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Frage der Wohnform immer auch eine Frage der Macht

Pflegeheime stehen nicht selten in der Kritik: Im Alltagsstress würden die zu pflegenden Menschen nicht ausreichend angehört und ernst genommen, mitunter komme es zu Machtmissbrauch durch Pflegende. Da hört sich das Modell der angehörigengesteuerten Pflege-WG für Menschen mit Demenzerkrankungen erst einmal gut an. Doch auch hier bilden sich Machtstrukturen aus.

Diese Strukturen erforscht ein im Frühling gestartetes Forschungsprojekt an der Frankfurt Universtíty of Applied Sciences. Hintergrund ist die weithin bekannte Gefahr des Machtmissbrauchs, der sich Menschen in sogenannten "totalen Institutionen" ausgesetzt sehen. Diesen Begriff prägte der amerikanische Soziologe Erving Goffman in den 1970er-Jahren. Gemeint ist, dass Institutionen, z.B. Pflegeheime, die Interaktionen ihrer Bewohner mit der Außenwelt weitestgehend kontrollieren - oft auch aus nachvollziehbar-paternalistischen Motiven. Hierzu erklärt Prof. Dr. Klaus Georg Müller, Professor für Pädagogische Aufgaben in der Pflege, und Leiter des Frankfurter Forschungsprojekts: „Die klassische Heimversorgung ist kritisch zu betrachten, da sich dort Strukturen gemäß einer totalen Institution wiederfinden. Dieses Konzept geht von einer starken Ungleichheit von Macht zwischen den Akteuren aus, was sich in Gewalterfahrungen manifestieren kann. Eine Alternative zur stationären Versorgung kann eine Wohngemeinschaft für demenziell Erkrankte sein, die durch deren Angehörige selbst organisiert wird.“

Auf den ersten Blick also eine gute Alternative, doch bleiben auch bei diesem Modell die Demenzpatient*innen abhängig - und wo sich Abhängigkeiten zeigen, ist immer auch Machtasymmetrie festzustellen. Wie diese sich jedoch gestaltet und ob sie aus Betroffenensicht weniger bedenklich erscheint, ist bis dato nur wenig erforscht. „In diesem Betreuungstypus existiert die Institution wie im oben genannten Sinne möglicherweise nicht, es ergeben sich aber vermutlich andere Ausprägungsformen von Macht zwischen den darin lebenden und handelnden Akteuren“, weiß Projekmitarbeiter Sebsastian Reutzel. 

Wichtigstes Ziel des Forschungsprojekts sei die „Ausprägung einer bewussten Haltung bei den Akteuren". Diese müssten befähigt werden, ihr Handeln vor dem Hintergrund des vorliegenden Machtungleichgewichts kritisch zu reflektieren und den Bewohner*innen auf diese Weise ein möglichst autonomes Leben zu ermöglichen. Erkenntnise in dieser Hinsicht seien nicht nur für das beforschte Projekt selbst relevant, sondern für alle Wohnformen, in denen Menschen mit Demenzerkrankungen untergebracht sind; die Frage der Macht bleibt.

Mit Ergebnissen des Forschungsprojekts ist im Laufe des kommenden Jahres zu rechnen.