Turmbautonkuhle - Wer Türme baut, will hoch hinaus...

von Dr. Jos Schnurer
27.01.2010 | Sozialpolitik | Schwerpunkte Kommentare (0)

Turmbau zu Dubai: Der kürzlich in der Hauptstadt des arabischen Emirats Dubai eröffnete, mit 828 Metern höchste Wolkenkratzer der Welt mit dem wohlklingenden Namen Burj Chalifa, hinterlässt eine Reihe von Fragen und Ungereimtheiten.

Ich will nicht mit der biblischen Warnung vom Turmbau zu Babel beginnen, bei dem die Vermessenheit der Menschen, in den Himmel zu bauen, mit Verwirrung bestraft wurde. Der kürzlich in der Hauptstadt des arabischen Emirats Dubai eröffnete, mit 828 Metern höchste Wolkenkratzer der Welt mit dem wohlklingenden Namen Burj Chalifa, hinterlässt eine Reihe von Fragen und Ungereimtheiten. Sie beginnen mit der Pleite des staatlich-privaten Investitionsunternehmens Dubai World, das im Dezember vergangenen Jahres die Zahlungsunfähigkeit eingestehen musste und vor dem Zusammenbruch nur dadurch gerettet werden konnte, dass das benachbarte Emirat Abu Dhabi einen Teil der Schulden von vermutlich rund 100 Milliarden US-Dollar übernahm. Während Prominente, Scheichs und Vertreter von Regierungen in der Welt den Burj Chalifa als das bisher phantastischste und kühnste Menschenwerk feierten, der Champagner (in einem arabischen Land!) in Strömen floss, gibt es genug Warner, die davon ausgehen, dass das bisher höchste Bauwerk der Welt im wahrsten Sinne des Wortes auf Sand und im kapitalistischen Sinne auf Schulden gebaut sei. Die Zeitung The Epoch Times Deutschland spricht davon, dass damit das arabische Emirat Dubai zu seinem gigantomanischen "Business-as-usual" zurück gekehrt sei, was bedeutet, dass die von vielen Orten und aus zahlreichen Mündern verlautete Ankündigung, die Lehren aus der Weltwirtschafts- und -kapitalkrise des vergangenen Jahres ziehen zu wollen, sprichwörtlich in den Sand gesetzt werden. Denn Dubai ist überall! Der amerikanische Journalist und Schriftsteller Jim Krane beobachtet seit Jahren, wie sich Dubai von einer Wüstenei zum "Las Vegas" des Nahen Ostens entwickelt hat. In seinem 2009 in den USA erschienenem Buch "City of Gold. Dubai and the Dream of Capitalism" zeigt er nicht nur auf, welche politischen und ideologischen Vereinbarungen zwischen Dubai, den Vereinigten Emiraten und den arabischen Nachbarn getroffen wurden, um den Zusammenbruch des Scheichtums zu retten, vermutlich bis hin zu einer stärker koordinierten Frontstellung gegen Israel und den Westen, sondern er erzählt auch die eigentlich völlig unislamische Entwicklung eines zügellosen Kapitalismus, von Prostitution und sklavenähnlicher Ausbeutung in Dubai.

Damit sind wir vom Turmbau zu Dubai angelangt bei der Frage "Zur Lage der Welt", wie sie das Worldwatch Institute 2009 stellt: "Die Weltfinanz- wie die Klimakrise sind das Ergebnis eines stürmischen ökonomischen Wachstums, das auf ungedeckten Wechseln beruhte" (vgl. dazu: Worldwatch Institute (Hrsg.): Zur Lage der Welt 2009 (Erderwärmung). Verlag Westfälisches Dampfboot (Münster) 2009; in: : socialnet Rezensionen unter https://www.socialnet.de/rezensionen/7730.php).

Wir befinden uns auf dem klitschigen Terrain, das als "Raubtierkapitalismus" beschrieben wird (Peter Jüngst, "Raubtierkapitalismus"?, Psychosozial-Verlag, Gießen 2004; in: https://www.socialnet.de/rezensionen/1787.php).

Wir reden von den "Globalisierungsmachern" (Nicola Liebert / Barbara Bauer, Die Globalisierungsmacher, Berlin 2007, in: https://www.socialnet.de/rezensionen/8775; vgl. auch: Atlas der Globalisierung, taz verlags- und vertriebs GmbH, Berlin 2007; in: https://www.socialnet.de/rezensionen/5478.php).

