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Pflegereform 2012 - Die Berücksichtigung von Demenzkranken in der Pflege ein Fortschritt, Fehlschlag oder fehlerhafte Alternativen?

von Prof. Dr. Suitbert Cechura
04.06.2012 | Altenhilfe, Sozialpolitik | Schwerpunkte Kommentare (0)

Kaum waren die ersten Entwürfe für eine Reform der Pflegeversicherung auf dem Tisch, setzte auch schon die Debatte ein, ob diese Reform gelungen sei:

„Als „Reförmchen“ bezeichnete das Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Annelie Buntenbach, die am Mittwoch beschlossenen Pläne. Die geplante Beitragsatz-Anhebung sei „absolut unzureichend“. Allein die notwendige Einbeziehung von demenzkranken Menschen in die Pflegeleistungen erfordere bis zu 3,6 Milliarden Euro.“ (sueddeutsche.de)

Die Einbeziehung der Demenzkranken wird einhellig als überfällig angesehen, gleichzeitig bekunden die Kritiker, dass die Reform unvollständig sei, würden doch die Mittel für die Betreuung und Pflege der älteren Menschen in absehbarer Zeit nicht reichen. Wer die Reform als Reförmchen bezeichnet, unterstellt der Politik das eigene identische Anliegen. Mit der Titulierung des Gesetzes als „Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz, gibt der Gesetzgeber zu erkennen, das er mit diesem Gesetz neue Wege beschreiten will. Stellt sich somit die Frage, ob beide Seiten das gleiche Anliegen teilen, oder ob der Vorwurf des Reförmchens an der Sache vorbeigeht.

Die Diagnose

Der Gesetzgeber hat seine Sicht der Problemlage in einer kurzen Begründung des Gesetzes unter dem Titel „Problem und Ziel“ zusammengefasst:

„Heute sind bereits circa 2,4 Millionen Menschen pflegebedürftig. In wenigen Jahrzehnten wird die Zahl auf über 4 Millionen Menschen steigen. Ein hoher Anteil der pflegebedürftigen Menschen ist zugleich an Demenz erkrankt. Gleichzeitig sinkt die Bevölkerungszahl insgesamt, so dass der prozentuale Anteil der pflegebedürftigen Menschen noch schneller ansteigen wird. Dieser Wandel stellt große Herausforderungen an die Weiterentwicklung der pflegerischen Versorgung und ihre Finanzierung.“
(Begründung des “Entwurf eines Gesetzes zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung“ (Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz – PNG) vom 22.3.12 im Folgenden „Begründung“)

Ausgangspunkt ist die wachsende Zahl an Pflegebedürftigen und die zunehmende Anzahl an Demenzkranken. Diesen wird gegenübergestellt eine sinkende Bevölkerungszahl. Was als Problemdefinition hier aufgeführt wird, ist ein Verhältnis, das die Politik hergestellt hat, dass die jungen Menschen durch Beiträge oder eigene Pflegeleistungen für die Versorgung der alten und Pflegebedürftigen aufzukommen haben. Sorge bereitet ihr nicht der aktuelle Zustand, sondern die Zukunft. Wenn sie die Bevölkerungsentwicklung beschwört, dann deshalb, weil sie diese gleich als potentielle Pflegefälle, potentielle Arbeitnehmer und damit Beitragszahler zur Pflegeversicherung  und als potentielle pflegende Angehörige betrachtet und von daher ein Missverhältnis entdecken will. So wie die Pflegeversicherung momentan finanziert wird und so wie momentan die pflegenden Angehörigen einbezogen sind, kann die Pflege in der Zukunft nicht funktionieren. Aber genau daran ist die Politik interessiert und deshalb sieht sie Handlungsbedarf. Dieses Verhältnis ist aus Sicht der Politik bedroht, weil ein Teil dieser Alten bislang gar nicht in der Pflegeversicherung berücksichtigt worden ist, zum anderen weil die bestehende Finanzierung die eingerichteten Leistungen nicht mehr abdecken wird. Mit dieser Problem und Zieldefinition wird nicht mehr und nicht weniger versprochen, als dieses Verhältnis wieder ins Lot zu bringen, dafür zu sorgen, dass die Demenzkranken eine Berücksichtigung finden und die Finanzierung dieser Leistungen geregelt wird.

Die Therapie

Eine Kritik an der bisherigen Politik will der Minister mit seiner aktuellen Reform nicht ausgesprochen haben, wenn er anführt, warum die Demenzkranken bislang in der Pflegeversicherung nicht oder nur mangelhaft berücksichtigt wurden:

„Als die Pflegeversicherung 1995 eingeführt wurde, wurden keine eigenständigen, auf die Situation Demenzkranker zugeschnittenen Leistungsangebote eingeführt, da die Erkrankung damals noch nicht so häufig auftrat.“ (Begründung)

Die Begründung macht die Sichtweise der Regierenden deutlich: Für die Pflege eines an Demenzkranken macht es keinen Unterschied, ob diese selten oder häufig auftritt. Doch darum geht es bei der Reform offensichtlich nicht. Für die Finanzierung der Pflege ist dieser Unterschied jedoch gewaltig. So wurde bei der ersten Fassung der Pflegebedürftigkeit die Betreuung der Demenzkranken ausgeklammert, weil man offenbar davon ausging, dass die Familien oder Angehörigen diese Leistung selbstverständlich eigenständig  vollbringen würden und die Kosten für die Pflegeversicherung gering gehalten werden sollten. Deshalb erklärt der Minister die damals geringere Zahl an Demenzkranken zu einer vernachlässigbaren Größe, die die Gründer der Pflegeversicherung mit Recht außen vor gelassen haben. Ihre wachsende Zahl bereitet aber zunehmend Probleme, die darin bestehen sollen, dass die Betroffenen nicht in der Pflegeversicherung berücksichtigt wurden:

