Trotz schwerer Arbeitsbedingungen keine wirksamen Interessenvertretungen

Pflegekräfte in Deutschland sind kaum organisiert. Die wenigsten sind Mitglied in einer Gewerkschaft. Nur eines von zehn privaten Pflegeheimen hat einen Betriebsrat. Dabei gibt es viel, für das es sich zu kämpfen lohnt. So wünscht sich die Mehrheit der Beschäftigten in der Altenpflege weniger Zeitdruck, mehr Gehalt und selbstbestimmtere Arbeitszeiten. Warum die Interessenvertretung in der Wachstumsbranche Altenpflege bislang so schwach ausgeprägt ist, hat Wolfgang Schroeder, Fellow in der Abteilung „Demokratie und Demokratisierung" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professor an der Universität Kassel, untersucht.

Für seine Studie befragte Schroeder bundesweit 750 Beschäftigte in der Altenpflege und fand heraus, dass die Ursachen, warum sich Altenpflegerinnen und Altenpfleger nicht organisieren, vielfältig sind. Die Alten- und Krankenpflege steht noch immer in der Tradition eines wohltätigen „Liebesdienstes". Dieses Denkmuster macht es schwer, aus Pflegejobs „normale Arbeitsverhältnisse" zu machen und gemeinsam Rechte einzufordern, erläutert Wolfgang Schroeder. Knapp 70 Prozent sagten, sie erhielten die Wertschätzung für ihre Arbeit von den Patienten, aber nur 20 Prozent gaben an, dass ihre Arbeit von der Gesellschaft sehr geschätzt werde. Zu streiken bedeutet für 77 Prozent der Befragten, ihre Patienten im Stich zu lassen.

Die Branche sei zudem stark zerklüftet – in stationäre und ambulante Pflege, die verschiedenen Träger, gut ausgebildete Fachkräfte und angelernte Hilfskräfte. Die Ausbildung ist nicht einheitlich. Viele gelangen über Umwege in die Altenpflege und üben hier ihren Zweit- oder Drittberuf aus. Die Unterschiede bei Entlohnung, Arbeitsumfang und beruflicher Verweildauer sind entsprechend groß. „Das erschwert die Herausbildung eines kollektiven Selbstverständnisses, wie es zum Beispiel in der Industrie existiert", sagt Schroeder.

Eine wirksame Durchsetzung von Interessen scheitere aber nicht nur daran, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber in der Altenpflege bislang keine kollektiven Arbeitsbeziehungen entwickelt haben. Neun von zehn Pflegekräften sehen nicht den Arbeitgeber, sondern den Staat in der Verantwortung für die Verbesserung ihrer Arbeitssituation. „Richtig ist, dass der Staat die Bedingungen grundlegend verbessern sollte. Aber es braucht die kollektive Selbstorganisation in den Betrieben und durch die Gewerkschaften, um für die Beschäftigten etwas zu erreichen", sagt Schroeder. Nur so könne der Pflegeberuf aufgewertet werden.

In der Altenpflege gibt es zudem keine gewerkschaftliche Tradition. Das Berufsfeld hat sich in Deutschland, anders als in manchen anderen europäischen Ländern, fernab klassischer Formen der Interessenvertretung entwickelt. 81 Prozent der Befragten gaben an, noch nie durch eine Gewerkschaft angesprochen worden zu sein. Nur 11 Prozent der Befragten sind in einer Gewerkschaft, über die Hälfte hat noch nie über eine Mitgliedschaft nachgedacht. Gewerkschaften werden als Akteur der Veränderung kaum erkannt. Gerade weil ihnen die betriebliche Machtbasis fehlt, könnten die Gewerkschaften dann tatsächlich wenig bewirken. „Das ist ein Teufelskreis", sagt Studienautor Schroeder.

Die Studie Interessenvertretung in der Altenpflege. Zwischen Staatszentrierung und Selbstorganisation ist als Buch im VS Verlag für Sozialwissenschaften erschienen.


Quelle: Presseinformation des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung gGmbH vom 11. Dezember 2017