Leben am Rand der Gesellschaft verschärft HIV-Epidemie in Europa und Zentralasien - Fazit eines neuen Berichts

12.06.2013 | Gesundheitswesen | Nachrichten

Die HIV-Epidemie in Europa und Zentralasien wird nicht nur durch individuelle Verhaltensweisen, sondern auch durch soziale und strukturelle Einflussfaktoren wie Armut, Marginalisierung und Stigmatisierung geprägt. So lautet das zentrale Fazit eines neuen Berichts, der heute von der Weltbank-Gruppe, dem WHO-Regionalbüro für Europa und der London School of Hygiene and Tropical Medicine veröffentlicht wurde. Gegenstand der Studie ist eine systematische Sichtung von Evidenz über die Anfälligkeit für HIV und die in den Ländern der Europäischen Region der WHO ergriffenen Gegenmaßnahmen. Der Bericht mit dem Titel „HIV in der Europäischen Region: Anfälligkeit und Gegenmaßnahmen“ befasst sich in erster Linie mit den am stärksten von HIV-Infektion bedrohten Risikogruppen: injizierende Drogenkonsumenten, Prostituierte und Männer mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten. Er bestätigt, dass diese Gruppen unverhältnismäßig stark von der sich ausbreitenden HIV-Epidemie in der Europäischen Region betroffen sind, wo die Zahl der gemeldeten HIV-Fälle im Jahr 2011 die Marke von 1,5 Mio. überschritt. Die HIV-Fälle in diesen drei Gruppen machen mehr als 50% der Gesamtzahl der Diagnosen aus. Durch die wirtschaftliche Unbeständigkeit und die Rezessionsrisiken erhöht sich die Anfälligkeit für HIV – und damit die Zahl der Infektionen. „Die erschreckenden HIV-Raten unter wirtschaftlich schwachen und marginalisierten Drogenkonsumenten in Osteuropa und Zentralasien unterstreichen die entscheidende Bedeutung und die weltweite Gültigkeit der neu festgelegten Ziele der Weltbank: Beseitigung extremer Armut und Förderung eines geteilten Wohlstands“, erklärt David Wilson, Leiter des Globalen Programms zur Bekämpfung von HIV/Aids bei der Weltbank. „Gleichzeitig verdeutlicht die Ausbreitung von HIV in den am härtesten von der Rezession getroffenen Ländern Südeuropas das tief greifende Beziehungsgeflecht zwischen Armut, Ausgrenzung und Krankheit.“ „Soziale Ausgrenzung ist der entscheidende begünstigende Faktor für das Fortschreiten der HIV-Epidemie in Europa. Hier entsteht ein Teufelskreis: Durch soziale Marginalisierung erhöht sich die Gefahr einer Infektion mit HIV, und durch HIV verschärft sich die soziale Ausgrenzung, sodass quasi eine neue Schicht der Stigmatisierung hinzukommt. Dies führt letztendlich oftmals dazu, dass der Zugang zu lebensrettenden Maßnahmen zur Prävention, Therapie und Pflege im Bereich HIV verwehrt bleibt“, erklärt Martin Donoghoe, Leiter des Programms „HIV/Aids, sexuell übertragbare Infektionen und virale Hepatitis“ beim WHO-Regionalbüro für Europa. „Wir sind zuversichtlich, dass unser neues Rahmenkonzept für die Europäische Region, Gesundheit 2020, eine Stärkung der Gesundheitssysteme mit dem Ziel bewirken wird, auch unseren am meisten marginalisierten Bürgern Zugang zur Gesundheitsversorgung zu verschaffen.“ „Wir befinden uns in einer entscheidenden Phase für die Europäische Region. Denn es gilt, die Dynamik unserer Anstrengungen im Bereich der HIV-Prävention in einem Klima ökonomischer und fiskalischer Ungewissheit aufrechtzuerhalten“, sagt Prof. Peter Piot, Leiter der London School of Hygiene and Tropical Medicine. „Die Erkenntnisse, die wir durch unsere verschiedenen Kooperationen mit der Weltbank-Gruppe und der Weltgesundheitsorganisation gewonnen haben, verdeutlichen, wie Institutionen sinnvoll zusammenarbeiten können, um die Evidenz zu gewinnen und die erforderlichen Handlungskonzepte zu schaffen.“ Der Bericht kommt u. a. zu folgenden Ergebnissen:
  • 25% der HIV-Diagnosen in der Europäischen Region sind auf Drogeninjektion zurückzuführen, wobei der Anteil in Osteuropa (33%) deutlich höher ausfällt als in Westeuropa (5%) und Mitteleuropa (7%).
  • Die HIV-Raten unter weiblichen Prostituierten in der Europäischen Region, die keine Drogen injizieren, sind weiterhin relativ niedrig (unter 1%), dagegen bei den Drogen injizierenden Prostituierten (über 10%) sowie bei männlichen und Transgender-Prostituierten deutlich höher.
  • Geschlechtsverkehr zwischen Männern war für 10% aller HIV-Diagnosen in der Europäischen Region verantwortlich, wobei die Länder Westeuropas (36%) und Mitteleuropas (22%) höhere Raten verzeichneten, während die Rate in den Ländern Osteuropas nur 0,5% betrug. In Mittel- und Osteuropa fiel jedoch die Zunahme höher aus.
Die Analyse unterstreicht die entscheidende Rolle von Umweltfaktoren bei der Entwicklung von HIV-Epidemien sowie der Gestaltung von HIV-Präventionskonzepten. Zu den Hindernissen für eine erfolgreiche Bekämpfung von HIV gehören die Kriminalisierung der Prostitution, der gleichgeschlechtlichen Sexualkontakte und des Drogenkonsums in Verbindung mit sozialer Stigmatisierung, Gewalt und Rechtsverletzungen. Für eine wirksame HIV-Prävention sind gesellschaftliche und umweltbezogene Veränderungen erforderlich. Deshalb werden in dem Bericht die Politiker und die Verantwortlichen für die HIV-Programme dazu aufgefordert, die richtigen Konzepte und Programme ins Visier zu nehmen, um die gesundheitlichen und sozialen Folgen der HIV-Konzepte der Länder Europas zu maximieren und größeren Nutzen aus den Investitionen im Bereich HIV zu ziehen. Die Weltbank-Gruppe, das WHO-Regionalbüro für Europa und die London School of Hygiene and Tropical Medicine werden diese neuen Ergebnisse und Empfehlungen am 7. Juni in London präsentieren. Im Rahmen der Veranstaltung findet auch eine Diskussion hochrangiger Experten und politischer Entscheidungsträger über die Aufrechterhaltung der Dynamik in der HIV-Prävention statt.

Weiterführende Literatur

Ein Hintergrundpapier in englischer und russischer Sprache sowie der vollständige Bericht in Englisch können von der Website der Weltbank heruntergeladen werden. Die Weltbank-Gruppe hat außerdem vor kurzem drei weltweit angelegte Studien über eine verstärkte Ausrichtung auf die wichtigsten Risikogruppen (injizierende Drogenkonsumenten, Prostituierte und Männer mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten) veröffentlicht. Auf der Website des Regionalbüros für Europa finden sich umfassende Informationen zum Themenfeld HIV/Aids. Die London School of Hygiene and Tropical Medicine ist zusammen mit einer Vielzahl von Partnern aus aller Welt an vorderster Front in der Erforschung von HIV/Aids tätig. Verfolgen Sie die Diskussion auf Twitter @WHO_Europe und #HIVeuro

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Quelle: Pressemitteilung des WHO-Regionalbüros für Europa vom 07.06.2013