Einzelne Blätter eines Kalenders
Claudio Schwarz / Unsplash

So, lieber doch nicht

02.10.2023

Ich habe eine Stellensuche-Anzeige aufgegeben und in der ersten Woche gleich fünf Anfragen bekommen. Einen der Träger kenne ich schon, da hatte ich vor drei Jahren ein Vorstellungsgespräch, und ich erinnere mich an die schönen Räume und das kleine Gehalt, das sie mir anboten. Als ich sagte, dass ich mich finanziell nicht verschlechtern möchte, wollten sie meine Gehaltsabrechnung sehen, weil sie mir nicht glaubten. Schlechte Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit, dachte ich nur. Ob ich trotzdem antworten soll? Vielleicht hat sich ja dort etwas verändert. Und ob sie sich an mich erinnern? Im Stellengesuch wird ja mein Name nicht angegeben.

Das zweite Angebot kommt auch von einem großen Träger. Dort soll der Bereich ambulante Hilfen aufgebaut werden. Das ist interessant, erinnert mich aber auch ein bisschen an die Situation, als ich hier anfing. Ich weiß, wie schwierig es ist, die Abläufe der ambulanten Hilfen mit denen der stationären und den Kitas kompatibel zu machen bzw. umgekehrt. Die Finanzierung ist eine andere und die vorhandenen Abrechnungs- und Dokumentationsmaterialien können nicht einfach so übernommen werden. Ich will es mir trotzdem gern anschauen und kann zwei Tage hospitieren. Wundere mich ein wenig, dass ich keine Datenschutzvereinbarung unterschreiben soll, denn schließlich nehme ich an der Teamsitzung teil und sogar an der Supervision, habe Einblick in die Klient:innendaten und die internen Kommunikationsabläufe. Und bei der internen Kommunikation denke ich zwei Tage lang den Begriff „Ent-Menschlichung“. Hier läuft alles nur über den Online-Kalender. Da gibt es Einladungen zu Hilfekonferenzen, Einladungen zu Mitarbeiterbesprechungen (ja die gendern auch nicht), Einladungen zu Qualitätszirkel, da kannst du annehmen oder ablehnen, wobei ablehnen bedeutet, dass du da nicht kannst. Alle Fachkräfte führen zwei Online-Kalender, einen persönlichen und einen fürs Team. Wer aus den Leitungsetagen welchen Kalender einsehen und bearbeiten kann, ist mir nicht klar, und auch den Sinn dahinter verstehe ich nicht. Ich führe einen Taschenkalender aus Papier und online nutzen wir nur den Raumkalender als Team. Und ich habe keine Lust nur noch Online-Kalender zu führen, und alle Termine nur deshalb einzutragen, damit andere sehen, wann ich mich wo aufhalte oder „zur Verfügung stehe“. Und außerdem – bloß weil ich keinen Arbeitstermin eingetragen habe, heißt es ja noch lange nicht, dass ich nicht etwas anderes mache. Ich werde ja wohl kaum „Dienstag, 9 Uhr Frühstück mit Gabi“ oder „Montag, 18 Uhr Improtheaterworkshop mit Sven“ oder „Mittwoch, Zahnarzt mit Bauchweh“ veröffentlichen. Und Terminabsprachen treffe ich immer noch gern telefonisch. Jetzt weiß ich unseren Betriebsrat noch mehr zu schätzen und verstehe seine hartnäckig kritische Haltung, als es um die Einführung des Office 365 ging. Und ich finde, ein kritischer Betriebsrat ist auch ein Pluspunkt und ein Grund, um zu bleiben. Ich bin froh, dass ich nur hospitiert habe, und die Bemerkung, der Kollegin, bei der ich zwei Tage „mitlaufen“ durfte, gibt mir zusätzlich zu denken. „Ambulante Hilfen sind attraktiv für die Unternehmen, weil sie hohe Einnahmen bringen und wenig Kosten verursachen. Weil wir aufsuchend arbeiten, entstehen kaum Raumkosten, die Fachkräfte arbeiten oft monatelang mit ihren privaten Handys, den Büroarbeitsplatz teilen wir uns mit zehn anderen. Dienstlaptops haben nur die Teamleitungen und einige der Vollzeitkräfte nach Ablauf der Probezeit“.

Ich möchte ja sowieso viel lieber wieder bei einem kleinen Träger arbeiten, mit Erfahrung in den ambulanten Hilfen zur Erziehung und von Mensch zu Mensch Kommunikation - auch zwischen Geschäftsführung und Fachkraft. Die beiden kleinen Träger sind aber leider am anderen Ende der Stadt, und ich hätte wieder etwa eine Stunde Fahrtweg.
Ich werde also zunächst erstmal bleiben, und als ob es noch eine Bestätigung gebraucht hätte, kommt eine Fallanfrage, bei der konkret ich als Fachkraft angefragt werde. Da kann ich nicht Nein sagen. Anfang Oktober soll die Hilfekonferenz sein, direkt nach meinem kleinen Herbsturlaub. 

Ihre Katja Änderlich