Symbolbild: Kein Profil

Können Sie Haare schneiden?

Frau Wiesbach (der Name ist natürlich erfunden) will wissen, ob ich ihr die Haare schneiden kann. Ich sage nur Häääh? Das ist mir noch nicht passiert. Ich habe schon viel erlebt, und es scheint kaum jemand zu wissen, was das ist, diese Familienhilfe. Dass ich mir jetzt immer die Zeit nehme und „sozialpädagogisch“ vor Familienhilfe stelle, scheint kaum Eindruck zu hinterlassen. Wir sollen Hausaufgabenhilfe machen, Kinder von der Kita abholen und am besten auch morgens den Weckdienst übernehmen. Wir sollen zum Kinderarzt oder der Ärztin begleiten, zum JobCenter, wir sollen Wohnungen finden und die Schulden regulieren.

Es gibt so viele unterschiedliche Hilfen für Familien, und es wird Zeit, dass die SPFH sich wieder ein Profil verschafft. Aber wer oder was ist denn die SPFH? Und wie haben sich die ambulanten Erziehungshilfen über die Jahre entwickelt? Und welche Verantwortung tragen wir, die ausgebildeten Fachkräfte? Mein Eindruck ist, dass wir uns täglich nur anpassen und seit Beginn der Corona-Pandemie passen wir uns noch besser an, verschwinden hinter den Masken.

Die Kommunikation über Whatsapp – früher ein datenschutzrechtliches NoGo ist heute normal. Ich nutze noch immer kein Whatsapp, und ich will es auch nicht. Eine einheitliche Regelung für die sichere Onlinekommunikation hätte ich gern, aber die gibt es auch bei meinem neuen Träger nicht. „Das ist unsere Chance“, sagt Lotte. „Lass uns das Konzept ausarbeiten. Wir stehen am Anfang. Wir können gestalten“. Ach ja, ich erinnere mich. Das war ja einer der Gründe für meinen Wechsel. Ich fühlte mich eingeladen, in einem großen Jugendhilfeträger einen neuen Arbeitsbereich mitzuentwickeln. Nur - jetzt ist die Hälfte der Belegschaft krank, Corona erwischt auch die Dreifachgeimpften. Wie eine Außenseiterin komme ich mir vor, als Noch-nicht-Erkrankt-und-Genesene. Und weil so viele Mitarbeiter:innen krank sind, stehe ich jetzt fast alleine da. Die Teamleitung ist auch krank. Ihre Vertretung nimmt Aufträge entgegen, aber Erfahrung in der ambulanten Hilfe und den üblichen Abläufen hat sie nicht, und weil sie auch in einem anderen Bereich eine Urlaubsvertretung macht, hat sie keine Zeit, sich in Ruhe mit uns hinzusetzen und die Abläufe zu klären.

In den Jugendämtern ist die Lage „divers“, könnte man sagen. Die neuen Mitarbeiter:innen scheinen alle theoretisch einen systemischen Ansatz zu vertreten, aber ich habe noch keinen systemischen Hilfeplan gesehen. „Das ist doch unsere Chance“, sagt Lotte. „Lass uns ein Konzept für unsere SPFH ausarbeiten und den systemischen Ansatz hervorheben. Und nimm das mit dem Haare schneiden nicht so ernst. Im Lockdown haben wir alles Mögliche gemacht, bloß um zu helfen und um auch mit den Familien, die unsere Hilfe nicht wollten, in Kontakt zu bleiben. Und du weißt ja noch nicht mal ob das stimmt, was Frau Wiesbach gesagt hat. Ob die Familienhelferin ihrer Freundin tatsächlich Friseurin gespielt hat? Es kann doch sein, dass Frau Wiesbach dich abcheckt. Sie will wissen, was sie von dir zu erwarten hat. Sie ist Klientin. Sie darf das. Und außerdem, wo hast du denn dein eigenes Profil gelassen?“ Das sitzt! Die Kollegin vom Jugendamt hatte einen vorläufigen Hilfeplan geschickt mit dem Kreuzchen bei: „bitte unterschrieben zurücksenden“. Und ich habe die Postbotin gemacht, war bereit beim Hausbesuch die Unterschriften der Familie einzuholen, hatte mich darauf eingelassen, mit der Hilfe zu starten, ohne dass vorher eine gemeinsame Hilfeplankonferenz stattfand. Ich war meinem eigenen Standard untreu geworden. Ich sollte dringend an meinem eigenen Profil arbeiten.

Ihre Katja Änderlich