„Es bedarf einer Fortentwicklung der Leistungsangebote der Pflegeversicherung, damit sie den Herausforderungen der Zukunft gerecht werden. Zudem muss neu definiert werden, wer als pflegebedürftig anzusehen ist, und geklärt werden, welchen Hilfebedarf insbesondere an Demenz erkrankte Menschen haben. Ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff ist in mehreren Schritten umzusetzen. Vor Einführung des neuen Begriffs werden die noch zu klärenden umfassenden Umsetzungsfragen parallel zu diesem Gesetzgebungsverfahren von einem Expertenbeirat bearbeitet und damit die erforderlichen weiteren Schritte vorbereitet.“ (Begründung)

Worin die Herausforderung der Zukunft und die Weiterentwicklung der Pflege aus Sicht des Ministers besteht wird deutlich, wenn er die Frage aufwirft, wer denn überhaupt als pflegebedürftig anzusehen ist. Es mutet jedoch seltsam an, zu fragen, welchen Hilfebedarf ein Demenzkranker hat, ist dies doch mehr als bekannt und vielfach dokumentiert (MDS-Bericht 2007,  2012, Breitscheidel 2005, 2011, WAZ 26.3.2012 , SZ 17.1.2012). Mit seinen Fragen weist der Minister darauf hin, dass es eine Differenz ausmacht, ob man pflegebedürftig ist oder ob man als pflegebedürftig anzusehen ist, welchen Hilfebedarf ein Demenzkranker hat und welche Hilfe man ihm zugesteht. Deshalb besteht die Fortentwicklung des Leistungsangebotes auch nicht in der Beseitigung der bekannten Mängel der Pflege. wie häufige Druckgeschwüre wegen Pflegemängel, Mangelernährung und mangelnde Flüssigkeitszufuhr, Psychopharmakaeinsatz zur Ruhigstellung und Fixierungen am Bett mit der Konsequenz von Strangulationen, die zum Teil tödlich verlaufen. Diese Mängel sind offenbar keiner Erwähnung wert und man kann annehmen, dass die Politik mit diesem von ihr mit herbeiregierten Zustand weitgehend zufrieden ist, was sich auch darin zeigt, dass sie einen Pflege-TÜV geschaffen hat, der diesen Zuständen stets positive Zeugnisse ausstellt. Mit der Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs stellt sich der Minister einem ganz anderen Problem: Ein neuer Pflegebegriff stellt eine Regelung dar, welche Leistungen man von den Betroffenen und ihren Angehörigen abverlangen will und ab wann Leistungen durch die Pflegeversicherung als notwendig anerkannt werden, außerdem müssen die Leistungen untereinander in ein Verhältnis gebracht werden – was gehört zur Betreuung, was zu hauswirtschaftlichen Leistungen und was zur Pflege – und das Ganze soll sich in einem Rahmen bewegen, die die Regierung für finanzierbar hält. Insofern bedarf es einer besonderen Expertise zur Entwicklung eines Pflegebedürftigkeitsbegriffes, der nicht erfasst, was die Pflegebedürftigen brauchen, sondern was ihnen durch die Politik als berechtigten Anspruch zugebilligt wird. Dies soll nicht einfach als eine politische Zuteilung daherkommen, sondern als Ausdruck der besonderen Berücksichtigung der Person und seines Leidens. Diese Zuteilung soll als sachlich begründet erscheinen und dazu beruft der Minister einen Kreis von Experten – Wissenschaftlern und Verbandsvertretern, die diesen Begriff ausarbeiten sollen. Dies hatte bereits schon die Vorgängerregierung auf den Weg gebracht und dieser Expertenrat hat umfangreiche Gutachten und Übergangsbestimmungen ausgearbeitet, denn schließlich schafft jede neue Berechtigung auch Einschnitte bei bestehenden Rechten. So bedeutet die Weiterentwicklung des Leistungsangebotes ja nicht, dass jeder in Zukunft mehr bekommt, sondern es kann auch Fälle geben, wo berechtigte Leistungsansprüche beschnitten werden. Deshalb sind Übergangsbestimmungen notwendig, damit die Betroffenen sich umstellen und auf die neue Rechtssituation einstellen können. Die Ergebnisse dieser Experten haben dem Minister nicht gefallen, denn er hat ihre Gutachten mit dem neuen Gesetz vom Tisch gewischt und einen neuen Expertenrat berufen. Er kann offenbar davon ausgehen, dass die Neuberufenen ein ihm genehmes Ergebnis erarbeiten werden. Der Verdacht der Gefälligkeitsgutachten kommt dabei seltsamer Weise nicht auf. Greifen doch die Wissenschaftler die Problemdefinition des Ministers als Sachzwang auf, den es zu lösen gilt. Deshalb gilt diese Tätigkeit nicht als anrüchig. Im Gegenteil, innerhalb der Zunft gilt eine solche Berufung als eine Auszeichnung, womit einiges über diese Sorte Expertentum ausgesagt ist.

