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Verbände begrüßen einhellig Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass die Sanktionspraxis der Jobcenter in weiten Teilen verfassungswidrig ist. Die großen Sozialverbände sehen sich in ihren Einschätzungen bestätigt und fordern nun Veränderungen durch den Gesetzgeber. Sozial.de hat einige Reaktionen zusammengetragen.

Die harte Sanktionspraxis von Jobcentern war schon lange der stärkste Kritikpunkt an den Hartz-Reformen, die Anfang dieses Jahrhunderts die Organisation der Sozial- und Arbeitslosenhilfe auf den Kopf gestellt haben. Menschen, die nicht vollumfänglich an der (Wieder-)Eingliederung in den Arbeitsmarkt 'mitwirkten', wurden finanziell sanktioniert. Den Ärmsten nahm der Staat bis zu 100% der ohnehin knapp bemessenen Sozialleistungen. Besonders litten unter 25-jährige unter der Sanktionspraxis, da bei ihnen verschärfte Regeln angewendet wurden. Das BVerfG hat die bisherige Praxis für verfassungswidrig erklärt. Das Urteil wirkt ab sofort, sodass Jobcenter nicht mehr alle Sanktionsstufen greifen lassen dürfen. In begründeten Fällen ist nur noch eine Kürzung um 30% der Regelleistung erlaubt. Darüber hinaus dürfen keine Strafmaßnahmen mehr eingeleitet und angedroht werden.

Differenzierte Reaktionen der Verbände

Das Echo von Expert*innen und Sozialverbänden ist einhellig positiv. Kein Wunder: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt Positionen, die fast alle Wohlfahrtsverbände z.T. schon seit Jahren vertreten haben. Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband geht das Urteil allerdings nicht weit genug. Er betont, dass aus Sicht seines Verbandes alle Sanktionen abgeschafft werden müssten. Dass überhaupt mit derlei Strafandrohungen gearbeitet werde, bezeichnet Schneider als „Rohrstockpädagogik“, für den Paritätischen gelte das Prinzip „Hilfe statt Strafe“. In seiner Bewertung übt Schneider heftige Kritik an der Bundesregierung, für die das Urteil „beschämend“ sei. Hintergrund ist, dass sich die Regierungsparteien trotz des drohenden Urteilsspruchs nicht auf eine gemeinsame Position zur Sanktionspraxis der Jobcenter einigen konnten.

Maria Loheide, für Sozialpolitik zuständiger Vorstand bei der Diakonie Deutschland, freut sich über ein Ende der Beliebigkeit. Der Gesetzgeber könne nun nicht mehr ‚einfach so‘ die Sozialleistungen minimieren. Für Loheide ist es ohnehin ein unauflösbarer Widerspruch, dass zunächst ein Existenzminimum festgelegt werde, das bei Fehlverhalten dann aber gekürzt werden könne.

Eine differenzierte Position vertritt der Deutsche Caritasverband (DCV). Dessen Vorsitzender Peter Neher erklärte, dass der DCV „nicht grundsätzlich“ gegen Sanktionen sei. Angemessene Mitwirkung könne von Menschen erwartet werden. Dennoch stellt auch Neher klar: „Je stärker das Existenzminimum gekürzt wird, desto unwahrscheinlicher wird es, dass Menschen unabhängig von ALG II werden“. Auch für ihn widerspricht das Unterschreiten des Existenzminimums den Prinzipien eines menschenwürdigen Lebens.

Ein besonderes Augenmerk auf die Gruppe der unter 25-jährigen legt Wolfgang Stadler, Vorsitzender des AWO Bundesverbands. So freut er sich zwar einerseits über das „Ende der Vollsanktionierung“, doch müsse nun sichergestellt werden, dass auch für die jungen Menschen die verschärfte Sonderbehandlung ein Ende habe. Das sei vor dem Hintergrund, dass das Gericht diese nicht explizit erwähnt habe, nicht automatisch sichergestellt. Stadler machte daher klar, dass Sanktionen immer demotivierend wirkten. Dies gelte für „alle Leistungsbezieher gleichermaßen“.

Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge, der im Verfahren als sog. sachverständiger Dritter mitwirkte, begrüßt das Urteil ebenfalls. Die Grundprinzipien des Urteils folgten der Auffassung des Deutschen Vereins. So könnten Sanktionen im Einzelfall sinnvoll sein, jedoch nicht in Form einer Kürzung des Existenzminimums. Michael Löher, Vorstand des Deutschen Vereins, fordert nun eine konsequente gesetzliche Fortentwicklung der Regelungen. Auch er fordert u.a. die Aufhebung der umstrittenen Differenzierung  zwischen Leistungsbezieher*innen unter und über 25 Jahren.

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