Zusammenarbeit und Vernetzung im Gesundheitswesen muss strukturell verankert und finanziert werden

29.10.2013 | Gesundheitswesen | Nachrichten

Die Grenzen zwischen den unterschiedlichen gesundheitlichen Versorgungsbereichen und zwischen ambulanten und stationären Angebote müssen flexibler gestaltet werden

Im Mittelpunkt des DVSG-Bundeskongresses für Soziale Arbeit im Ge-sundheitswesen standen die interdisziplinäre Zusammenarbeit und die Vernetzung über Insti-tutionsgrenzen- und Versorgungsbereiche hinweg. Die Veranstaltung, an der rund 550 Fach-kräfte aus Gesundheitswesen und der Sozialen Arbeit teilnahmen, fand am 10. und 11. Oktober 2013 bereits zum dritten Mal in Münster statt. Auf dem Kongress wurden beispielhaft gut funk-tionierende Netzwerke und Kooperationen in der Versorgung von kranken, pflegebedürftigen und behinderten Menschen vorgestellt und diskutiert. Die Experten waren sich darüber einig, dass diese Beispiele der systematischen Zusammenarbeit aller Akteure in der gesundheitli-chen Versorgung strukturell verankert werden müssen. Die Sicherstellung einer entsprechen-den Finanzierung ist unabdingbar. Hierfür sollten Finanzierungsmodelle erprobt werden, die Mittel aus den verschiedenen gesundheitlichen Versorgungsbereichen und der kommunalen Fürsorge zusammenführen. Die sogenannte sektorale Leistungserbringung birgt die Gefahr, dass Brüche und Lücken in der Ver-sorgung entstehen. Um dies zu vermeiden sind Koordination und Vernetzung von Leistungen und Kooperation aller Beteiligten am Versorgungsprozess unerlässlich. Obwohl es zur Lösung dieser Problematik rechtliche Regelungen und konzeptionelle Lösungsansätze gibt, fehlt ein schlüssiges Gesamtkonzept, das die individuelle Perspektive und die Fragestellungen der betroffenen Menschen in den Mittelpunkt stellt. „Die Regelungen werden eher aus der Systemlogik der einzelnen Versor-gungsbereiche getroffen. Kooperation und Vernetzung werden derzeit noch zu sehr unter ökonomi-schen Aspekten gesehen und einseitig unter dieser Zielsetzung vorangetrieben. Die Optimierung der Prozesse erfolgt vorrangig zur Einsparung von Kosten im betriebswirtschaftlichen Sinne. Aspekte der Qualitätsverbesserungen für die Patienten und die langfristige Nachhaltigkeit der Versorgung erschei-nen nachrangig, betont der 1. Vorsitzende der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesund-heitswesen (DVSG), Ulrich Kurlemann. Die gesellschaftlichen Entwicklungen stellen das Gesundheits- und Sozialwesen vor Herausforderun-gen. Eine älter werdende Bevölkerung, die Zunahme von psychischen und chronischen Erkrankungen sowie die komplexer werdenden Problemlagen erfordern eine enge Kooperation von Ärzten, Thera-peuten, Pflegekräften und Sozialarbeitern. In den Versorgungsprozessen stehen medizini-sche/therapeutische und pflegerische Leistungen im Vordergrund, psychosoziale Fragestellungen werden häufig als nachrangig angesehen. Für eine nachhaltige Versorgung müssen diese Aspekte aber unbedingt mit in die Behandlungskonzepte einbezogen werden. Prof. Dr. Karlheinz Ortmann (Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin) wies in seinem Eröff-nungsvortrag darauf hin, dass soziale Stressoren, wie Trennung von Lebenspartnern, Arbeitslosigkeit, Tod eines nahe stehenden Familienmitglieds, Überschuldung, Partnerschaftskonflikte, Einsamkeit, berufliche Probleme, der Übergang vom aktiven Berufsleben in die Rente in hohem Maße an der Ent-stehung und am Verlauf von Krankheiten beteiligt sind. Gleichzeitig haben soziale Ressourcen wie die Teilhabe an Gemeinschaft (Partner, Familie, Freunde, Kollegen) und Gesellschaft deutliche gesund-heitsförderliche Effekte. Soziale Arbeit im Gesundheitswesen unterstützt bei der Bewältigung der Krankheit und mobilisiert persönliche und soziale Ressourcen. Darüber hinaus brauchen gerade be-sonders benachteiligte Bevölkerungsgruppen - die häufig nicht über ausreichende persönliche und soziale Ressourcen verfügen - spezifische Beratungs- und Unterstützungsleistungen, um mit sozialen Stressoren angemessen umzugehen und Krisen bewältigen zu können. Am dem Beispiel des Entlassungsmanagements aus dem Krankenhaus wird die Bedeutung der psy-chosozialen Leistungen deutlich. Besonders für sozial belastete und vulnerable Patientengruppen ist das Krankenhaus eine Station im Versorgungsgeschehen, die zyklisch immer wieder in Anspruch genommen wird; und das häufig auch aus Gründen der mangelnden sozialen Unterstützung. Bedingt durch kurze Verweildauern im Akutkrankenhaus und den Anstieg komplexer Fälle verringert sich zu-nehmend der Zeitkorridor für psychosoziale Beratung der Patienten. Das bedeutet für die Klärung eines adäquaten nachstationären Versorgungssettings – gerade bei komplexen Fällen – einen enor-men Zeit- und Entscheidungsdruck. Aspekte der vielfältigen Informations-, Beratungs- und Koordinati-onsbedarfe der Patienten geraten so aus dem Blick. Dies sind häufig Fragen nach adäquaten Hilfen mit Blick auf die Familie, den Beruf und die finanzielle Situation. Diese Fragen sind für die Patienten von hoher Bedeutung. Ihre Lösung trägt dazu bei, eine weitere sozial indizierte Fehlnutzung von Ge-sundheitsleistungen zu verhindern. In diesem Zusammenhang müssen auch die Grenzen zwischen stationärer und ambulanter Versorgung wesentlich flexibler gestaltet werden. Im Sinne der Nachhaltigkeit muss dem Patienten durch eine fundierte Beratung in Krankenhaus und Rehabilitationsklinik nachstationäre Perspektiven aufgezeigt werden. Viele Patienten sind heute auf Grund der hohen Behandlungsdichte und Krankheitsbelastung während des Krankenhausaufenthalts nicht in der Lage, sich mit Fragen zu sozialen, finanziellen und beruflichen Folgen ihrer Erkrankung zu beschäftigen. Soziale Arbeit berät Patienten, organisiert die nachstationäre Versorgung und bereitet sie auf mögliche spätere Problemfelder vor. Hinweise auf ambulante Beratung und Begleitung werden dabei mitgedacht. Soziale Arbeit in Krankenhaus und Rehabilitationsklinik erreicht auch benachteiligte Patientengruppen, die sich bislang kaum an ambulante Beratungsstellen wenden. Die Erfahrungen der letzten Jahre mit dem Entlassungsmanagement zeigen, dass die Begrenzung der Verantwortlichkeit allein auf den stationären Bereich unnötige Koordinationsprobleme für die Patienten mit sich bringt. Die derzeitige Regelung des Entlassungsmanagements, dessen Zuständigkeit an der Kliniktür endet, stellt eine Barriere für ein patientenorientiertes, sektorenübergreifendes, bedarfsge-rechtes Schnittstellenmanagement dar. Aktuell fehlt den stationären Strukturen des Entlassungsma-nagements, aber auch der psychosozialen Beratung, ein komplementäres „ambulantes Gegenüber“, das unabhängig und patientenorientiert die Leistungskoordination weiterführt bzw. übernimmt. „Erforderlich ist eine engere Verzahnung der ambulanten Beratungsinfrastruktur – insbesondere der Pflegestützpunkte und vergleichbaren Beratungsstellen – mit den Strukturen der psychosozialen Bera-tung in den Sozialdiensten der Akutkrankenhäuser und Rehabilitationskliniken“, so Kurlemann. Ziel einer besseren Vernetzung muss es sein, die beteiligten professionellen Akteure zusammenzuführen, um bei komplexen Fällen eine Weiterberatung über die Sektorengrenzen hinaus zu garantieren und individuelle Problemlösungen in der Beratung zu erarbeiten und umzusetzen. „Was wir brauchen ist der Ausbau einer flächendeckenden ambulanten Beratungsinfrastruktur und die systematische Vernetzung von stationärer und ambulanter gesundheitsbezogener sozialer Beratung. Diese ambulanten Beratungsstellen könnten dann auch zu der bisher fehlenden systematischen Ko-operation zwischen niedergelassenen Ärzten und Sozialarbeitern analog der Strukturen der Zusam-menarbeit in der stationären Versorgung führen“, zieht Kurlemann als weiteres Fazit des Kongresses.

Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen e.V. (DVSG) vom 15.10.2013