Vorsorge

Neue Leistungen erfordern eine zusätzliche Finanzierung. Deshalb hatte der Minister vorab klargestellt, dass er bei der Reform an den Grundsätzen der Pflegeversicherung festhält, wenn er die Neuausrichtung betreibt:

„Die Pflege wird in Deutschland überwiegend von Familien gemacht, das ist auch richtig so, denn es geht bei der Pflege mir auch um den Zusammenhalt in der Gesellschaft, nämlich um die Frage: Wie gehen wir in einer Bevölkerung, in der immer weniger Kinder und Nachwuchs kommt, mit einer menschenwürdigen Pflege und menschenwürdigem Altern um? Und  diesem Zusammenhalt in der Gesellschaft wollen wir leisten, dafür ist die Familie übrigens auch da. Familie heißt ja nicht nur, dass man in guten Zeiten füreinander da ist, sondern auch in schwierigen Zeiten füreinander da ist. Und wenn man jemanden in der Familie hat, wie ich es auch erlebt habe, jemand der pflegebedürftig ist, dann muss man sich gegenseitig unterstützen, dann müssen wir als Politik die Rahmenbedingungen setzen, dass die Familien das auch leisten können.“ (Bahr im Interview mit dem Deutschlandfunk 19.11.11)

Dass die Mehrzahl der Pflege in der Familie stattfindet, ist eine unbestreitbare Tatsache. Warum dies so ist, ist eine ganz andere Frage. Sicherlich pflegen vielen Angehörige, weil sie ihre Partner oder Eltern mögen oder sich ihnen verpflichtet fühlen. Doch der Minister macht sofort eine ganz andere Frage auf, den des Zusammenhaltes in der Gesellschaft, der basiert auf allem anderen als dem positiven Gefühl, das die Menschen füreinander empfinden, sondern auf dem Zusammenhang, in den die Politik sie gestellt hat und in dem die Verhältnisse über das Geld vermittelt werden. Deshalb kommt der Minister auch gleich auf den Nachwuchs der Nation zu sprechen, die gefälligst für den älter werdenden Teil der Bevölkerung aufkommen soll und wirft die Frage auf, wie viel man sich da leisten will, ganz so, als ob er dies dem Guten Willen der Betroffenen überlassen würde. Wenn er davon spricht, einiges für den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu tun, dann verpflichtet er die Familie dazu, in guten wie in schlechten Zeiten füreinander aufzukommen, ganz gleich ob es diesen gefühlsmäßigen Zusammenhang noch gibt oder nicht und spricht auch offen aus, wofür die Familie da ist: Als nützliche Einrichtung für die Sorge um den gesellschaftlichen Nachwuchs wie für die Pflege der Alten. Für diese Funktionen will sich der Minister einsetzen und den entsprechenden Rahmen setzen, damit die Familie das kann und auch muss. Und so führt er sich gleich als leuchtendes Beispiel vor, das dies geht und auch nichts Negatives ist, dabei muss man nur davon absehen, über welche Mittel eine Ministerfamilie verfügt und über welche Ottonormalverbraucher. Damit die Familien die ihnen zugedachte Aufgabe auch erfüllen können und durch die Pflege nicht gleich zu Sozialfällen werden, hat der Staat die Pflegeversicherung eingeführt. Wenn diese nun weitere Aufgaben erhält, braucht es zusätzliche Mittel und auch da verfährt die Reform ganz im Sinne der Gründungsväter und Mütter der Pflegeversicherung: Mehrkosten sollen auf keinen Fall den Staatshaushalt belasten. Belastet werden sollen auch nicht die Arbeitgeber, von deren wachsenden Reichtum der Staat alles abhängig gemacht hat. Also bleiben nur die Beitragszahler: Also denkt der Minister weiter und will zukünftige Kostensteigerungen ganz von den Lohnkosten abkoppeln, wie dies bereits auch im Bereich der Rentenversicherung mit der Riesterrente oder im Bereich der Krankenversicherung mit den Zusatzbeiträgen geschehen ist,  in dem er die Betroffenen zu einer weiteren Versicherung anregen will:

„Woher soll denn das zusätzliche Geld kommen? -  Darüber beraten wir gerade in der Koalition. Jedenfalls war es aus heutiger Sicht ein Fehler, die Pflegeversicherung 1994 als ein Umlagesystem aufzubauen, obwohl die Altersentwicklung absehbar war. Wenn sich die Zahl der Pflegefälle in den nächsten Jahrzehnten verdoppelt und die Kinderzahl weiter sinkt, dann kann sich jeder die Herausforderung ausrechnen. Die Koalition hat sich deshalb bereits im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass wir zusätzliche Vorsorge für die Pflege im Alter leisten müssen und zwar durch Rückstellungen, die sicher vor etwaigen Zugriffen von Politikern sind.“ (FAS 2.10.11)

