Was bringt der schnelle Wurf des Integrationsgesetzes?

von Ines Nowack
20.07.2016 | Soziale Arbeit, Sozialpolitik

 

 

"Fördern und Fordern" - Unter dieses Motto stellte die Bundesregierung das von ihr initiierte Integrationsgesetz. In Rekordzeit wurde der Gesetzesentwurf von der Großen Koalition am 25. Mai 2016 auf ihrer Kabinettsklausur in Meseberg vor dem Hintergrund einer starken Zunahme des Zuzugs von geflüchteten Menschen nach Deutschland auf den Weg gebracht. Nach dem Passieren im Bundestag hat nur einen Tag später auch der Bundesrat zugestimmt - trotz breiter Kritik aus Verbänden und Bundesländern, trotz selbst formuliertem Nachbesserungsbedarf am Gesetz. Zeit zur breiten gesellschaftlichen Diskussion blieb in dieser Zeit kaum.

Staatliche Angebote früher, verbunden mit Sanktionen

Bislang gab es in Deutschland noch kein eigenes Gesetz, das Fragen der Einwanderung, Zuwanderung und Integration in Deutschland regelt. Die Flüchtlinge, die eine gute Bleibeperspektive haben, erhalten mit diesem Integrationsgesetz nun frühzeitig Angebote vom Staat, heißt es in einer Erklärung der Bundesregierung. Jedoch verbunden mit der Verpflichtung, sich auch selbst um Integration zu bemühen: Lehnen Asylbewerber Integrationsmaßnahmen oder Mitwirkungspflichten dagegen ab, werden Leistungen gekürzt, informiert die Bundesregierung gegenüber der Presse. Eine Reihe von Maßnahmen sollen den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern: Die Bundesregierung hebt darunter das Bleiberecht für Geduldete für die gesamte Dauer der Berufsausbildung und die anschließende Beschäftigung hervor. Das gebe ihnen und den Ausbildungsbetrieben Rechtssicherheit. Außerdem kündigte sie bereits mehr Kapazitäten bei den Integrationskursen an, damit Flüchtlinge schnell Deutsch lernen. Zum 1. August 2016 hat der Bund ebenso ein neues Programm "Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen" für 100.000 Arbeitsgelegenheiten auf den Weg gebracht. Um die Arbeitsaufnahme zu erleichtern, verzichte zudem die Bundesagentur für Arbeit für drei Jahre in bestimmten Regionen auf die Vorrangprüfung. Wohnsitzauflage: Sanktion für bessere Planung?

Verpflichtender Wohnsitz: Umstritten 

Weil Integration schwierig sei, wenn zu viele geflüchtete Menschen in Ballungszentren ziehen, können die Länder ihnen in den ersten drei Jahren einen Wohnsitz zuweisen. So verteidigt die Bundesregierung die wohl umstrittenste Regelung des Integrationsgesetzes: die sogenannte Wohnsitzauflage. Es hagelte gerazu Kritik aus vielen Wohlfahrts- und Sozialverbänden. Die Regelung erfuhr sogar nach Informationen der Flüchtlingshilfsorganisation PRO ASYL kurz vor Verabschiedung noch einmal eine Verschärfung, Ausnahme-Tatbestände wurden danach mit einem Antrag der Großen Koalition gestrichen. „Das Gesetz ist ein Etikettenschwindel. Es verspricht Integration und wird das Gegenteil bewirken“, fasste Geschäftsführer Günter Burkhardt die Kritik von PRO ASYL zusammen. Zeitgleich machte sich die Präsidentin des Deutschen Städtetags, Eva Lohse, vor den Beratungen im Bundestag noch einmal stark für eine rasche Einführung der Wohnsitzauflage. Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund hatte in den aktuellen Entwicklungen die Wohnsitzauflagen begrüßt. Aus seiner Sicht tragen sie dazu bei, Integrationsbemühungen der Kommunen zu verstetigen. Alle Beteiligten erhielten auf diese Weise eine bessere Planungsgrundlage.

Unbemerkte Einschnitte ins Asylrecht

Das Deutsche Institut für Menschenrechte in Berlin kritisierte nicht nur die Wohnsitzauflage als unverhältnismäßige Eingriffe in das Recht auf Freizügigkeit und die freie Wahl des Wohnsitzes nach der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie als Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Es machte auch auf eine in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Neuregelung aufmerksam. Diese Regelung wurde nachträglich in den Kabinettsentwurf aufgenommen. Dazu erklärte Referent Dr. Hendrik Cremer, Deutsches Institut für Menschrechte: „Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass ein Asylantrag unzulässig ist, wenn ein Drittstaat bereit ist, die Antrag stellende Person wieder aufzunehmen (Paragraph 29). Damit könnten Menschen ohne ausreichende Prüfung ihres Asylantrags in Staaten, die nicht Mitgliedstaat der Europäischen Union sind und die auch nicht als 'sichere Drittstaaten' im Sinne des Grundgesetzes anerkannt sind, abgeschoben werden. Auf diese Weise könnten die hohen Hürden für die Einstufung von Staaten als 'sichere Drittstaaten' abgebaut werden." Die Gesetzesbegründung zur vorgesehenen Änderung gab keinen Aufschluss über die Zielrichtung dieser Regelung. Die Bundesregierung hat mittlerweile erklärt, es seien keine Einschränkungen des Asylrechts mit der Änderung vorgesehen, teilte Cremer der Redaktion Sozial.de mit. „Wir halten es jedoch für erforderlich, zu beobachten, wie die Regelung in der Praxis interpretiert und angewandt wird“, so Cremer weiter. Er befürchtet, dass die Regelung Grundlage für den Abschluss eigener Rücknahmeübereinkommen Deutschlands für Schutzbedürftige nach dem Muster der EU-Türkei-Vereinbarung werden könne. Damit würden Wege eröffnet, um in Deutschland ankommende Asylsuchende ohne ausreichende Prüfung ihres Antrags in den außereuropäischen Raum abzuschieben – auch in Staaten, in denen ihr Schutz vor Abschiebung in den Verfolgerstaat und auf Zugang zu einem fairen Asylverfahren nicht garantiert ist. Denn nach dem Wortlaut der Regelung könnte möglicherweise entscheidend darauf abgestellt werden, ob sich der Drittstaat zur Rücknahme der Flüchtlinge bereit erklärt, heißt es. Auch der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme rechtliche Bedenken in Bezug auf die Drittstaatenregelung im Asylgesetz geäußert: Angesichts des hohen Schutzes des Grundrechts auf Asyl seien an die Zurückweisung eines Asylantrags hohe Anforderungen zu stellen, war zu lesen. Ob der Katalog der Zurückweisungsgründe diesen hohen Standards entspreche sei zweifelhaft, da er sonstige Drittstaaten mit den anerkannten sicheren Drittstaaten gleichsetze, heißt es aus dem Bundesrat dazu.

Ein Fall für Gerichte

Eine gerichtliche Durchsetzung von Grund- und Menschenrechten scheint unausweichlich. Gegen Wohnsitzauflagen hätten bereits Betroffene in der Vergangenheit geklagt, so Cremer. „Wenn es jetzt zu Wohnsitzauflagen sogar für anerkannte Flüchtlinge kommt, werden diese ein Fall für die Gerichte.“ Recherchiert von Ines Nowack 

 

 


Quelle: u.a. Presseinformationen der Bunderegierung, von PRO Asyl, des Deutschen Städtetages und des Deutschen Städte- udn Gemeindebundes und aus dem Deutschen Institut für Menschenrechte sowie eigene Recherchen