Hurrelmann: Vernetzung von Hilfe für Kinder suchtkranker Eltern wäre Meilenstein

Kinder suchtkranker Eltern sollen nicht länger durch die Maschen der Hilfesysteme rutschen. Nachdem Union und SPD Hilfen für etwa drei Millionen betroffener Kinder  in den Koalitionsvertrag aufgenommen haben, gibt es Hoffnung, dass sich deren Versorgungssituation in Deutschland in Zukunft verbessert. Schnittstellenprobleme verhindern bislang oft die Kooperation verschiedener Hilfesysteme wie Suchthilfe, Jugendhilfe und Gesundheitssystem zugunsten der Kinder.

„Auf solche klaren Positionen mussten alle, die sich in Forschung und Praxis mit der desolaten Situation von benachteiligten Kindern beschäftigen, lange warten", sagte Prof. Klaus Hurrelmann von der Berliner Hertie School of Governance,  bei der Auftakt-Pressekonferenz zur neunten bundesweiten Aktionswoche für Kinder aus Suchtfamilien in Berlin. Seiner Einschätzung nach können hilfswillige Menschen in Jugendhilfe, Suchthilfe, Gesundheitswesen, Schule und Kita oft auch beim besten Willen für viele betroffene Kinder kein passendes Angebot realisieren, weil unterschiedliche rechtliche Grundlagen und finanzielle Vorgaben dem im Wege stehen. „Wenn es der neuen Koalition gelingt, Alternativen aufzubauen und Vernetzungen der Hilfeeinrichtungen zu ermöglichen, wäre das ein Meilenstein", so Hurrelmann.

Um die Hemmnisse für Hilfen abzubauen, wird im Frühjahr eine vom Bundestag eingesetzte Arbeitsgruppe erstmals zusammenkommen. Sie soll der Bundesregierung konkrete Vorschläge machen, wie Hemmnisse für den Aufbau regionaler Hilfenetze auf Länder- und kommunaler Ebene abgebaut und der Aufbau solcher Netze gefördert werden kann.

Hilfe für Kinder suchtkranker Eltern eine Zukunftsfrage

Prof. Dr. Michael Klein, Leiter des Deutschen Instituts für Sucht- und Präventionsforschung (DISuP) an der Katholischen Fachhochschule NRW, spricht von den betroffenen Kindern als einer unversorgten oder bestenfalls unterversorgten Gruppe der Gesundheits- und Sozialpolitik. „Wenn Deutschland die schätzungsweise drei Millionen betroffenen Kinder ohne Hilfen belässt, verspielt es als führende Industrienation seine Zukunft", so Klein.

Die internationale Forschung zeigt, dass Kinder suchtkranker Eltern die größte Risikogruppe zur Entwicklung von Suchtstörungen bei Alkohol, Drogen und Verhaltenssüchten sind. Auch entwickeln sie sich häufiger zu Schul- und Bildungsversagern. In Hinblick auf das Abschneiden Deutschlands bei den PISA-Studien können die hohe Zahl der Kinder aus Suchtfamilien kaum als zu vernachlässigende Größe betrachtet werden, so Klein. „Von unschätzbarem Wert" sind nach Einschätzung von Klaus Hurrelmann pädagogische und Betreuungsangebote, die den Kindern außerhalb der Familie gemacht werden. Er ist hoffnungsvoll, dass sich die Versorgung von Kindern aus suchtbelasteten Familien mit solchen Angeboten durch die Aufnahme des Themas in das Regierungsprogramm verbessern wird. In Kombination mit dem Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Kinderarmut, der leichteren Inanspruchnahme von Leistungen für Bildung und Teilhabe und durch den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter ist Hurrelmann sicher, dass die Kinder von suchtkranken und psychisch kranken Eltern von allen diesen Maßnahmen profitieren werden – ebenso wie von der Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz, die Union und SPD ebenfalls beschlossen haben.  

In jeder Kommune ein verfügbares Regelangebot 

Hurrelmann stellte sich ausdrücklich hinter die von der Interessenvertretung NACOA erhobene Forderung, ein flächendeckendes, regelfinanziertes Hilfesystem für Kinder aus suchtbelasteten Familien zu schaffen. Hiervon ist Deutschland nach Einschätzung von NACOA-Sprecher Henning Mielke noch weit entfernt. Er schätzt, dass in Deutschland auf rund 15.000 Kinder ein spezialisiertes Hilfeangebot kommt. „Dieses Hilfenetz hat sehr weite Maschen", sagt Mielke. Umso wichtiger sei es, die vorhandenen Ansätze als Ressource für den flächendeckenden Ausbau des Hilfenetzes zu nutzen. Hierfür ist vor allem die Schaffung von Finanzierungsmöglichkeiten ausschlaggebend. „Daran muss sich die große Koalition messen lassen, wenn sie die Situation von Kindern aus Suchtfamilien nachhaltig verbessern will", so Mielke.

Aktionswoche gibt Kindern eine Stimme

Mit rund 120 Veranstaltungen und Aktionen in 69 deutschen Städten unterstreicht die bundesweite Aktionswoche für Kinder aus Suchtfamilien vom 11. bis 17. Februar die Forderung nach einem flächendeckenden, regelfinanzierten Hilfesystem. Hilfeeinrichtungen, Initiativen, Projekte und die Verbände der Sucht-Selbsthilfe erheben gemeinsam ihre Stimme für die vergessenen Kinder. Die Aktionswoche findet zeitgleich auch in den USA, und Großbritannien statt. In Deutschland steht sie unter der Schirmherrschaft der Schauspielerin Katrin Sass und wird getragen von NACOA Deutschland sowie den Vereinen Kunst gegen Sucht und Such(t)- und Wendepunkt. 

Mehr Informationen unter www.coa-aktionswoche.de


Quelle: Presseinformation von NACOA Deutschland vom 12. Februar 2018