Mehrere Pflegekräfte blicken im Kreis herab
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Viele Aussteigerinnen zur Rückkehr bereit

Hunderttausende ehemalige Pflegekräfte können sich einen Wiedereinstieg vorstellen. Die Voraussetzung: deutlich bessere Arbeitsbedingungen.

Die Arbeitsbedingungen in der Pflege sind oft so schlecht, dass in den vergangenen Jahren reihenweise Beschäftigte ihren Job gekündigt oder ihre Arbeitszeit reduziert haben. Sollten sich die Bedingungen verbessern, könnten viele von ihnen zurückkehren. Mindestens 300 000 Vollzeit-Pflegekräfte stünden dann zusätzlich zur Verfügung, wie die Studie „Ich pflege wieder, wenn …“ zeigt. Die von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Untersuchung ist das Ergebnis einer Kooperation der Arbeitnehmerkammer Bremen, der Arbeitskammer im Saarland und des Instituts Arbeit und Technik an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen. Basis für die Hochrechnungen der Forscherinnen und Forscher ist eine bundesweite Online-Befragung, an der im vergangenen Jahr rund 12 700 ehemalige oder in Teilzeit beschäftigte Pflegekräfte teilgenommen haben.

Die Befunde zeigen, dass es viele Fachkräfte gibt, die in die Pflege zurückkehren oder ihre Stunden aufstocken würden, wenn bessere Arbeitsbedingungen, insbesondere bessere Personalschlüssel, in Aussicht stehen. Der Studie zufolge können sich die Hälfte der Teilzeitbeschäftigten und sogar 60 Prozent der Ausgestiegenen ein Aufstocken der Arbeitszeit beziehungsweise eine Rückkehr in den Beruf vorstellen. Daraus ergibt sich bei sehr vorsichtiger Kalkulation ein rechnerisches Potenzial von 302 000 Pflegekräften in Vollzeit, in einem optimistischen Szenario sogar von bis zu 661 000 Vollzeitkräften. Mehr als drei Viertel dieses Potenzials beruhen auf der Rückkehr „ausgestiegener“ Fachkräfte. 

Sehr wichtig ist für die Befragten, dass sich die Personalsituation verbessert und nach dem Bedarf der pflegebedürftigen Menschen richtet. Außerdem wünschen sie sich eine bessere Bezahlung und verlässliche Arbeitszeiten. Mehr Zeit für menschliche Zuwendung zu haben, nicht in unterbesetzten Schichten arbeiten zu müssen und verbindliche Dienstpläne sind für die Befragten weitere zentrale Punkte. Ebenso wünschen sie sich respektvolle Vorgesetzte, einen kollegialen Umgang mit allen Berufsgruppen, Begegnungen auf Augenhöhe mit Ärztinnen und Ärzten, eine vereinfachte Dokumentation und eine bessere Vergütung von Fort- und Weiterbildungen.

Nach der gewünschten Arbeitszeit gefragt, nennen Teilzeitkräfte im Mittel zehn Stunden mehr pro Woche, ausgestiegene Pflegekräfte könnten sich eine Rückkehr mit 30 Wochenstunden vorstellen. Die meisten würden in den Bereich zurückkehren, in dem sie bereits gearbeitet haben. Dies gilt besonders für ehemalige Beschäftigte im Krankenhaus und in der Psychiatrie. Aussteigerinnen aus den ambulanten Pflege- und Betreuungsdiensten wollen seltener in den früheren Bereich zurück.

Mehr Personal und höhere Tarifbindung

Was muss sich ändern in der Pflege? Aus Sicht der Studienverantwortlichen gibt es nicht das eine „Patentrezept“. Klar ist, dass es eine angemessene, am tatsächlichen Pflegebedarf ausgerichtete Personalbemessung geben muss. Zudem müssen Pflegekräfte entsprechend den hohen Anforderungen, die der Beruf mit sich bringt, entlohnt werden, vornehmlich in der Altenpflege. Die Tarifbindung muss gestärkt werden, um flächendeckend höhere Löhne zu erzielen.

Um Verbesserungen zu finanzieren, muss aus Sicht der Forschenden „sowohl die Pflege- als auch die Krankenversicherung auf stabilere Beine gestellt“ werden. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wäre eine Bürgerversicherung, die auch Beamte und Selbstständige einbezieht. Solange sich die Koalition im Bund darauf nicht einigen kann, ist mindestens ein Ausgleich nötig zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung – und eine Deckelung der Eigenanteile in der stationären Pflege. Angesichts der Löcher in den Kassen der gesetzlichen Krankenversicherungen braucht es zudem ausreichende Steuerzuschüsse.


Quelle: Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung: Böckler Impuls · 8/2022