Obgleich der Minister sich als Kritiker der Pflegeversicherung darstellt, will er diese nicht abschaffen, sondern durch eine weitere ergänzen. Worin der Mangel des Umlagesystems besteht, macht er auch gleich deutlich, wenn er eine Kapital gedeckte Versicherung anstrebt, die allein von den Beitragspflichtigen zu zahlen ist. Dass mit einer steigenden Zahl an Pflegefällen diese stärker belastet würden im Rahmen der Pflegeversicherung, hält er für kritikabel, sie weiter zu belasten im Rahmen einer Zusatzversicherung allerdings nicht. Dass eine solche Absicherung des Pflegerisikos abhängig gemacht wird vom Gang der Spekulation an der Börse, soll kein Nachteil sein, dafür weiß er aber einen Vorteil aufzuzählen, der darin besteht, dass eine solche Versicherung sicher ist vor Leuten wie ihm, die die Sozialversicherungen als einen Topf ihrer Sozialpolitik handhaben, wie die Diskussion um die Verwendung der derzeitigen Überschüsse deutlich macht. Offenbar kann denjenigen, die von ihrem Lohn oder Gehalt leben müssen, immer noch etwas zugemutet werden. Neben den Beiträgen zur Pflegeversicherung sollen die Lohn- und Gehaltsbezieher auch noch Beiträge zur Zusatzversicherung – den Pflege-Bahr – aufbringen. Und dabei stößt der Minister auf ein Problem, das schon der Ausgangspunkt zur Einrichtung der Pflegeversicherung war, die mangelnde Zahlungsfähigkeit derer, die Lohn- und Gehaltsbezieher sind. Doch auch dafür weiß der Minister Rat:

„…schon mit kleinen Beiträgen kann man die volle Fördersumme bekommen. So dass in der Summe aus Eigenanteil und Förderung ein erheblicher Beitrag zusammenkommt. Deshalb lohnt sich eine Zusatzabsicherung auch für Menschen mit kleinerem Einkommen…Auch schon fünf Euro im Monat lohnen sich. Mir ist wichtig, dass es eine zusätzliche Förderung außerhalb der Riesterrente gibt…Menschen, die sich den Aufbau einer zusätzlichen Vorsorge für den Pflegefall nicht leisten können, hilft der Staat. Eine menschenwürdige Pflege unabhängig vom Einkommen ist unsere gemeinsame gesellschaftliche Verpflichtung.“ (Der Westen 7.11.11)

Sein Vorhaben, durch steuerliche Anreize diejenigen dazu zu bewegen, Vorsorge fürs Alter zu betreiben, die sich dies nicht leisten können, scheitert eben daran, dass es bei ihnen wenig Anreize gibt, da auch ihre Steuerkraft gering ausfällt. Also braucht es Prämien oder Zuschüsse von Seiten des Staates, damit ein Betrag zusammenkommt, für den eine Versicherung überhaupt ein Leistungsversprechen abgibt und sei es auch noch so gering. Was dann an Pflege durch Eigeninitiative, Pflegeversicherung und Zusatzversorgung zu Stande kommt, ist dann, wie sie auch immer ausfällt, menschwürdig. Da sich jedoch die Koalitionsparteien noch nicht auf eine Regelung der Finanzierung der Anreize zur Privatvorsorge geeinigt haben, bleibt diese Regelung zukünftigen Gesetzen vorbehalten. Den Grundsatz, dass weitere Vorsorge Privatsache ist, wollte der Minister aber schon einmal ins Gesetz aufgenommen haben. Die Versicherungswirtschaft kann sich also auf ein zusätzliches Geschäftsfeld wie bei Riester freuen. „Im Vorgriff“auf die eigentliche Reform, hat der Minister eine Zwischenlösung parat:

„In der sogenannten Stufe 0 erhalten Demenzkranke neben den schon beziehbaren 100 bzw. 200 Euro für zusätzliche Betreuungsleistungen erstmals Pflegegeld oder Pflegesachleistungen. In der Pflegestufe 1 und 2 wird der bisherige Beitrag aufgestockt.
Menschen ohne Pflegestufe (Pflegestufe 0) erhalten monatlich ein Pflegegeld von 120 Euro oder Pflegesachleistungen von bis zu 225 Euro.
Pflegebedürftige in Pflegestufe I erhalten um 70 Euro höheres Pflegegeld von bis zu 305 Euro oder um 215 Euro höhere Pflegesachleistungen bis zu 665 Euro.
Pflegebedürftige in Pflegestufe II erhalten ein um 85 Euro höheres Pflegegeld von 525 Euro oder um 150 Euro höhere Pflegesachleistungen von bis zu 1250 Euro.“
(Pressemitteilung vom 28.3.12)

Gab es bislang bereits das Betreuungsgeld von 100 bis 200 Euro im Monat, so sieht der Minister den Durchbruch bei der jetzigen Reform darin, dass in allen Leistungen, sei es Pflegegeld oder Pflegesachleistungen, die die Pflegedienste erbringen, die Betreuung von Demenzkranken berücksichtigt wird. Damit ist auch der Rahmen abgesteckt, in dem sich die zukünftigen Lösungen bewegen sollen. Deshalb würde er es geradezu als kleinlich empfinden, wenn man bei seiner Verdopplung der Beträge für die Pflegestufe 0 nachrechnet, was man denn für diesen Betrag so an Betreuung einkaufen kann. Wichtig ist für ihn vielmehr, dass der Betreuungsbedarf allgemein berücksichtigt und mit Anerkennungsbeträgen gewürdigt wird.

