Möwe auf Strandkorb
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Selbsthilfegruppe in Gründung

Vor drei Wochen bin ich zusammengebrochen, so richtig, körperlich, in der Hitze, war mit dem Rad unterwegs und hatte meine Sonnenschutz-Mütze vergessen. Die hatte ich mir zugelegt, weil es echt viel zu heiß war und mir schon einige Male so leicht schummerig geworden war. Zum Glück spürte ich, wie mir langsam die Sinne schwinden, und ich bin rechts rangefahren, konnte das Rad gerade noch auf den Gehweg schieben, und dann spürte ich, wie ich zusammensacke. Jemand hat das beobachtet, sich hinter mich gestellt, das Rad gegriffen und um Hilfe gerufen. Da sind dann eine Menge Passanten um mich herum gestanden. Einer hat mich gehalten und langsam auf den Boden gelegt, ein anderer hat das Rad genommen, damit ich nicht drunter begraben werde. So wurde mir das jedenfalls erzählt, denn ich war ja weg. Als ich aufwachte blickte ich in ein fremdes Gesicht, das zu der Stimme gehörte, die fragte, ob ich Schmerzen habe. Mit dem Rettungswagen wurde ich dann ins Krankenhaus transportiert, wurde betastet, befragt und dann stand Nadiem plötzlich vor mir, also neben mir, ich lag ja. Da brach ich das zweite Mal zusammen, seelisch, ich weinte und weinte und lachte, weil ich „nochmal davongekommen“ war, wie man so sagt. Nadiem hat mich nachhause begleitet und blieb über Nacht. Er ist ein langjähriger Freund und wir haben uns gegenseitig als Notfallkontakte vermerkt.
Am nächsten Tag bin ich zu meinem Hausarzt. Dort gingen die Schleusen dann schon wieder auf, und ich heulte und schniefte. Erschöpfungssyndrom hat er diagnostiziert und mich gleich zwei Wochen für arbeitsunfähig erklärt. Ich bin eigentlich nie krank. Und ich bin auch nicht gern krank. Mein Arzt meint, ich solle besser auf mich aufpassen, und er hat recht. Ich habe das Fiepen im Ohr ignoriert und verdrängt, wie sehr mich das alles mitnimmt. Corona ist noch nicht vorbei und jetzt dieser Krieg und die Klimakrise, dazu kommen persönliche und private Themen, finanzielle Sorgen, weil alles teurer wird und dann – ja, das Älterwerden – ich sei in einem vulnerablen Alter, hat er gesagt. Das heißt ich bin dünnhäutig und wenn ich ehrlich bin, in diesem Zustand wirklich nicht arbeitsfähig.

Ja, ich bin arbeitsunfähig, aber nicht reiseunfähig und fahre eine Woche ans Meer. Hier komme ich manchmal auf verrückte Gedanken. Ich überlege, ob ich hier bleiben soll und ob ich mit einem Strandkorbverleih vielleicht glücklicher wäre, als in der SPFH – oder ob ich eine Selbsthilfegruppe gründen sollte? Ich buchstabiere:

S elbsthilfegruppe

P ädagogischer

F achkräfte

H eißbegehrt

Ich darf die Sprechstunden im Familienzentrum nicht mehr machen, weil ich hauptamtlich für die sozialpädagogische Familienhilfe eingestellt worden bin. Da gibt es sehr viele Anfragen - mehr als wir mit unserem kleinen Team gut bearbeiten können. Die Leitung will keine Fälle zurück geben ans Amt, und ich soll mehr übernehmen als ich eigentlich will. Dass dieses Vorgehen qualitätsfördernd ist, wage ich zu bezweifeln.

Ich habe das Gefühl, die Zustände in Sozialarbeit, Erziehung und Pflege sind noch schlimmer geworden als vor zwei Jahren. Ich habe gehört, dass es zu wenig Plätze in den Inobhutnahmestellen gibt, und überall fehlt das Personal. Wem nützt es, wenn wir nacheinander ausbrennen? Wer soll uns helfen, wenn wir es nicht selber tun? Und wie können wir uns organisieren? In dem Träger, bei dem ich jetzt arbeite, gibt es ja immerhin einen Betriebsrat und wenn ich in dreieinhalb Jahren noch da bin, werde ich mich zur Wahl stellen. In einer Gewerkschaft sind nur 5 bis 7 % der Belegschaft. Ich gehöre auch (noch) zu den anderen, den 93 bis 95 % die nicht gewerkschaftlich organisiert sind und das gibt mir zu denken.

Ihre Katja Änderlich