Allein stehender randvoller Mülleimer in hoch stehenden Wassermassen

Und was wird aus mir?

Niklas wird uns verlassen. Er geht in die Schweiz. Etwas Eigenes will er sich aufbauen, mit seiner Frau. Und ich bin sauer, gar nicht traurig. Ich sollte doch traurig sein, wenn mein Lieblingskollege sich verabschieden möchte. Bin ich aber nicht. Bin ich vielleicht neidisch? Manchmal möchte ich auch weg hier und nochmal etwas ganz anderes machen. Ich weiß nur nicht was, und die letzten eineinhalb Jahre habe ich eher im Überlebensmodus verharrt, als an Entwicklungsmöglichkeiten zu denken.  

Außerdem ist es ja so, dass ich meine Arbeit im Grunde sehr liebe. Ich arbeite gern mit den Familien, ich mag meine Kollegen und die Kolleginnen, nur das Drumherum stört mich oft. Ich ärgere mich, dass ich von der Zeit, die ich beruflich unterwegs bin, nur die Hälfte abrechnen kann, weil die Wegezeit von Familie A nach Familie B nicht in der Fachleistungsstunde enthalten ist. Dabei ist es eigentlich Anpassungszeit, wenn ich meinen Kopf frei mache von den Eindrücken und den Stimmungen in Familie A, damit ich aufmerksam sein kann für die Situation in Familie B. Ich finde, diese Anpassungsleistung hat mehr Beachtung und Wertschätzung verdient. Aber wie kann unsichtbare Arbeit sichtbar gemacht werden?

Und überhaupt, warum ist die ambulante Jugendhilfe so wenig sichtbar? Und warum machen wir uns nicht sichtbar? In der gesamten Corona- Berichterstattung wurden wir nur am Rande  erwähnt. In den Berufsverbänden – ja wie viele von uns sind denn dort wohl vertreten? Und die innerbetriebliche Mitbestimmung könnte auch verbindlicher sein. Da wo ich arbeite, wird immer wieder mal gefragt, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich wünschen und dann ändert sich doch nichts.

So wie bei der Umfrage zur nachhaltigen Betriebsentwicklung. Jetzt haben wir zwei Ventilatoren, weil es im Sommer recht heiß wird, in den Räumen und im Treppenhaus. Jalousien wären die klimafreundliche Maßnahme gewesen. Aber das sei eine bauliche Veränderung und deshalb nicht so einfach machbar, sondern genehmigungspflichtig und somit zu aufwändig. Und über einfache Vorhänge wurde erst gar nicht nachgedacht. So etwas ärgert mich - und nicht nur das. Ich ärgere mich über die Papiermassen, die in den Schredder gestopft werden, über die mehrfach plastikverpackten Süßigkeiten im Kühlschrank genauso wie über die Lebensmittel, die unverpackt gekauft werden und dann in der Mülltonne landen. „Katja Ärgertsich“ kritzelt Ilkay und erinnert mich daran, dass inzwischen immerhin die Getränke in Mehrwegflaschen gekauft werden und nicht mehr im Einwegplastik, das bei der Rückgabe geräuschvoll zerquetscht wird.  

Mein junger Kollege freut sich über das „Kunst-aus-Müll- Projekt“, das gemeinsam mit einer Schule veranstaltet wurde und darüber, dass er mit Phil über das Umweltthema und die Kunst gut in Kontakt gekommen ist. Und Phil war richtig gut drauf  - bis Mitte Juli. Dann waren die Überschwemmungen – Klimatote und Klimaflüchtlinge - jetzt auch in Deutschland. Da hat er sich wieder eingeschlossen. Weder für seine Mutter noch für den Jugendhelfer ist er ansprechbar gewesen.  Trotzdem schaut Ilkay auf die Erfolge. Die Beziehung zwischen Phil und seiner Mutter sei viel besser geworden, sagt er. Und das stimmt wirklich. Sie hat sich bei ihrem Sohn entschuldigt und gesagt, dass sie einfach Angst um ihn hatte und nicht wusste, wie sie mit seiner Depression umgehen soll. Die Zukunftsängste ihres Sohnes nimmt sie sehr ernst, nicht erst seit Juli. Allerdings fühlt sie sich jetzt auf andere Weise oft hilflos. Mülltrennen genügt nicht und auch die Umstellung auf fleischlose Ernährung macht nur solange Mut, bis die nächste Umweltkatastrophe in den Nachrichten ist.

Wenn ich ehrlich bin, pendele ich auch zwischen Zuversicht und Resignation hin und her. Ich sollte die Kinderschutzausbildung machen, meint Niklas und mich in die Gremienarbeit wagen oder in die Politik gehen. „Nicht aufgeben“, sagt er. Ärger ist ein guter Motor und ermutigende Worte wirken wie Treibstoff. „Kinderschutz braucht Klimaschutz! Das wäre doch ein guter Slogan, ein Motto fürs Banner, der Schriftzug für mein Plakat bei der nächsten Demo“ meint Ilkay. Und schon hat er unserem Kinderschutzordner ein neues Deckblatt verpasst.

 

Ihre Katja Änderlich