Angehörigenarbeit

Da die Pflegeversicherung die „Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen hilft und sie unterstützt, die schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe der pflegerischen Versorgung zu bewältigen“ (Begründung), gilt ein großer Teil des neuen Gesetzes auch dieser Hilfe. Damit die Angehörigen diese ihnen zugedachte Leistung erbringen können, wenn sie durch den gesundheitlichen Zustand ihres Partners oder ihrer Eltern mit dieser Frage konfrontiert werden, bedarf es der Beratung. Dazu hat die Vorgängerregierung in ihrer Reform Pflegestützpunkte aufgenommen, die die Betroffenen und ihre Angehörigen beraten und in der Organisation der Pflege unterstützen sollen. Schließlich weiß auch der Gesetzgeber, dass es in der Regel nicht einfach ist, Familie, Beruf und Pflege unter einen Hut zu bringen. Schließlich hat er mit der Regelung der unterschiedlichen Zuständigkeiten, sei es bei den Angehörigen selber, bei den unterschiedlichen Sozialversicherungen und bei der Sozialhilfe dafür gesorgt, dass die Organisation der Pflege den Angehörigen einiges abverlangt. Pflegestützpunkte sollen dabei Unterstützung leisten. Über die Organisation der Pflegestützpunkte konnten sich die Regierungsparteien und Länder nicht einigen und so hat man dies den Ländern überlassen mit dem Ergebnis, dass es diese Stützpunkte nicht flächendeckend gibt. Die Lösung des neuen Gesetzes heißt Beratungsgutscheine. Sollten die Betroffenen keine kostenlosen Pflegestützpunkte vorfinden, dann wird die Pflegeversicherung verpflichtet, Beratungsgutscheine auszustellen, damit die Betroffenen sich eine Beratung wo auch immer suchen können. So will die Regierung offenbar Druck auf die Pflegeversicherung ausüben, den Ausbau der Pflegestützpunkte voranzubringen. Auch bei der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen, sieht die Regierung Handlungsbedarf. Sie bildet die Grundlage für die Leistungsgewährung und findet nach Ansicht des Ministers nicht immer schnell genug statt. Deshalb legt das neue Gesetz Fristen fest, in denen eine Begutachtung erfolgen muss, andernfalls sind externe Gutachter einzuschalten. Zudem sollen die Gutachter ermitteln, in wie weit durch Rehabilitationsmaßnahmen der Zustand der Pflegebedürftigen verbessert werden kann, damit dauerhafte Pflegeleistungen eingespart werden können. Mit dieser Regelung soll der Interessengegensatz zwischen der Krankenversicherung und Pflegekasse geregelt werden, die beide kein Interesse an diesen Maßnahmen haben, schließlich bedeuten Rehabilitation Kosten  mit unsicherem Ausgang für die Pflegeversicherung oder Kosten ohne Nutzen für die eigene Kasse  bei der Krankenversicherung. Was für die Betroffenen ein Behördendschungel ist für den Minister die Freiheit, welche Leistung er von welcher Stelle einfordern kann. Mit der Begutachtung wird der Anspruch auf Leistungen durch die Pflegekassen begründet, der nicht immer so ausfällt, wie ihn die Angehörigen für nötig oder berechtigt empfinden. Dies soll aber nicht ihre Pflegebereitschaft mindern. Also fordert der Gesetzentwurf einen Verhaltenskodex für die Gutachter:

„Für alle Gutachter, die unter der Verantwortung der Medizinischen Dienste Begutachtungen durchführen, und für die anderen Mitarbeiter der Medizinischen Dienste ist ein „Verhaltenskodex“ aufzustellen, der sie zu einem respektvollen Verhalten gegenüber den Versicherten und deren Angehörigen verpflichtet. Wenn ein Medizinischer Dienst externe Kräfte bei der Erstellung des Gutachtens beteiligt, hat er über die Auftragsgestaltung sicherzustellen, dass der Verhaltenskodex auch für den externen Gutachter Verbindlichkeit erlangt.“ (Begründung)

Der höfliche und verständnisvolle Gutachter kann so den Interessengegensatz aus der Welt schaffen, dass die Betroffenen möglichst viel an Leistungen wünschen und die Pflegekasse die möglichst begrenzt gewährt. Doch auch bezüglich der Leistungsgewährung hat das neue Gesetz etwas im Angebot:

„Pflegebedürftige und ihre Angehörige können sich künftig flexibler gemeinsam mit den Pflegediensten auf die Leistungen verständigen, die sie wirklich benötigen. Sie können neben den heutigen, verrichtungsbezogenen Leistungskomplexen auch bestimmte Zeitvolumen für die Pflege wählen. Sie können dann zusammen mit den Pflegediensten entscheiden, welche Leistungen in diesem Zeitkontingent erbracht werden sollen. Auch dies trägt insbesondere den besonderen Bedürfnissen Demenzkranker Rechnung.“ (Pressemitteilung)

Hatte schon der MDK geprüft, welche Leistung notwendig ist und nur eine Teilleistung gewährt, so finden die Gesetzeskonstrukteure immer noch überflüssige Leistungen, die als Tausch gegen andere eingesetzt werden können. Die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen sollen wählen können, welche Leistungen sie wie vom Pflegedienst und welche Leistungen sie selber erbringen wollen. Da der Leistungsumfang nicht erhöht werden soll, besteht die Freiheit der Wahl in der Gestaltung des Mangels, dessen Ergebnis daher auch die zu verantworten haben, die die Entscheidung getroffen haben. Dass die Pflege die Pflegenden häufig ruiniert, weiß auch der Gesetzgeber und trägt diesem Umstand Rechnung, denn auch er will ja nicht, dass die Pflegenden ihren Dienst nicht dauerhaft erbringen können. Also trägt er auch diesem Umstand Rechnung:

