Schlechte Werbung und viel Spannung
Als meine Kollegin, die Familientherapeutin, fragte, worüber ich in diesem Monat schreibe, fiel mir erst ein, dass ich noch gar kein Thema habe. Ich weiß natürlich, dass sie möchte, dass ich über sie schreibe, über uns. Sie will wissen, wie ich über sie denke. Das hat sie mir nach einem Streitgespräch gesagt, und ich dachte Hoppla, das möchte ich lieber in die Supervision nehmen. Da brauche ich eine Moderation, es hat sich ziemlich viel angestaut zwischen uns. Der gemeinsame Fall war schneller beendet, als wir dachten. Die junge Mutter, die erneut schwanger war, ist einfach weggezogen, aufs Land und hat uns damit gezeigt, was sie kann, wenn sie will. Ob die Kollegin vom Jugendamt mit der Behörde am neuen Wohnort Kontakt aufgenommen hat, weiß ich nicht, und ich muss es auch nicht wissen. Mit unserem Abschlussbericht und der Empfehlung ist unser Auftrag abgeschlossen.
Das denke zumindest ich. Meine Kollegin will alles nochmal nachbesprechen, den gesamten Verlauf reflektieren. Ich habe dazu keine Lust und nehme den Unmut wahrscheinlich mit ins neue Jahr, genauso wie die unterdrückte Empörung bei der letzten Hilfekonferenz, kurz vor Weihnachten.
Die junge Mitarbeiterin des Jugendamtes, von der die Fallanfrage kam, kannte ich noch nicht. Ich ging natürlich davon aus, dass sie freundlich und den Kindern zugewandt ist, so wie die meisten Kolleg*innen im Amt. Die Jugendämter haben sich im letzten Jahr wirklich viel Mühe gegeben und sich viel einfallen lassen, um als hilfreiche Institution wahrgenommen zu werden. Es gab offene Sprechstunden in Kitas, Familienzentren und sogar im Jugendtreff – und dann sowas.
Zum Termin war eine alleinerziehende Mutter mit ihren beiden Söhnen erschienen. Die Schule hatte eine Meldung gemacht wegen der vielen Fehlzeiten, also eine Schulversäumnisanzeige, und die Mutter befürchtete, dass sie nun Strafe zahlen muss. Sie stand ziemlich unter Stress. Die Jugendamtskollegin versuchte sie zu beruhigen und fragte dann auch die Jungs, was sie sich wünschen und was sich zuhause verändern soll.
„Zuhause soll es besser werden“, sagten sie beide, die Stimmung sei nicht gut, sie würden sich immer ins Zimmer zurückziehen, weil die Mama so viel schimpft.
„Ja, ihr habt eurer Mama wirklich viel Kummer bereitet“, sagt die junge Sozialarbeiterin, und meine Gesichtszüge entgleisen. „Außerdem gibt es eine Schulpflicht. Wisst ihr das?“
Die Jungs nicken und beide Köpfe bleiben gesenkt.
„Wollt ihr, dass ich euch die Polizei schicke?“ legt sie nach. „Das wird teuer. Euer Taschengeld wird dafür ganz bestimmt nicht ausreichen“.
„Naja, nun bin ich ja erstmal da“, gelingt es mir sie zu unterbrechen. „Ich gehe davon aus, dass, solange ich mit der Familie arbeite, keine Polizei und keine Strafgelder kommen. Hilfe geht schließlich vor Strafe, oder?“
Die Jungs schauen zu mir, und irgendwie gelingt es, die Sitzung zu beenden, und ich verabrede mich für den ersten Hausbesuch.
Bei Arian ist auch schlechte Stimmung. Er fragte, ob ich vertretungsweise einen Kinderschutzfall übernehmen kann. Na, da hat er ja wohl etwas ganz Grundsätzliches nicht verstanden, dachte ich und habe es ihm auch so gesagt. Ich bin als ISEF und Kinderschutzbeauftragte nur für die Fachkräfteberatung in Kinderschutzfällen zuständig und für die Entwicklung des Schutzkonzeptes, nicht für die Beratung der Familien.
Er scheint ziemlich in Not, da die Hälfte seiner Mitarbeitenden in Urlaub ist, und die anderen meldeten sich nach und nach krank. Jetzt muss er selber die Vertretungen übernehmen und hofft, dass er keine Kriseneinsätze machen muss.
Ihre Katja Änderlich*
*Pseudonym der Autorin