Klare Grenze für Zwang & Maßstäbe für Vermeidung von Gewalt

Zwangsmaßnahmen sollen im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung weitgehend nur nach Richtervorbehalt zugelassen sein. Fachleute sprechen von einem Grundsatzurteil zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Fixierung von Patienten in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung, Selbsthilfevertreter von einer Stärkung der Patientenrechte. Fachverbände wie die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, begrüßen das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes.

Bei einer nicht nur kurzfristigen Fixierung handelt es sich um eine Freiheitsentziehung, für die Artikel 104 Absatz 2 des Grundgesetzes den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung vorsieht, teilt das Bundesverfassungsgericht mit. Von einer kurzfristigen Maßnahme ist in der Regel auszugehen, wenn sie absehbar die Dauer von ungefähr einer halben Stunde unterschreite. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit dem Urteil auf zwei Verfassungsbeschwerden hin die einschlägige Vorschrift des Landes Baden-Württemberg für verfassungswidrig erklärt und bestimmt, dass der baden-württembergische und der bayerische Gesetzgeber – der bislang keine spezielle Rechtsgrundlage für Fixierungen erlassen hat – verpflichtet sind, bis zum 30. Juni 2019 einen verfassungsgemäßen Zustand herbeizuführen.

Die DGPPN legt erst vor wenigen Wochen die neue S3-Leitlinie „Verhinderung von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen“ vor. Die Fachgesellschadt legt darin einen Katalog an Empfehlungen vor, die das Auftreten einer gefährlichen Situation verhindern und Zwang grundsätzlich vermeiden helfen sollen. Damit folge sie der Überzeugung, dass Freiheitsentzug durch Zwang nicht nur eine Frage des Grundrechts, sondern auch ethischen Handelns und der Menschenwürde ist, heißt es in einer Presseerklärung.

Die Empfehlungen der Leitlinie zur Vermeidung von Gewalt und Zwang betreffen u. a.:

  • eine quantitaiv und qualitativ ausreichende Personalausstattung
  • Schulung von Mitarbeitern in Deeskalationstechniken und Strategien im Umgang mit aggressivem Verhalten
  • Einsatz von Behandlungsvereinbarungen und Krisenplänen zwischen psychiatrischen Professionellen und psychisch erkrankten Menschen („Verhandeln anstatt Behandeln“)
  • geeignete und qualitativ hochwertige Architektur

Mehr Informationen zu 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16; Urteil vom 24. Juli 2018 unter www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2018/07/rs20180724_2bvr030915.html

Mehr Informationen zur S3-Leitlinie zur Vermeidung von Gewalt und Zwang in psychiatrischen Einrichtungen unter www.dgppn.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-2018/leitlinie-zwang.html

 


Quelle: Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 2018/Pressemitteilung der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde vom 24. Juli 2018/eigene Recherchen