„Nicht nur für die Pflegebedürftigen selbst, sondern auch für die pflegenden Angehörigen ist Vorsorge und Rehabilitation wichtig. Im Rahmen bestehender Regelungen wird deshalb der Anspruch pflegender Angehöriger auf Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen unterstrichen. Dass pflegende Angehörige Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahmen zum Beispiel in Einrichtungen in Anspruch nehmen können, die zugleich Pflege und Betreuung des zu pflegenden Angehörigen gewährleisten, ist eine wichtige Maßnahme, um es pflegenden Angehörigen zu erleichtern, Rehabilitationsmaßnahmen tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Angehörige sind oft erst dann innerlich bereit, notwendige medizinische Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen für sich selbst in Anspruch zu nehmen, wenn sichergestellt ist, dass der Pflegebedürftige in dieser Zeit in räumlicher Nähe versorgt ist und gegebenenfalls zusätzlich rehabilitative Angebote erhält.“ (Begründung)

Was gibt es schöneres für die pflegenden Angehörigen als eine Kur, in die sie ihre Pflegefälle mitnehmen können.

Kreative Lösungen

Bei aller Sorge um die Betroffenen, dass diese in ihren eigenen Wänden von den Angehörigen gepflegt werden, ist der Minister aber Realist genug, um zu wissen, dass dieser aufopferungswillige und ruinöse Dienst auch seine Grenzen hat.

„Um es den Pflegebedürftigen zu ermöglichen, so leben zu können, wie sie es möchten, werden Wohnformen zwischen der ambulanten und stationären Betreuung zusätzlich gefördert. Unter bestimmten Umständen gibt es für solche Wohngruppen je Bewohner 200 Euro zusätzlich, um dem höheren Organisationsaufwand gerecht werden zu können.“ (Pressemitteilung)

Als Frage der Selbstbestimmung und der Lebensentwürfe behandelt der Minister ein Thema, dass für die Betroffenen und ihre Angehörigen viel banaler darstellt: Was an Pflege können sie sich leisten. Und was ist, wenn die Angehörigen die Pflege nicht mehr leisten können. Damit steht für viele Pflegebedürftige die Heimunterbringung an, ein Zustand, den es möglichst zu vermeiden gilt, bedeutet doch die Heimunterbringung in der Regel, dass die Betroffenen zu Sozialfällen werden. Schließlich deckt die Pflegeversicherung bei einer Unterbringung in einem Heim nur die Kosten für die Pflege ab und der Gesetzgeber hat genau differenziert, was Kosten für Pflege, für Betreuung und was sogenannte Hotelkosten sind, die die Betroffenen selber zu tragen haben. Diese sind so hoch, dass sie die Einkommen auch bei Ersparnissen übersteigen. Dass diese Kosten nicht sofort zu Lasten des Staates gehen, davor hat sich der Gesetzgeber geschützt und die Kinder in Haftung genommen. Erst wenn auch deren Einkommen unter Berücksichtigung ihres Lebensunterhaltes nicht reicht, kommt die Sozialhilfe auf und das ist sehr häufig der Fall, was Auskunft darüber gibt, wie Löhne und Gehälter für den Lebensunterhalt taugen. Dass die Heimunterbringung auch nicht im Sinne der Betroffenen ist, darauf kann der Gesetzgeber bauen, schließlich ist ja allzu bekannt, wie es in den Heimen zugeht. Also kann er seine Suche nach alternativen Wohnformen als ganz im Sinne der Betroffenen ausgeben. Es ist schon seltsam, das Menschen, die Wohngemeinschaften allenfalls als Notlösung während der Studentenzeit oder als eine Wohnform für Ausgeflippte betrachtet haben, ausgerechnet im Alter ihr Herz für diese Form des Wohnens erwärmen können und in der WG ihre Selbstbestimmung entdecken. Doch erscheint es manchem als das geringere Übel angesichts der Alternative der Heimunterbringung. Für die Politik ist es die rationelle Verwendung von Mitteln der Pflegeversicherung. Hatte doch schon die Vorgängerregierung die Möglichkeit des „Poolens“ geschaffen, die Möglichkeit der Zusammenlegung von Versicherungsleistungen – so kann die Essenzubereitung für mehrere Personen weniger aufwendig sein als  jeweils separat für jeden einzelnen. Ebenso bieten gemeinsame Einkäufe, gemeinsame Nutzung von Räumlichkeiten Einsparmöglichkeiten, die ein mehr an Pflege  und Betreuung ermöglichen, ohne Kostensteigerung. Hinzu kommen die Einsparmöglichkeiten bei den Fahrzeiten der Pflegedienste. Dies zu organisieren, darin sieht der Minister eine lohnende Investition und zeigt sich spendabel aus den Mitteln der Pflegekasse. Schafft man doch auf diese Weise eine bezahlbare Alternative zur Heimunterbringung, da Wohngemeinschaften nicht unter das Heimgesetz und seinen Vorschriften für Hygiene, räumliche und personelle Ausstattung fallen, die man auf diese Weise für diesen Bereich als nicht gültig erklärt.

