Charlotte Zach

Ein persönliches Beispiel für Institutionellen Ableismus

von Charlotte Zach
22.11.2022 | Sozialpolitik | Gastbeiträge

Ich habe in diesem Raum schon häufiger erzählt, was ich unter Ableismus verstehe und die Unterschiede zwischen personeller Diskriminierung, struktureller Diskriminierung und institutioneller Diskriminierung in Form von Ableismus beleuchtet. Aus einem traurigen Anlass heraus möchte ich heute ein ganz konkretes Beispiel für institutionelle Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen geben, dass ich selber gerade mal wieder erlebe. Ich möchte in diesem Zusammenhang voranstellen, dass dieser Fall bereits eine sehr privilegierte Form der Diskriminierung beschreibt. Nichtsdestotrotz ist er ungerecht und mach deutlich, wie widersprüchlich das System ist und wie ist Machtstrukturen zementiert, anstatt diese zu durchbrechen.


Ich arbeite seit mehreren Jahren in einer Beratungsstelle für Menschen mit Behinderungen. Da ich in meinem Alltag auf Unterstützung angewiesen bin, kann ich diese Arbeitsstelle nur nachkommen, wenn ich eine sogenannte Arbeitsassistenz bekomme. Als Person mit Assistenzbedarf, die eine Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis angeboten bekommen hat, steht mir diese Assistentin per Gesetz auch zu.

So weit, so gut, doch jetzt kommt der Haken: Das Recht auf eine Arbeitsassistenz besteht nur dann, wenn man mindestens 15 Stunden in der Woche arbeitet. Das habe ich schmerzlich zu spüren bekommen, als ich meine Arbeitsstelle wegen meines Studiums vor 3 Jahren antrat.

Ich wollte nämlich lediglich 9 Stunden arbeiten, da ich nebenbei noch Vollzeit studierte. Das war aber nicht möglich. Stattdessen wurde ich von dem System dazu gezwungen, direkt mindestens 15 Stunden zu arbeiten. Man könnte jetzt sagen, das ist doch schon in Ordnung, der Kosten nutzen Aufwand müsse sich ja auch lohnen. Aber mir fallen auf Anhieb viele Situationen ein, in denen vor allem Menschen mit Behinderungen nicht in der Lage sein werden, unmittelbar mit einer 15 Stunden Stelle zu starten.

Die Maßnahme, über die die Arbeitsassistenz bezahlt werden soll, ist eine Teilhabemaßnahme. Sie soll also möglichst viel Teilhabe der behinderten Person sicherstellen. Was ist aber, wenn eine Person aufgrund einer körperlichen oder psychischen Behinderung nicht sofort in diesem Ausmaß belastbar ist? Was ist, wenn sie sich schrittweise an die neue Aufgabe gewöhnen muss? Was ist, wenn sie gar nicht in dem Umfang belastbar ist, aber trotzdem durchaus fähig ist, eine Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zu leisten? Was ist, wenn sie nebenbei noch studiert? Was ist, wenn sie eine junge Mutter oder ein junger Vater ist, der*die zusätzlich zu der Arbeit im Angestelltenverhältnis noch Arbeit und Pflichten im Familienkontext haben? Diese Regelung der 15 Stunden ist eine unnötige Hürde, die vielen Personen die schrittweise Wiedereingliederung in den Arbeitskontext erschweren.

Doch damit nicht genug: die Regelung wird auch noch weiter ab absurdum geführt. Denn sie gilt nicht nur für das erste Beschäftigungsverhältnis oder über alle bestehenden gleichzeitigen Beschäftigungsverhältnisse. Nein, sie besteht für jedes einzelne Beschäftigungsverhältnis und jede einzelne Tätigkeit. das musste ich nun feststellen, nachdem ich für meine nebenberufliche Selbstständigkeit auch eine Arbeitsassistenz beantragen wollte.

Seit einiger Zeit bin ich zunehmend als Autorin, Referentin und Beraterin für Themen wie Inklusion und Rechte von Menschen mit Behinderungen tätig. Für manche dieser Tätigkeiten brauche ich ebenfalls Assistenz. Diese wurde nun abgelehnt mit der Begründung, es sei keine Beschäftigung im Rahmen von mindestens 15 Stunden in der Woche ersichtlich. Damit wird mir als Mensch mit Behinderung jegliche Möglichkeit genommen, mich freiberuflich neben einer Festanstellung zu betätigen. Mir wird generell jegliche Möglichkeit genommen mich freiberuflich zu betätigen, wenn ich nicht nachweisen kann, dass ich mindestens 15 Stunden in der Woche dauerhaft eine wie auch immer geartete vertragliche Bindung habe. Das wäre aber gar keine selbständige Tätigkeit.

Das Kosten-Nutzen-Argument zählt meiner Meinung nach spätestens hier überhaupt nicht mehr. Ich habe ja bereits eine feste Anstellung mit über 15 Stunden. Damit steht außer Frage, ob meine Arbeitstätigkeit die Mindestanforderungen des Nutzens für unsere Gesellschaft erfüllt, um eine Arbeitsassistenz zu rechtfertigen. Wieso also wird mir die Möglichkeit genommen, eine ganze Reihe von beruflichen Perspektiven ergreifen zu können? Wieso wird sie mir genommen, obwohl doch ohnehin schon klar ist, dass ich aufgrund meiner Behinderung viele andere berufliche Zweige nicht verfolgen kann? Wieso wird sie mir genommen, obwohl es doch gerade wichtig ist, dass wir Betroffenen Aufklärungsarbeit leisten, uns gesellschaftlich engagieren, Bildungsarbeit anbieten?

Wenn Sie einmal ein Beispiel für institutionelle Diskriminierung für Menschen mit Behinderungen kennenlernen wollten, hoffe ich, ich habe Ihnen diesen Wunsch mit meinem kleinen Text erfüllt.