EU-Flaggen vor Gebäudehintergrund
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EU-Maßnahmen haben nur geringe Auswirkungen auf das Leben von Menschen mit Behinderungen

Maßnahmen der EU haben laut einem neuen Bericht des Europäischen Rechnungshofs nur wenig zur Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderungen beigetragen. Die Werte der wichtigsten Gleichstellungsindikatoren in den EU-Ländern hätten sich in den letzten Jahren kaum verbessert.

Menschen mit Behinderungen hätten immer noch Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden, und sie seien stärker von Armut bedroht. Darüber hinaus folge die Anerkennung des Behindertenstatus von Land zu Land unterschiedlichen Kriterien, was einer gegenseitigen Anerkennung im Weg stehen könne und es der Europäischen Kommission erschwere, sich einen klaren Überblick über die Lage zu verschaffen. Die Kommission habe EU-weite Strategien für Menschen mit Behinderungen entworfen und neue Initiativen vorgeschlagen, bei den einschlägigen Rechtsvorschriften sei man jedoch ins Stocken geraten.

Etwa ein Viertel der Bürgerinnen und Bürger der EU über 16 Jahre (rund 87 Millionen Personen), insbesondere ältere Menschen, haben eigenen Angaben zufolge eine Behinderung, beispielsweise eine körperliche oder geistige Beeinträchtigung. Wegen der Alterung der Bevölkerung in der EU werden Anteil und Zahl dieser Menschen voraussichtlich zunehmen. Im Jahr 2021 hatten laut der Statistikbehörde Eurostat nur 51 % der Menschen mit Behinderung einen Arbeitsplatz; bei Menschen ohne Behinderungen lag der Anteil dagegen bei 75 %. Die Beschäftigungslücke bei Menschen mit Behinderungen blieb damit gegenüber 2014, dem Beginn der Aufzeichnungen, nahezu unverändert. Auch waren Menschen mit Behinderungen stärker von Armut bedroht, wobei das Risiko für Frauen höher war als für Männer, und durch die Corona-Pandemie hat sich ihre Situation noch verschlimmert.

"Die Kommission hat sich verpflichtet, Menschen mit Behinderungen zu helfen, gleichberechtigt am Alltag teilzunehmen, aber die Maßnahmen der EU hatten nur geringe praktische Auswirkungen", so Stef Blok, das für die Prüfung zuständige Mitglied des Rechnungshofs. "Menschen mit Behinderungen in der EU haben nach wie vor große Probleme, einen Arbeitsplatz zu finden und nicht in Armut abzugleiten. Außerdem stoßen sie auf Hindernisse, wenn sie sich frei über Ländergrenzen hinweg bewegen wollen."

Für Maßnahmen zur sozialen Inklusion seien vordringlich die EU-Länder zuständig, doch böten sie Menschen mit Behinderungen Unterstützung und Leistungen in sehr unterschiedlichem Ausmaß. Außerdem erfolge die Anerkennung von Förderfähigkeit nach jeweils anderen Kriterien. Darüber hinaus fehle eine Anerkennung des von anderen EU-Ländern gewährten Behindertenstatus – eine solche Anerkennung würde die Barrierefreiheit im Hinblick auf die Freizügigkeit innerhalb der EU fördern. Daher riskierten Menschen mit Behinderungen, die ein anderes EU-Land besuchten oder zur Arbeit oder zum Studium umzögen, eine Benachteiligung gegenüber Inländern in einer vergleichbaren Situation. Sie hätten nicht nur einen höheren Verwaltungsaufwand, sondern möglicherweise auch keinen gleichberechtigten Zugang zu Leistungen wie z. B. Ermäßigungen für Museen oder öffentliche Verkehrsmittel. 

Aufgabe der EU sei es, hier unterstützend und koordinierend tätig zu werden. In ihrer Strategie 2021–2030 habe die Kommission die meisten bestehenden Mängel in Angriff genommen und eine Reihe von Leitinitiativen zur Inklusion vorgeschlagen, so etwa den europäischen Behindertenausweis und das Beschäftigungspaket für Menschen mit Behinderungen – beides Schritte in die richtige Richtung, so die Prüfer. Die Strategie lasse jedoch viele zentrale Fragen offen. Fortschritte würden durch den Stillstand bei der EU-Gleichbehandlungsrichtlinie und die langsame Umsetzung des europäischen Rechtsakts zur Barrierefreiheit in nationales Recht beeinträchtigt. Auch sei dies alles nur sehr lose mit EU-Mitteln verknüpft, und die Kommission halte nicht nach, in welcher Höhe EU-Gelder tatsächlich für die Unterstützung von Menschen mit Behinderungen ausgegeben würden. Diese Information wäre aber wichtig, um anschaulich machen zu können, wie sich die Situation der Betroffenen durch EU-Hilfen verbessert habe.

Die Prüfer untersuchten auch, ob die EU-Organe bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen mit gutem Beispiel vorangehen. Da aber entsprechende Daten fehlten, konnten sie nicht beurteilen, ob diese Institutionen ihre Ziele bei der Einstellung von Menschen mit Behinderungenerreicht haben. Die Prüfer empfehlen den EU-Organen, die erforderlichen Daten zu sammeln und über die Fortschritte Bericht zu erstatten.

Hintergrund

Das Konzept von Menschen mit Behinderungen ist in einem Übereinkommen der Vereinten Nationen verankert und umfasst langfristige körperliche, psychische, geistige oder sensorische Beeinträchtigungen. Die Politik der EU für Menschen mit Behinderungen hat sich in den letzten 15 Jahren weiterentwickelt. Allerdings beruhen die EU-Statistiken zu Behinderungen nach wie vor weitgehend auf Selbstauskünften. Eine von Eurostat im Jahr 2021 durchgeführte Umfrage zeigt große Unterschiede zwischen den EU-Ländern in Bezug auf selbst wahrgenommene Einschränkungen bei alltäglichen Tätigkeiten aufgrund eines Gesundheitsproblems. Die Spanne reicht von fast 17 % in Malta bis zu mehr als 37 % in Lettland. Die nationalen Staatsausgaben für Sozialschutzleistungen für Menschen mit Behinderungen belaufen sich im Durchschnitt auf etwas mehr als 2 % des Bruttoinlandsprodukts und reichen von weniger als 1 % in Malta bis 5 % in Dänemark. Die nationalen Mittel können in unterschiedlichem Umfang durch EU-Mittel aufgestockt werden.


Quelle: Pressemitteilung des Europäischen Rechnungshofs vom 12.10.2023