Hochschulpolitischer Pflegefachtag: Akademisierung existenziell für Gesundheitsversorgung

03.04.2017 | Altenhilfe, Studium | Nachrichten

Der Hochschulpolitische Pflegefachtag an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München (KSFH) rollte die Diskussion um die „Akademisierung der Pflege" erneut auf und thematisierte ein weiteres zentrales Thema: die politische Beteiligung der Pflege in Bayern.Über 250 Personen aus Hochschule, Praxis und Politik waren gekommen. Eingeladen war auch die Amtschefin des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege, Ruth Nowak. Organisiert hatten den Fachtag Studierendenvertretungen der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (OTH), Evangelischen Hochschule Nürnberg, Hochschule Rosenheim, Technischen Hochschule Deggendorf (THD) und der Katholischen Stiftungsfachhochschule München.

Es bestand Konsens darüber, dass im Mittelpunkt die alltägliche Versorgung der pflegebedürftigen Menschen steht. Doch welche konkrete Verantwortung tragen dabei Pflegefachkräfte, die einen Hochschulabschluss – und somit auch wissenschaftliches Wissen – in ihren Pflegeberuf einbringen? Welche Aufgaben können oder sollen Hochschulabsolventen in der Pflegepraxis übernehmen? Welchen Beitrag zu einer menschlich angemessenen Versorgung leisten die Akademikerinnen und Akademiker – und wo sieht die bayerische Politik Pflegeakademiker im Zusammenspiel mit den verschiedenen Akteurinnen und Akteuren in der Pflege oder auch in der Gesundheitsversorgung?

„Von ‚Barmherzigkeit' zu ‚Bachelor'"

Nach der Begrüßung durch Matthias Witti, Student im Masterstudiengang Angewandte Sozial- und Bildungswissenschaften und Studierendenvertretung München, leitete Christoph Ohneberg, Student im Bachelorstudiengang Pflegepädagogik, KSFH, das Interview „Von ‚Barmherzigkeit' zu ‚Bachelor'" ein, das er mit dem Gründungsdekan des Fachbereichs Pflege an der KSFH, Prof. Dr. em. Johannes Kemser, führte. „Allein die Pflegebedürftigkeit von Menschen", so der ehemalige Dekan, der 1995 die Einführung des ersten Pflegestudiengangs in Bayern mitinitiiert und begleitet hatte, „rechtfertigt die Akademisierung der Pflegeberufe. Die akademische Ausbildung ist für eine qualifizierte Pflege existenziell. Hierbei geht es den Hochschulen auch nicht darum, das Berufsprofil Pflegender auszuweiten, sondern ihre Handlungsfähigkeiten zu schärfen und ihr Profil als Pflegefachkraft – im Sinne einer menschenrechtsbasierten und angemessenen Pflege – zu intensivieren."

Selbsverantwortung der Pflege steigt

Je tiefer die Berufsgruppe der Pflegenden inhaltlich und wissenschaftlich eingebunden sei, desto intensiver sei auch die Auseinandersetzung mit den eigenen Themen und die Selbstverantwortung, die hieraus in der Pflege erwächst. Doch zeichneten sich nach wie vor Akzeptanzprobleme ab. „Das Thema", so Prof. Dr. em. Kemser, „hat nicht an Brisanz verloren." Er erinnere sich nur zu gut an die Widerstände in den 1990-er Jahren, als die ersten Pflegestudiengänge eingeführt wurden. „Zu der Zeit war es der eigene Berufsstand, die Pflegenden und auch die Träger, die eine akademische Ausbildung in Frage stellten. Heute sind es die vorherrschenden strukturellen und personellen Rahmenbedingungen, durch die das Thema aktuell bleibt", so Kemser.

Wie wichtig es ist, Rahmenbedingungen für Hochschulabsolventen in der Berufseinmündung zu verbessern, ihr Profil in ihrem späteren Berufsalltag zu schärfen und die Akademisierung der Pflege weiterhin voranzutreiben, zeigte die Dekanin des Fachbereichs Pflege an der KSFH, Prof. Dr. Constanze Giese auf: „Eine akademische Ausbildung in der Pflege dient nicht dem Selbstzweck. Vielmehr sorgt eine Ausbildung, die über die Praxiserfahrungen hinausgeht, nachweislich für die Verbesserung der Situation von pflegebedürftigen Menschen. Wenn sich keiner qualifiziert in der Pflege einsetzt, dann entsteht eine schmerzliche Lücke in der Versorgung."itik

Pflege und Politik an einem Strang

Wie auch der Präsident der KSFH, Prof. Dr. Hermann Sollfrank, wertete die Dekanin den Pflegefachtag als eine „wichtige Plattform", um mit Vertreterinnen und Vertretern aus Praxis und Politik gleichermaßen in Verbindung zu kommen.