Alles eine Frage des Geschäfts

„Im Rahmen einer modellhaften Erprobung und wissenschaftlichen Evaluation sollen weitere qualifizierte Leistungserbringer zugelassen werden. Diese ambulanten Betreuungsdienste sollen qualitätsgesicherte häusliche Betreuungsleistungen, insbesondere für an Demenz erkrankte Menschen, und hauswirtschaftliche Versorgung anbieten. Die Ergebnisse des Modellvorhabens sollen helfen, die Entscheidung des Gesetzgebers über eine regelhafte Zulassung von ambulanten Betreuungsdiensten für einen Zeitpunkt nach Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs vorzubereiten.“(Begründung)

Damit erweitert dieses neue Gesetz das Geschäft mit der Pflege und Betreuung alter und pflegebedürftiger Menschen und schafft neuen Handlungsbedarf, schließlich will genau geregelt sein, was im einzelnen Pflege, hauswirtschaftliche oder Betreuungsleistung ist, wie sie abzugrenzen sind von Leistungen anderer Sozialversicherungen etc. Zudem schafft dieses Geschäftsfeld neue Gegensätze:

„Die Änderung lässt die Bemessung von Vergütungen unberührt, die vom tatsächlichen Zeitaufwand eines Pflegeeinsatzes unabhängig sind. Hier können die Vertragsparteien unverändert Vergütungen vereinbaren, die sich zum Beispiel am typischen Leistungsinhalt des jeweiligen Pflegeeinsatzes orientieren oder eine Komplexleistung darstellen. Auch weiterhin können für sonstige Leistungen, wie zum Beispiel hauswirtschaftliche Versorgung, Behördengänge oder Fahrkosten, pauschalierte Vergütungen vereinbart werden. Die Regelung verpflichtet jedoch die Vertragsparteien auch zur Vereinbarung von Vergütungen, die vom tatsächlichen Zeitaufwand eines Pflegeeinsatzes unabhängig sind.“(ebenda)

Mit dieser Regelung gesteht der Gesetzgeber ein, dass er Pflegedienste zu Leistungen verpflichtet, bei denen die geforderte Leistung in keinem Verhältnis steht zu der Zeit, die zu ihrer Erbringung notwendig ist. Schließlich hat er bei der Ermittlung des Pflegebedarfes den Aufwand so berechnen lassen, als ob die Pflege als Fließbandarbeit stattfinden würde mit vorgegebenen Zeittakten. Doch fügen sich die Pflegebedürftigen nicht immer in das Schema und so stehen die Pflegekräfte immer wieder vor der Entscheidung, Leistungen zu unterlassen oder unbezahlte Mehrarbeit zu erbringen, während die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen auf die Erbringung der Leistungen bestehen. Deshalb bedarf es der genauesten vertraglichen Regelungen, angefangen davon, wann eine Willenserklärung einen Vertrag begründet, über den Inhalt des Vertrages und die Form der Leistungserbringung bis hin zu Kündigungsfristen. Zudem handelt es sich bei den Vertragsparteien um welche, die an der Pflege zusammenwirken sollen, deshalb soll auch nicht einfach der Geschäftsstandpunkt gelten, sondern muss die Kundenorientierung immer noch extra eingefordert werden. Damit diese Geschäftsbeziehung auch das Resultat einer Pflege und Betreuung erzielt, die den Betroffenen ein Existieren ermöglicht, dazu bedarf es zusätzlicher Kontrollen durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen, die aber wiederum den Gang des Geschäfts nicht behindern sollen, was die Ausgestaltung der Regelungen nicht einfacher werden lässt. Und auch der Datenschutz und der Umfang der Bürokratie wollen beachtet sein. Mit der Einführung der Betreuung als gesonderte Leistung gibt es eben auch die Möglichkeit diese getrennt von der Pflege anzubieten und damit ein neues Geschäftsfeld, für das es ebenfalls Richtlinien braucht, wer dieses Geschäft betreiben darf, wie die Mitarbeiter zu bezahlen sind usw. Schließlich weiß auch der Gesetzgeber, dass ein neues Geschäftsfeld Leute anzieht, denen es nicht um die Betreuung, sondern ums Geschäft geht, ist diese doch bloßes Mittel um an Geld zu kommen. Also erlässt er Mindeststandards an Qualifikationen, die gewährleisten sollen, dass der Standpunkt der Betreuung ausreichend Berücksichtigung findet. Hinzu kommen Vorschriften bezüglich der Bezahlung, schließlich handelt es sich um den Pflege- und Betreuungsbereich um den Niedriglohnsektor, der gerade durch die Mindestlohnregelung erfasst worden ist, um zu vermeiden, dass die dort Beschäftigten alle den Sozialkassen als Aufstocker zu Last fallen. Dennoch ist auch hier die Frage offen, ob Betreuungskräfte und hauswirtschaftliche Kräfte darunter fallen. Sorge bereitet die Zahl derer, die sich für diese schlecht bezahlte und oft ruinöse Tätigkeit hergeben:

„Der demografische Wandel wird auch dazu führen, dass die Zahl der erwerbsfähigen Menschen und damit das Potenzial der für die Versorgung notwendigen Pflegekräfte sinkt. Es ist deshalb erforderlich, einen Beitrag zur Steigerung der Attraktivität der pflegerischen Berufe zu leisten. Ein Großteil der in diesem Gesetz vorgesehenen Maßnahmen dient auch dieser Zielsetzung.“ (Begründung)

