Koalitionsvertrag: Positiv im Einzelnen, aber wenig Mut zum großen Wurf

Unzureichend, ein Tropfen auf dem heißen Stein, Stückwerk... – so hören sich die Reaktionen aus Wohlfahrtsverbänden in der ersten Bewertung der Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und SPD, unter anderem zur angekündigten Pflegepolitik dieser Legislaturperiode, an. Auch der Berufsverband für Pflegeberufe bleibt skeptisch, weil die Umsetzung von „positiven Ansätzen" bisher vage blieb. Der BIVA-Pflegeschutzbund erwartet klare Aussagen von einer Koalition, wie die Umsetzung der Verbesserungen finanziert werden soll.

"Kein Feuer wurde richtig gelöscht, die Milliarden werden wieder nach dem Gießkannenprinzip verteilt", kritisiert Diakonie-Präsident Ulrich Lilie.

Paritätischer: Gehen Jahre für dringend benötige Weichenstellungen verloren?

Gemessen an den tatsächlichen Notwendigkeiten und den Wahlkampfversprechen seien die angekündigten Maßnahmen im Bereich der Pflege viel zu wenig und nicht geeignet, den akuten Pflegenotstand zu beheben und die Dauerkrise in der Pflege zu heilen, heißt es aus dem Paritätischen Gesamtverband in einer ersten Verlautbarung. In einer ersten fachlichen Einschätzung, die der Verband heute veröffentlichte, fürchtet der Verband sogar trotz guter Einzelmaßnahmen, „dass vier Jahre für die dringend benötigten Weichenstellungen verloren gehen". In die richtige Richtung weise das Vorhaben, 8.000 Stellen für Fachkräfte in der medizinischen Behandlungspflege zu schaffen und die Stellen aus Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung und der Pflegeversicherung voll zu finanzieren. Dem Paritätischen ist dies jedoch bei weitem zu wenig, geht er doch von einem zusätzlichen Bedarf von derzeit etwa drei Milliarden Euro für die medizinische Behandlungspflege in stationären Einrichtungen aus. 8000 Stellen entsprächen lediglich etwa 400 Millionen Euro. Bei etwa 13.000 stationären Pflegeeinrichtungen entspräche das Stellenvolumen des angekündigten Sofortprogramms nur einem Anteil von 0,6 Vollzeitstellen pro Einrichtung.

Der Paritätische fordert eine Vereinbarung dazu, wie und bis wann mittelfristig insgesamt 100.000 zusätzliche Pflegekräfte gewonnen werden sollen. Diese dringend benötigten Verbesserungen dürften dabei nicht zu einer weiteren finanziellen Belastung der Pflegebedürftigen führen. Der Verband begrüßt eine Reihe von Einzelmaßnahmen, darunter

• die „Konzertierte Aktion Pflege", die verbindliche Personalbemessungsinstrumente, eine Ausbildungsoffensive, bessere Möglichkeiten der Rückkehr von Teil- in Vollzeit, ein Wiedereinstiegsprogramm, bessere Gesundheitsvorsorge und eine Weiterqualifizierung von Pflegehelfer/- innen zu Pflegefachkräften umfassen soll

• das Bestreben, in der Altenpflege flächendeckend Tarifverträge zur Anwendung zu bringen

• den Pflege-Mindestlohn zwischen Ost und West anzugleichen

• das Ziel, Alten- und Krankenpflege im ländlichen Raum durch eine bessere Honorierung der Wegezeiten zu fördern oder auch

• Kurzzeitpflegeeinrichtungen durch verlässliche wirtschaftlich tragfähige Vergütungen zu stärken.

Insgesamt beachte der Koalitionsvertrag nach Einschätzung des Wohlfahrtsverbandes nicht ausreichend, dass weitere Maßnahmen zur Verwirklichung eines neuen Pflegeverständnisses in den Einrichtungen erforderlich sind und dass es eine starke und handlungsfähige Kommune braucht, um im demografischen Wandel die Politik für ältere Menschen vor Ort wirkungsvoll weiterzuentwickeln.

DBfK: Nicht auf Versprechen, auf das Handeln aller kommt es an

Auch der Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) bewertet die für Pflege und Gesundheit konsentierten aus der Perspektive der Pflegeberufe kritisch. Er spricht bei den angekündigten Absichten von einem positiven Ansatz, aber beim Angehen des Fachkräftemangels allenfalls von vagen Andeutungen. Etliche dieser Lösungsansätze seien bereits in der Vergangenheit gründlich gescheitert und taugten nicht für eine Wiederauflage. Hat die Politik womöglich bereits kapituliert vor der Aufgabe, heute und morgen eine gute Pflege sicherzustellen, fragt der Verband. Es klinge zunächst gut, wenn die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Pflege sofort und spürbar verbessert werden sollen. Bessere Personalausstattung, Ausbildungsoffensive, Gesundheitsvorsorge für die Beschäftigten sowie die Umsetzung von Tariflöhnen seien lange überfällig, allerdings bliebe die Frage der konkreten Umsetzung und Durchsetzung von den Koalitionären größtenteils unbeantwortet. Die angekündigte „Konzertierte Aktion Pflege" mit dem Ziel einer bedarfsgerechten Weiterentwicklung der Situation in der Altenpflege kann aus Sicht des DBfK nur dann Erfolg haben, wenn alle Beteiligten der ausdrücklich Wille nach einer spürbaren Verbesserung eint. Regiert werde zudem nicht durch Versprechen, sondern durch spürbares Handeln und Gestalten, wird betont. Eine künftige Regierung wird sich auch in dieser Legislaturperiode an der Umsetzung ihrer Regierungsversprechen messen lassen müssen.

BIVA-Pflegeschutzbund fordert Veränderungen in der Finanzierung der Pflege

Von ersten Schritten der Verbesserung der Personalsituation durch die kurzfristige Einstellung von 8.000 zusätzlichen Pflegekräften und die Einführung flächendeckender Tariflöhne, spricht auch der Vorsitzende des BIVA-Pflegeschutzbundes, Dr. Manfred Stegger. Er erwartet von der Koalition eine klare Aussage, wie die angekündigten Verbesserungen finanziert werden sollen. Die dadurch entstehenden Mehrkosten müssten nach dem jetzigen System von den Pflegebedürftigen komplett aus eigener Tasche gezahlt werden, so Stegger. Im Gesundheitssektor würden dagegen alle Qualitätsverbesserungen und Kostensteigerungen vollständig von den Krankenkassen übernommen und damit von der Solidargemeinschaft gezahlt werden. Stegger plädiert für eine Reform der Pflegeversicherung, die das Risiko, pflegebedürftig zu werden, für den Einzelnen finanziell absichert und berechenbar macht. Der notwendige Eigenanteil muss für den Pflegebedürftigen von Anfang an kalkulierbar sein, um das spätere Abrutschen in die Sozialhilfe zu vermeiden.