaat im Sinne einer Subsidiaritätslogik zuerst die Familie für Care verantwortlich macht, stellten sich die Forscherinnen die Frage, ob kollektive Wohnformen eine subsidiäre Gemeinschaft bilden können – unabhängig von klassischen Kleinfamilien?

Datenerhebung

Die Datenerhebung erfolgte mittels 25 (online gestützten) Interviews mit Bewohner:innen und/oder Expert:innen sowie teilnehmenden Beobachtungen in Wohnprojekten. Auf Grund von zum Teil Corona-bedingten Beeinträchtigungen wurde eine an „Photovoice“ angelehnte Methode entwickelt. Bewohner:innen machten Fotos auf bestimmte Fragen hin, wie z. B. nach dem Lieblingsplatz im Haus.

Ergebnisse

Der nächste Input stellte die bisher erlangte Ergebnisse des Forschungsprojektes dar, welche im Folgenden kurz dargestellt werden.

  • Der Care-Begriff kann erweitert gesehen werden, da räumliche Komponenten Care beeinflussen können, indem beispielsweise räumliche Arrangements Gemeinschaft stärken oder das gemeinsame Kümmern um ein Haus ein „Wir-Gefühl“ stiften kann. Denn Care und Gemeinschaft stehen sich wechselseitig gegenüber: Für Care braucht es eine andere Person und wiederum ein Gemeinschaftsgefühl entsteht wesentlich darüber, dass sich umeinander gekümmert oder einer gemeinsamen Aufgabe nachgegangen wird.

  • Wohnprojekte können auch als Demokratieschule fungieren. Die meist benötigte Selbstorganisation von Wohnprojekten führt dazu, dass individuelle Entscheidungsstrukturen geschaffen werden müssen, es kann eine Art Mikro-Kosmos entstehen. Dadurch können Konfliktbewältigung, Debattieren und Argumentieren oder die Akzeptanz gemeinsam erarbeiteter Regeln erlernt werden.

  • Auch der geteilte Umgang mit Ressourcen, sowohl materiellen
    als auch immateriellen, kann beim Zusammenleben gefördert werden. Es entsteht eine sogenannte Sharing Economy.

  • Wie bereits eingangs dargestellt, hängt Wohnen mit Geschlecht zusammen. Tendenziell wohnen mehr Frauen als Männern in gemeinschaftlichen Wohnformen, dies kann auch ökonomischen Gründen, wie Altersarmut geschuldet sein. Nichtsdestotrotz stellt sich ein schillerndes Gesamtbild dar, was das Thema Geschlechtergerechtigkeit angeht. Care ist auch in den meisten untersuchten Wohnprojekten noch großteils weiblich, dennoch gibt es Aufbruchstendenzen und gemeinschaftliche Wohnformen können eine Lebensform abseits heteronormativer Raster bieten.

Wohnprojekte schaffen Möglichkeitsräume. Gerade beim Thema Care werden in jedem der Projekte eigene Dynamiken sichtbar, welche klassische Geschlechterverteilungen auflösen und dadurch für mehr Gerechtigkeit sorgen können. Dies geschieht jedoch nicht automatisch, sondern läuft über Prozesse, Strukturen und Verfahren.

Workshops

Im Anschluss an den Input fanden drei parallele Workshops statt. Der Workshop von Katrin Roller beschäftigte sich mit der Frage, wie man (im Alter) leben will und wie sich gemeinschaftliche Wohnprojekte als fürsorgende Gemeinschaft verstehen. Dabei ging es insbesondere um die Fragen, wie eine wechselseitige Übernahme von Care funktionieren kann und wer sich wann um wen kümmert. Ausgehend von den Ergebnissen wurde festgestellt, dass eine wechselseitige Übernahme von Care nur möglich ist, wenn gegenseitiges Vertrauen herrscht, da sich die Personen untereinander kennen. Auch die Rolle des Wohlfahrtstaates in Bezug zur Care-Frage wurde beleuchtet: Wann sollten staatliche Institutionen eingreifen und was sollte durch staatliches Handeln unterstützt werden?

Der zweite Workshop von Sophia Hiergeist behandelte das Thema der Sharing Economy in Wohnprojekten. Das Hauptaugenmerk lag auf der Frage: Was teile ich mit anderen und was nicht? Neben Informationen zur Sharing Economy im Allgemeinen sowie in Wohnprojekten wurde anhand der Daten dargestellt, welche Ressourcen Menschen in gemeinschaftlichen Wohnprojekten teilen. Dabei ging es von gemeinsam genutztem Werkzeug, Gruppenräumen, Lastenfahrrädern bis hin zu geteiltem Care für Kinder, indem beispielweise die Kinder von einer Person in den Kindergarten gebracht wurden.

Sandra Eck beschäftigte sich in ihrem Workshop mit der Frage nach Geschlechter(un)gleichheit und Rollenvorstellungen in Wohnprojekten und ob diese eine Alternative zur klassischen Kleinfamilie bilden können. Eine Darstellung der Ebenen von Geschlechter(un)gleichheit zeigt, auf welchen Ebenen Geschlechtergerechtigkeit herrscht und wo nicht. So bieten Wohnprojekte auf einer Identitäts-/Subjektebene vielmehr die Möglichkeit einer gelebten nicht-hegemonialen Männlichkeit, als beispielsweise in der klassischen Kleinfamilie. Dennoch sind (Care-)Praktiken noch ungleich verteilt, auch wenn ein sozialer Wandel spürbar ist.

Ausblick

Es gibt bereits einiges an Forschung über Wohnen: Aus architektonischer Sicht, aus geschichtlicher Perspektive oder quantitativ betrachtet, wie viel Wohnraum zur Verfügung steht. Weiterhin beschäftigten sich Personen mit der Soziologie des Wohnens oder welche Bedeutung Wohnen für unterschiedliche Gruppen haben kann. Dabei bleiben diese Forschungen jedoch meist leider nur in der eigenen Disziplin und ein weiter gefasster Blick oder die Verknüpfung zu anderen Sichtweisen fehlt. Die WellCare-Forscherinnen haben mit dem Projekt Wohnen als zentrales Grundbedürfnis der Menschen mit den Themen Care und Gender verknüpft. Eine Forschung an weiterführenden Fragestellungen, beispielsweise zu kulturellen oder ökonomischen Hintergründen der Bewohner:innen könnten weitere interessante Erkenntnisse liefern.

 

 

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