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Corona-Folgen: Weniger Kinder in stationärer Behandlung

Eine Studie der Uni Bielefeld im Auftrag der DAK hat ergeben, dass während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 deutlich weniger Kinder in stationärer Behandlung waren als im Vorjahr. Diese 'Corona-Delle' könnte vor allem mit Blick auf chronische Erkrankungen schwerwiegende Folgen haben.

Die Pandemie hat auch massive Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung von Minderjährigen. Der Lockdown im März und April 2020 führte zu einer spürbaren Corona-Delle bei den Krankenhausbehandlungen. Im Vergleich zum Vorjahr fiel fast jede zweite Operation von Kindern und Jugendlichen aus. Insgesamt gingen die Krankenhausfälle um 41 Prozent zurück. Das zeigt eine aktuelle und repräsentative Sonderanalyse der DAK-Gesundheit, die die Universität Bielefeld erstellt hat. Gründe für die Corona-Delle waren verschobene Behandlungen durch die Krankenhäuser und weniger Klinikbesuche aus Angst der Eltern vor Ansteckungen. Die stärksten Rückgänge gab es bei Infektionen, Verletzungen, Asthma und bestimmten psychischen Erkrankungen. Durch die Entwicklung erwarten Mediziner jetzt einen Anstieg von schweren Verläufen bei chronischen Erkrankungen von Kindern. DAK-Vorstandschef Andreas Storm sieht ein „deutliches Warnsignal“.

Im Rahmen der DAK-Sonderanalyse untersuchte die Universität Bielefeld die anonymisierten Krankenhausdaten von mehr als 750.000 Kindern und Jugendlichen im Alter von null bis 17 Jahren, die bei der DAK-Gesundheit versichert sind. Untersucht und verglichen wurden die ersten Halbjahre 2019 und 2020. Kernergebnisse: Im Corona-Lockdown März und April 2020 wurde fast jede zweite Operation bei jungen Patienten nicht durchgeführt (45 Prozent). Gleichzeitig ging die Zahl der Krankenhausfälle um 41 Prozent zurück. Dieser Effekt betraf alle Altersgruppen. 

„Im Frühjahrs-Lockdown wurden in den Krankenhäusern viele nicht dringende stationäre und ambulante Behandlungen drastisch oder vollständig eingestellt. Aus Angst vor Ansteckung wurden aber auch viele notwendige Untersuchungen nicht oder sehr spät durch die Eltern und Sorgeberechtigten veranlasst“, sagt Prof. Eckard Hamelmann, Direktor des Universitätsklinikums für Kinder- und Jugendmedizin der Universität Bielefeld. „Dies hatte zur Folge, dass wir vermehrt schwere und komplizierte Verläufe bei chronischen Erkrankungen, wie Diabetes melllitus, oder auch bösartigen Neuerkrankungen erleben mussten.“

„Die Corona-Delle bei den Kinder-Operationen und Behandlungszahlen ist ein deutliches Warnsignal“, betont Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. „Unser Gesundheitssystem muss Eltern und Kindern die Sicherheit geben, damit sie sich vertrauensvoll versorgen lassen können. Es darf nicht sein, dass notwendige Behandlungen aus Angst vor Ansteckungen verschoben werden. In der aktuellen Corona-Diskussion spielt die Kinder- und Jugendgesundheit eine zu geringe Rolle. Das müssen wir ändern, um langfristige Folgeschäden zu vermeiden.“

Experten bereiten vor allem die Rückgänge der Behandlungszahlen bei Asthma (minus 47 Prozent) und bestimmten psychischen bzw. sozialen Störungen (minus 35 Prozent) Sorgen. „Die dramatischen Behandlungsrückgänge bei ernsten Erkrankungen wie Asthma und psychischen Erkrankungen sind beunruhigend“, sagt Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte. „Wir müssen verstärkt untersuchen, welche Auswirkungen die Pandemie und die erheblichen Einschränkungen auf die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen haben.“

Bei den Kindern und Jugendlichen, die während des ersten Lockdowns stationär versorgt wurden, ging vor allem die Zahl der Infektionskrankheiten zurück. Ursache waren laut Analyse der Universität Bielefeld die Kontaktbeschränkungen für Kinder und Jugendliche, wodurch es zu weniger Ansteckungen kam. So wurden beispielsweise 64 Prozent weniger Fälle mit virusbedingten Darminfektionen behandelt. Bei Mittelohr- und Kehlkopfentzündungen betrug der Rückgang jeweils 44 Prozent. Auch Verletzungen wie Bänderverletzungen (minus 40 Prozent) und Gelenkschädigungen (minus 34 Prozent) gingen deutlich zurück. Bei ernsthaften Diagnosen wie Krebserkrankungen gab es keinen Rückgang.

Laut DAK-Sonderanalyse war die Versorgungssituation der Kinder und Jugendlichen in deutschen Krankenhäusern acht Wochen nach dem Lockdown wieder mit dem Vorjahr vergleichbar. Dabei gab es jedoch je nach Erkrankungsart Unterschiede. So wurden Atemwegs- und Infektionserkrankungen – vermutlich aufgrund der anhaltenden Kontaktreduzierungen – auch Ende Juni noch deutlich seltener als im Vorjahr im Krankenhaus behandelt. Bei psychischen Erkrankungen oder behandelten Verletzungen hatte sich die Situation hingegen schon unmittelbar nach dem Lockdown-Ende normalisiert. Die Universität Bielefeld sah in den vorliegenden Daten des ersten Halbjahrs noch keinen Nachholeffekt, rechnet aber damit für das zweite Halbjahr 2020. 

Im Untersuchungszeitraum Mitte März bis Mitte April wurde jeder zweite junge Patient auf COVID-19 getestet. Im Mai stieg die Anzahl der Corona-Tests stark an. Die Universität Bielefeld geht davon aus, dass die Testrate bei stationär behandelten Kindern und Jugendlichen heute bei nahezu 100 Prozent liegt. Im ersten Halbjahr 2020 wurden 9,1 Fälle je 1.000 hospitalisierten Kindern und Jugendlichen mit einer COVID-19-Diagnose dokumentiert. Zwischen der 12. und 26. Kalenderwoche lag der Anteil mit 17,8 Fällen je 1.000 Hospitalisierten deutlich höher.


Quelle: Pressemitteilung der DAK Gesundheit vom 14.12.2020