Auch eine interessierte Betrachtung, sein Volk als mögliche Arbeitskräfte und damit Pflegekräfte zu betrachten und die sinkende Anzahl gleich in potentiell weniger Pflegekräfte zu übersetzen. So wird gleich davon abgesehen, dass es auch etwas mit der schlechten Bezahlung und den schlechten Arbeitsbedingungen zu tun haben könnte, die dazu führt, dass immer weniger diesen Job ergreifen wollen. Stattdessen setzt der Gesetzgeber auf eine Veränderung der Berufsausbildung in diesem Bereich, die diesen Beruf attraktiver machen soll, womit einiges über diese Sorte Ausbildung gesagt wird, soll sie offensichtlich die gewünschten Einstellung zum Beruf hervorbringen, die nicht auf das Geld schaut, von dem auch eine Pflegekraft leben muss, sondern sich im aufopferungsvollen Dienst verwirklicht. Doch das ist Gegenstand eines anderen Gesetzes.

Von der guten Absicht und ihrem Scheitern

Über seine Absichten hat der Gesetzgeber mit dem Gesetzentwurf eigentlich nichts offen gelassen. Wenn Kritiker ihm also den Vorwurf machen, dies sei keine richtige Reform, so unterstellen sie ihm, dass er eigentliche etwas ganz anderes hätte machen wollen und dies sei ihm nicht gelungen. Diesen Vorwurf kann man in unterschiedlicher Art und Weise vortragen:

„Zahlreiche Eckpunkte in der Pflegereform klingen ja vielversprechend. Die bessere Versorgung von Demenzkranken ist überfällig. Es ist richtig, dass die Koalition ihnen gezielt helfen will, anstatt Wohltaten mit der Gießkanne zu verteilen. Flexiblere Leistungen, weniger Bürokratie, die Förderung ambulanter Wohngruppen und mehr Auszeiten für pflegende Angehörige – all das prima. Auch gegen die Ausbildungsoffensive ist nichts einzuwenden. So weit, so gut. Aber am Ende wird sich aber zeigen müssen, was überhaupt finanzierbar ist.“ (WAZ 17.11.11)

Der Kommentator unterschreibt alle Titel, unter denen die Pflegereform vorgetragen wird und es interessiert auch nicht, wie diese Titel ausgestaltet werden. Dass Menschen mit Demenz jetzt berücksichtigt werden, wird als positiv vermerkt, wie dies geschieht, spielt keine Rolle. So kann man der Politik zu ihrem Vorhaben gratulieren und gleichzeitig die Frage aufwerfen, ob das denn alles bezahlbar ist, ob denn die Reform auch gelingt. Nicht zur Kenntnis genommen wird, wie die Finanzierung gelöst wird. Weil sie noch nicht bis ins Kleinste geregelt ist, kann man das ganze Vorhaben unter einen Vorbehalt stellen. Das Gleiche geht natürlich auch über die Einbeziehung der Demenzkranken:

„Trotz des Ausbaus der Leistungen bezeichnete die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher,  Bahrs Pläne als halbherzig. “Das Vorhaben reicht bei weitem nicht aus, um Pflegebedürftige und deren Angehörige zu unterstützen“, sagte sie. Demenzkranke fielen bei der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen weiterhin durch das Raster.“ (SZ 29.3.12)

Tatsache ist, dass die Demenzkranken zur Zeit durch das Raster der Diagnostik durchfallen. Aber das will der Minister gerade ändern. Was bekrittelt wird, ist, dass es diese neue Diagnostik noch nicht gibt. Dass es dort um Zuteilungen von Leistungen handelt, die sich nicht am Bedarf der Demenzkranken orientiert, sondern diesen ins Verhältnis zu anderen Kriterien setzt, ist damit außerhalb der Kritik. Gemessen wird so die Reform an den Vorstellungen, die die Kritiker mit der Reform verbinden, ohne diese auszuführen. Eine wirkliche Reform soll immer die Titel wie Bezahlbarkeit der Pflege oder Betreuung der Demenzkranken einlösen unter Absehung davon, wie die Politik diese Titel umsetzt,. Aus der Art und Weise , wie dies geschieht könnte man entnehmen, dass es um diese Zwecke so nicht geht. Gemessen wird die Reform an eine vom Minister gar nicht beabsichtigten Zweck, und so sieht die Reform natürlich schäbig aus. Dabei wird ihm einiges zu Gute gehalten, wenn ihm unterstellt wird, dass er diese Reform eigentlich gar nicht wollen könnte, sondern einer ganz andere vorgehabt aber nicht verwirklicht hat. Ihm wird eine gute Absicht bescheinigt und gleichzeitig wirft sich der Kritiker in die Pose dessen, der weiß, wie man es hätte besser machen können und braucht noch nicht einmal zu sagen, wie. Dabei geben die Kritiker zu erkennen, dass sie Kalkulationen des Ministers in den Grundzügen teilen, die Konsequenzen daraus aber nicht wahrhaben wollen. Bei allen Sachzwängen müsste es doch eine Lösung geben, die eine bessere Pflege mit einer besseren Finanzierung sicherstellt, ist die Vorstellung, die damit gepflegt wird. So kann man das Bild einer besseren Welt aufrechterhalten, die möglich wäre, gerade dann, wenn von Seiten Politik deutlich gemacht wird, wie sie die Versorgung der Alten und Pflegebedürftigen dauerhaft zu lösen gedenkt.

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