Oft erst im Erwachsenenalter erkannt: Autismus

Seit Jahren nimmt die Zahl der Menschen zu, bei denen Autismus diagnostiziert wird. Anlässlich des diesjährigen Welt-Autismus-Tages, machte der Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) vor wenigen Tagen auf die vielfältigen Unterstützungsbedarfe dieser Menschen und Entwicklungen der eigenen Angebote aufmerksam.

Menschen mit Autismus können die Eindrücke, die auf sie einströmen, nicht filtern. Ein lautes, hektisches Umfeld sorgt für eine innere Unruhe. Stimmt das Umfeld, können die Erkrankten das Leben genießen und zuverlässige sowie treue Partner oder Mitarbeiter sein. "Die Sensibilität gegenüber Menschen mit Autismus ist in den vergangenen Jahren gewachsen", sagt Ulrich Zielke, Oberarzt an der LWL-Klinik Dortmund und Leiter der dortigen Autismus-Ambulanz. Darüber ist er froh: Denn wenn sich die Mitmenschen auf die Betroffenen einstellen, könne das gemeinsame Leben erleichtert werden.

Menschen mit Autismus sind nur eingeschränkt in der Lage, sich flexibel Situationen anzupassen. Insbesondere fällt es ihnen schwer, "zwischen den Zeilen zu lesen" und zu deuten, was andere Menschen bewegt, so Zielke. Das belastet soziale Kontakte. Autisten neigen zur vermeintlichen Lösung dieses Problems dazu, sehr rigide an Verhaltensritualen festzuhalten. Manchmal fragen sie unermüdlich nach kleinsten Details, um Abläufe verstehen zu können, oder werden aggressiv, wenn sie die Situation überfordert. "Am wichtigsten ist es, offen mit der Erkrankung umzugehen", sagt Ulrich Zielke seinen Patienten. Nur, wenn Freunde und Kolleginnen und Kollegen Bescheid wüssten, könnten sie besondere Verhaltensweisen verstehen und auch damit umgehen.

"Dass Autisten anders fühlen als gesunde Menschen, ist ein Gerücht", sagt Zielke. "Sie können Gefühle nur nicht so gut zeigen und auch nicht so gut wahrnehmen." Wer an einer schweren Form des Autismus erkrankt ist, wurde wahrscheinlich schon als Kind beim Arzt vorstellig. Wer nicht auffällig war, wundert sich als Erwachsener, warum er immer wieder massive Probleme am Arbeitsplatz oder in der Familie hat. An Autismus Erkrankte fühlen sich häufig als Versagerin oder Versager, werden depressiv oder leiden unter Angststörungen.

Körpersprache und Mimik sowie Ironie und Andeutungen können Autisten nicht deuten. Wichtig für die Betroffenen sind klare Aussagen in Gesprächen. Am Arbeitsplatz sollten eine möglichst reizarme Umgebung und gut planbare, störungsfreie Abläufe gegeben sein. "In der IT-Branche können Menschen mit Autismus gut arbeiten", sagt Zielke. "Ein richtiger Nerd ist von einem Autisten estmal nicht zu unterscheiden." Doch die Arbeitswelt, die immer hektischer wird, die auf Teamwork setzt und zur Effektivitätssteigerung Computersysteme und Abläufe ändert, sei kräftezehrend für Autisten.

Regelmäßigkeit und Rhythmus sind auch in der Partnerschaft wichtig. "Zärtlichkeit, Flirten und Romantik gibt es nicht. Aber dafür bekommt der Partner Zuverlässigkeit und Treue", so Zielke.

Hintergründe

In vielen Städten gibt es Autismus-Therapie-Zentren, die den Betroffenen konkret weiter helfen. Diese brauchen aber erst einmal eine ärztliche Diagnose. Die Autismus-Ambulanz der LWL-Klinik Dortmund ist dafür in Westfalen zuständig.  Weitere NRW-Autismus-Ambulanzen gibt es erst wieder in Aachen und Köln.

Die LWL-Behindertenhilfe fördert neun Spezialwohnangebote mit 182 Plätzen sowie weitere spezialisierte Wohngruppen in Komplexeinrichtungen. Die Spezialwohnangebote richten sich ausschließlich an Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung. Spezialisierte Wohngruppen sind im Kreis Steinfurt und in der Stadt Bielefeld eingerichtet worden. Hier handelt es sich um Regelwohngruppen, die zusätzlich an Autismus erkrankte Menschen aufnehmen dürfen.

Die Zahl der betroffenen Leistungsberechtigten ist sowohl bei stationären als auch bei ambulanten Angeboten steigend, teilt der LWL mit. Die Zahl der Menschen, die nur mit einem stationären Angebot die erforderliche Hilfe bekommen, wuchs demnach von 212 im Jahr 2010 auf 287 im Jahr 2016. Für die Angebote der LWL-Behindertenhilfe stünden dabei nicht die medizinische Diagnose sondern die passgenaue Hilfe im Mittelpunkt, heißt es. 

In NRW werden Schüler mit Autismus in allgemeinen Schulen und in Förderschulen unterrichtet. Die zuständige Schulaufsichtsbehörde entscheidet über den Förderort. Die 35 LWL-Förderschulen mit den Förderschwerpunkten körperliche und motorische Entwicklung, Hören und Kommunikation, Sehen und Sprache besuchen derzeit mehr als 500 autistische Schüler, deren Anteil an der Gesamtschülerzahl liegt bei durchschnittlich rund 12 Prozent.


Quelle: LWL-Presseinformation am 29. März 2018