Monster, Elfen und noch mehr
Frau Berger sagt, sie braucht neue Kinderbekleidung und fragt, ob ich sie mit Mirko und Luna zum Einkaufen begleiten kann. Seit dem Tod ihrer Mutter entlaste ich öfter mal, und es geht ja bei den Begleitungen immer auch um Interaktionsbeobachtung, nachgehende Erziehungsberatung oder Ernährungsberatung oder auch mal Konsumberatung. Also holen wir die Kinder von der Kita ab, und los geht’s zum Shopping-Center.
Wir betreten die Kindersachenabteilung, und da möchte ich schon gleich ganz laut schreien.
Blickrichtung rechts sehe ich viele kleine Jacken, Pullis, Hosen, alles dunkle Farben, viel braun, dunkelgrün und dunkelblau, Monster, Autos, Bagger. In Blickrichtung links erscheint ein Pastellmeer, Kleidchen, Röckchen, Shirts mit Rüschen, rosa, hellblau, silberfarben, Feen, Elfen und Prinzessinnen. Sanft und lieblich, fast durchsichtig die eine Seite, erdig, kräftig, stark die andere Seite. Dazwischen gibt es nichts, und damit man sich nicht verläuft, hängen große Hinweisschilder von der Decke: „Mädchen“ - „Jungen“.
Der 4-Jährige möchte einen Löwen-Hoodie, die 5-Jährige ein Schmetterlingsshirt. Beides gibt es hier nicht. Frau Berger sucht nach Unterwäsche für den 4-Jährigen. Da gibt es viele Pokemons in kräftig leuchtenden Farben. Alle Etiketten tragen die Aufschrift „separat waschen“, ein Hinweis auf mangelnde Farbechtheit, und ich frage mich, warum denn sogar die Unterwäsche so krass in Farbe getränkt werden muss.
In den ersten Jahren habe sie nur gebrauchte Sachen genutzt, „da sind schon alle Gifte rausgewaschen“, sagt Frau Berger. Aber nun wird es schwieriger, die Kinder haben ihre eigenen Vorstellungen und mit zwei Kindern zum Trödelmarkt, das ist eine echte Herausforderung. Außerdem finden die immer am Wochenende statt, und da arbeiten wir nicht. Ich hätte sie gerne begleitet. Mir sind die Flohmärkte lieber als die Shopping-Center. Das erste Geschäft verlassen wir dann ohne Einkauf, und im zweiten Geschäft findet sich zumindest akzeptable Unterwäsche. Zum Abschluss gibt es lecker Eis - auch im Shopping-Center. Die Geräuschkulisse bereitet mir Kopfschmerzen, die Kinder sind völlig aufgedreht, und wir beschließen noch eine Runde über den Spielplatz zu gehen. Da können die Kinder ihrem Bewegungsdrang nachgehen, und ich habe „Alibikinder“, weil ich auch ganz gerne mal schaukele und auf das hohe Kletternetz steige.
In der Co-Hilfe mit der jungen Mutter, die erneut schwanger ist und in der Notunterkunft lebt, haben wir angefangen die Behördensachen zu erledigen. Meine Kollegin hat sie zum Job-Center begleitet. Der Sachbearbeiter dort meinte allerdings, die junge Mutter käme schon ganz gut alleine klar. Er war der Meinung, dass unser Einsatz völlig überflüssig sei, und dabei habe er so überheblich gegrinst oder besser gesagt, meine Kollegin und unsere Arbeit belächelt. Ich denke, wenn die junge Frau das alleine könnte, wäre sie nicht in diesen Schlamassel geraten. Wir werden mit ihr auch noch eine Schuldnerberatungsstelle aufsuchen. Sie hat so viele Rechnungen und Mahnungen und Ratenvereinbarungen, die sie gar nicht einhalten kann, blickt selber nicht mehr durch, und außerdem ist es ein Auftrag des Jugendamtes.
Ihr größter Wunsch ist es, eine eigene Wohnung zu finden. Sie möchte aus der Notunterkunft raus und dass ich ihr dabei helfe, eine Wohnungsbewerbungsmappe zusammenzustellen. Dass zu dieser Mappe auch Kontoauszüge und Einkommensnachweise gehören, scheint sie auszublenden, und dass ich sie zu unserem letzten Termin in der Notunterkunft nicht antraf, darüber habe ich mich richtig geärgert. Ich solle mal cool bleiben, sagt meine Kollegin, „es ist ihr Leben und ihre Entscheidung“. Ich ärgere mich trotzdem und informiere das Jugendamt mit dem Vermerk, dass wir versuchen, den Kontakt mit der jungen Mutter wieder aufzunehmen, und wenn uns das bis zum Ende der Woche nicht gelingt, bitten wir um Auftragsüberprüfung.
Ihre Katja Änderlich
*Pseudonym der Autorin