Ruth Nowak, die Amtschefin des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege, Johanna Koopmans (Pflege dual, KSFH), Christina Koutrafouris (Pflegemanagement, KSFH), Thomas Auerbach (Pflegepädagogik, Technische Hochschule Deggendorf) und Jenny Kubitza (Pflegewissenschaft, KSFH) bildeten an Ort und Stelle eine entsprechende Dialogrunde zum Kernthema. In der anschließenden Diskussion ging es dann nicht alleine um das Kernthema und somit um die Verantwortung von Absolvetninnen und Absolventen im Pflegeberuf, sondern auch darum, wo die Politik eingreifen und einen geeigneten Rahmen – auch im Miteinander und in der (notwendigen) Abgrenzung der verschiedenen Berufsgruppen – schaffen kann. Nowak betonte, wie wichtig es sei, Ausbildungsstandards einzuhalten: „Der Notstand an Pflegepersonal darf nicht dazu führen, dass in der Ausbildung an Qualität gespart wird." Gleichermaßen appellierte sie hier an die Selbstverwaltung der Pflege und wies daraufhin, „dass die Leistungserbringer mit den Pflegekassen selbst in Verhandlung treten müssen, wenn es um eine angemessene Entlohnung geht."

Hier könne das Ministerium sich allenfalls als Mediator einbringen, nicht aber als Entscheider. Zugleich zeigte Nowak Modellprojekte des Gesundheitsministeriums auf, die auf ein Umdenken in der Pflegepraxis, in den traditionellen Abläufen, zielen. Sie sprach sich dafür aus, die Studienangebote bayernweit zu vereinheitlichen, auch, um es den Personalentscheidern in Praxiseinrichtungen zu erleichtern, das Bewerberprofil eines Pflegeakademikers zu umreißen.

Verantwortung teilen zwischen Pflege und Ärzteschaft

Beim Thema „Interdisziplinarität" war sich die Dialogrunde einig: „Die Behandlung von Patientinnen und Patienten ist immer interdisziplinär angelegt", so die Masterstudentin Jenny Kubitza. „Doch wichtig ist, dass die Pflege in diesem Umfeld als eigenständige Disziplin anerkannt wird." Noch immer, so der Einwand von Student Thomas Auerbach, fehle die Bereitschaft der Ärzteschaft, verantwortungsvolle Aufgaben zu delegieren. Hier müssten noch viele Verantwortungspositionen geklärt werden, denn „Blutabnehmen reicht in der Verantwortungsübertragung ganz sicher nicht aus." Ruth Nowak pflichtete  bei: „Die Bereitschaft ist bei vielen Ärzten nach wie vor nicht vorhanden, allerdings gehe ich fest davon aus, dass die Substitution bereits in der nächsten Legislaturperiode ein zentrales Thema sein wird." Denn gerade im ländlichen Raum wird die ärztliche Versorgung aufgrund fehlender Arztpraxen immer schwieriger – und dadurch, so die Prognosen, wird es immer wichtiger, neue Versorgungsformen unter verantwortlicher Mitarbeit der Pflegenden zu entwickeln.

Organisiert im Dialog bleiben

Im Schlusswort zum Dialog und auch in den folgenden Workshops ging es um die „eigene Stimme der Pflege", das heißt, um eine institutionalisierte Interessensvertretung der Berufsgruppe. Eine Pflegekammer wie in Rheinland-Pfalz wird es in Bayern vorerst nicht geben, dafür eine „Vereinigung der Pflegenden in Bayern" als eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Mögliche Differenzen in der Interessensvertretung zu einer Pflegekammer müssen weiterhin durch Engagement und das stetige Miteinander der Personen, die in der Pflege arbeiten, ausgeglichen werden. Dafür sei der Fachtag ein Beispiel. Auch eine konsequente Informationspolitik, könne verdeutlichen, wie wichtig die Mitgliedschaft im Berufsverbänden für den Status der Pflege ist. „Organisieren Sie sich, bleiben Sie im Dialog", so fasste es die Amtschefin Ruth Nowak in ihrem Schlusswort für ihre Zuhörerinnen und Zuhörer zusammen und so gilt es auch für alle Pflege(fach)kräfte in Bayern.


Quelle: Veranstaltungsbericht der Katholischen Stiftungsfachhochschule München vom 3. April 2017