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Corona und Weihnachten: Keine gute Kombination

Corona hat der Sozialen Arbeit in diesem Jahr einschneidende Veränderungen gebracht. Mehr noch als zuvor muss sie im Blick behalten, wie gesellschaftliche Entwicklungen und individuelle Bedürfnisse miteinander ins Verhältnis zu setzen sind. Dabei stehen die unterschiedlichen Arbeitsfelder vor unterschiedlichen Herausforderungen - auch mit Blick auf die anstehenden Weihnachtsfeiertage.

Vor ziemlich genau einem Jahr begann sich das neuartige Coronavirus auszubreiten. Unter dem Kürzel COVID-19 überrannte es zunächst das Gesundheitssystem der chinesichen Metropole Wuhan und weiterer chinesischer Großstädte, bevor es sich auf der ganzen Welt ausbreitete. In Europa waren es vor allem Italien, Spanien und Frankreich, die binnen weniger Wochen tausende Todesfälle zu beklagen hatten. Mit Schrecken erinnern wir uns an die Bilder aus Bergamo, und auch der Inbegriff des pulsierenden Lebens, New York City, mutierte in diesem Frühjahr zu einem Ort des Schreckens. Deutschland kommt bis heute etwas glimpflicher davon, sowohl was die Anzahl der mit COVID-19 in Verbindung stehen Todesfälle betrifft als auch mit Blick auf die Härte der getroffenen Schutzmaßnahmen, die eine unkontrollierte Ausbreitung des Virus verhindern sollen.

Das Virus hat alles verändert: Die Art und Weise, wie wir arbeiten. Wie unsere Kinder unterrichtet werden. Wie wir uns miteinander freuen. Aber auch, wie wir in Kontakt zu unseren Mitmenschen treten können. Uns allen stellen sich Fragen, die wir vor einem Jahr nicht für möglich gehalten hätten: Wie halten wir es mit Weihnachten? Wer trifft sich wann mit wem? Wer muss besonders geschützt werden? Welche Abwägungen sind zu treffen? Wie gehen wir mit Freunden, Verwandten und Bekannten um, die die Gefahren der Pandemie runterspielen? Fragen wie diese müssen Organisationen und Einrichtungen der Sozialen Arbeit nicht erst mit Blick auf diese besondere (Vor-) Weihnachtszeit stellen. Sie stellen sich für sie seit Beginn der Einschränkungen und sie bringen oftmals eingefahrene Strukturen ins Wanken. 

Kinder und Jugendliche brauchen verlässliche Begleitung

Dies gilt zum Beispiel für das komplexe System der Kinder- und Jugendhilfe und ihre Einrichtungen. Selbst die großen Wohlfahrtsverbände, unter deren Dächern viele Tausende Kinder und Jugendlichen leben, waren mit Blick auf die Lage der jungen Menschen, die sie versorgen und pädagogisch betreuen, bedenklich still. Auch jetzt, in der typischerweise (auch ohne Pandemie) besonders krisenbehafteten Vorweihnachtszeit, hört und liest man nur sehr wenig über die Situation der vielen Kinder und Jugendlichen, für die das Motto #stayhome eine besonders traurige Bedeutung in sich birgt. Dabei geht es nicht nur um einen möglichst 'sterilen' Umgang miteinander, um Ansteckungen zu vermeiden. Es schließen sich viele weitere Fragen an, die die Mitarbeiter*innen nicht 'einfach so' ablegen und auf der Arbeit lassen können.  Wie erklärt man, dass Besuche, von denen viele Kinder zehren, vorerst nicht ermöglicht werden können? Auch die Tage zu Hause, die Kinder über die Weihnachtstage verbringen werden, sind in Corona-Zeiten besonders sensibel. Wie geht man zum Beispiel mit damit um, wenn Eltern Corona nicht ernstnehmen und über Weihnachten das Gegenteil dessen erzählen, was die Pädagog*innen in den Einrichtungen erklärt haben?

Vielleicht muss man, das ist durchaus auch selbstkritisch zu verstehen, stärker in den Blick nehmen, wie diesen vor allem psychisch herausfordernden Fragen angemessener begegnet werden kann. Denn bekanntermaßen kommt hinzu, dass viele der jungen Menschen, die stationär untergebracht sind, mit schlimmsten Ängsten und Sorgen zu kämpfen haben: Viele von ihnen haben nach ihrer Rückkehr ins Heim nicht die Sicherheit, dass ihre Eltern oder Geschwister gut auf sich aufpassen können. Sie haben schlicht nicht das Vertrauen, dass alles 'wieder gut' werden wird.

Wohnungslose brauchen mehr Schutzräume

Auch für die vielen Wohnungslosen in unseren Städten ist der Hashtag #stayhome nicht wiklich passend. Seit Beginn der Pandemie machen Verbände , z.B. die BAG Wohnungslosenhilfe, auf die teilweise schlimmen Verhältnisse in Sammelunterkünften aufmerksam, in denen die berühmten AHA-Maßnahmen schlicht nicht einzuhalten sind. Die Organisationen fordern vehement die Schaffung  zusätzlicher Versorgungsräume, damit nicht der Ort, der eigentlich Schutz und Wärme bieten soll, zur lebensgefährlichen Falle für Menschen wird, die ohnehin sehr oft unter Vorerkrankungen leiden. Besonders gefährdet sind an solchen Orten auch die Mitarbeiter*innen, die dafür sorgen, dass die soziale Infrastruktur nicht zusammenbricht und weiterhin akute Nothilfe geleistet werden kann. Die Notmaßnahmen müssen in diesem Winter ausgebaut werden, damit Menschen, die auf der Straße leben, wenigstens ein Mindestmaß an menschenwürdigem Schutz geboten werden kann. 

Und was ist jetzt mit Weihnachten?

Weihnachten, das muss man in aller Deutlichkeit festhalten, ist dieses Jahr nicht nur ein Fest, sondern auch eine Bedrohung. Der mutlose Beschluss der Politik, die Kontaktbeschränkungen für die Weihnachtsfeiertage aufzuheben, ist ein Schlag ins Gesicht der vielen Menschen, die sich in den zu erwartenden Lockdowns der Folgemonate um die schwer Erkrankten COVID-19-Patient*innen, aber auch um die psychisch Leidtragenden der Einschränkungen werden kümmern müssen. Auch junge Menschen, die viele soziale Kontakte benötigen, um sich auszuprobieren, sich zu finden, sich in der Welt 'da draußen' zu etablieren, werden noch länger nicht das erleben können, was diese besondere Lebensphase eigentlich für sie vorsieht. 

Und die Soziale Arbeit? Sie muss sich dieses Jahr nicht nur 'routinemäßig' auf die Folgen familiärer Weihnachtskonflikte, sondern auch auf weitere Monate im Notfallmodus einstellen.

Sebastian Hempel

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