Wir müssen uns auseinander setzen mit der "Weltrisikogesellschaft und der Notwendigkeit, einen Perspektivenwechsel zu vollziehen und die Welt neu zu vermessen (Ulrich Beck: Die Neuvermessung der Ungleichheit unter den Menschen, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 2008; in: https://www.socialnet.de/rezensionen/7197.php).

Es muss uns gelingen, endlich die Frage nach globalen Menschenrechten zu stellen (Roland Klautke, Brigitte Oehrlein, Hrsg.: Globale soziale Rechte. VSA-Verlag, Hamburg 2008, in: https://www.socialnet.de/rezensionen/7865).

Denn Prognosen, Vorschläge, Modelle und Theorien dazu gibt es genug. Sie reichen von den Weltberichten an den Club of Rome, über die von der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung 1987 geforderten Umkehr hin zu einer nachhaltigen, menschen- und umweltverträglichen Entwicklung (Brundtland-Bericht), bis hin zu den im Jahr 2000 von den Vereinten Nationen formulierten Millenniumszielen. Es geht um die Frage "Wem gehört die Welt?" (Heinrich-Böll-Stiftung, Silke Helfrich, Hrsg.: Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter, ökom Verlag, München 2009: in: https://www.socialnet.de/rezensionen/7908.php). Ob dabei das "Ende des Kapitalismus" eingeläutet werden muss (Emar Altvater: Das Ende des Kaitalismus, wie wir ihn kennen. Eine radikale Kapitalismuskritik, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2005; in: https://www.socialnet.de/rezensionen/3249.php), ob es Perspektiven für eine kritische internationale politische Ökonomie gibt (Eva Hartmann, Caren Kunze, Ulrich Brand, Hrsg., Globalisierung, Macht und Hegemonie. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2009; https://www.socialnet.de/rezensionen/7881.php), oder ob ein "guter Kapitalismus" möglich ist (Sebastian Dullien / Hansjörg Herr / Christian Kellermann, Der gute Kapitalismus, transcript Verlag, Bielefeld 2009; in: www.socialnet.de/rezensionen/8846.php) ist nur ideologisch zu diskutieren; und von daher nur wenig hilfreich, das zu gewinnen, was der griechische Philosoph Aristoteles dem zôon politikon, ins Stammbuch geschrieben hat: Der Mensch ist ein vernunftbegabtes und nach einem guten Leben strebendes politisches Lebewesen! Denn der "Preis der Wahrheit" (Marcel Hénaff: Der Preis der Wahrheit. Suhrkamp Verlag (Frankfurt/M) 2009. 635 Seiten. ISBN 978-3-518-58518-4; in: https://www.socialnet.de/rezensionen/8665.php) ist nicht auf dem Turm zu finden, so hoch er auch sein mag, auch nicht in den Katakomben der Weltanschauungen (John Gray: Politik der Apokalypse. Klett-Cotta Verlag (Stuttgart) 2009. 360 Seiten. ISBN 978-3-608-94114-2; in: https://www.socialnet.de/rezensionen/8457.php), sondern möglicherweise in der Besinnung darauf, dass es einer neuen Entdeckung eines humanistischen Denkens und Handelns bedarf, damit die Menschheit human weiter leben kann (Jörn Rüsen / Henner Laass, Hrsg., Interkultureller Humanismus, Wochenschau Verlag, Schwalbach 2009; in: https://www.socialnet.de/rezensionen/8537.php).

Der tröstliche und gleichzeitig herausfordernde Gedanke ist: "Wir haben die Wahl" (Al Gore, Wir haben die Wahl, Riemann Verlag, München 2009; in: https://www.socialnet.de/rezensionen/8911.php). Ob wir weiter wie bisher "Immer-weiter-immer-schneller-immer-mehr-immer-höher" bauen und leben wollen, oder ob der Perspektivwechsel, wie ihn die Weltkommission "Kultur und Entwicklung" (1995) in der Hoffnung auf die kreative Vielfalt der Menschheit formuliert hat - "Die Menschheit steht vor der Herausforderung umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden" - möglich ist, das entscheiden wir selbst; z. B. auch dadurch, dass wir uns in lokalen und globalen Zusammenhängen  engagieren und nicht andere alleine ihre Türme bauen lassen. Die Konstruktion des höchsten Gebäudes der Welt mag eine technische Herausforderung und ein Hinweis auf die Machbarkeit menschlichen Lebens sein; sie ist aber auch ein Fingerzeig, dass der Mensch nicht alles machen darf, was er kann; jedenfalls dann nicht, wenn der Nutzen des einen zum Schaden für den anderen wird, ökonomisch, ökologisch und human!