Kinder und Jugendliche und ihre Familien brauchen spezifisch qualifizierte Therapeuten

Gemeinsame Stellungnahme der DGKJP und der Konferenz der Lehrstuhlinhaber für Kinder- und Jugendpsychiatrie/-psychotherapie zur Zukunft der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie im Rahmen der Reform des Psychotherapeutengesetzes

Der Koalitionsvertrag der Regierung sieht im Gesundheitsbereich unter anderem eine Neuordnung des Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) vor. Seither mehren sich unterschiedliche Konzeptvorschläge in Bezug auf eine mögliche „Direktausbildung“. Gleichzeitig fürchten Ausbildungsstätten für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie den Wegfall einer spezifischen Ausbildung. Vor diesem Hintergrund haben der Vorstand der DGKJP und die Konferenz der Fachvertreter für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie das Thema im Rahmen des letzten Fachvertretertreffens Ende Juni ausführlich diskutiert. Es herrscht Einigkeit, dass die psychotherapeutische Behandlung von Kindern und Jugendlichen weiterhin „Kinderspezialisten“ vorbehalten bleiben muss. Genauso besteht Konsens, dass die Anforderungen an die Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten gleichwertig zu denen zum Erwachsenenpsychotherapeuten sein müssen. Bei der Neuregelung der Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sollte aus Sicht des Vorstandes und der Konferenz der Fachvertreter die spezifische Ausbildungsrolle der Kliniken, die weit über die Bereitstellung bloßer Praktikumsplätze hinaus geht, stärker berücksichtigt werden. Innovationen in der psychosozialen Versorgung schwer psychisch kranker Kinder und Jugendlicher sind in den letzten Jahren vor allem in diesem Umfeld entwickelt worden (Home-Treatment-Modelle, aufsuchende Interventionen etc.). Die Verzahnung zwischen Praxis und Forschung einerseits und kompetenter spezifischer Ausbildung für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten andererseits muss das Ziel einer Reform sein.

Kinder und Jugendliche und ihre Familien brauchen spezifisch qualifizierte Therapeuten

Gemeinsame Stellungnahme der DGKJP und der Konferenz der Lehrstuhlinhaber für Kinder- und Jugendpsychiatrie/-psychotherapie zur Zukunft der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie im Rahmen der Reform des Psychotherapeutengesetzes

In dieser Legislatur wird eine Reform des Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) in Deutschland diskutiert. Zur Debatte steht dabei eine universitäre grundständige Ausbildung Psychologischer Psychotherapeuten als so genanntes „Direktstudium“. Die Bundespsychotherapeutenkammer, diverse Institute und Vereinigungen haben hier Vorschläge eingebracht, die wiederum andere Gruppen, z.B. die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, erheblich irritiert haben, da sie manche Vorschläge als drohendes Ende einer spezifischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie sehen. Auch im Fach der Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie, hauptverantwortlich für die ärztliche, psychotherapeutische und psychosomatische Versorgung von Kindern, gibt es teilweise divergierende Einstellungen zum Direktstudium.

Die mit einem Direktstudium verbundenen, bisher ungeklärten Fragen der Kompetenzzuschreibung und des ordnungspolitischen Rahmens stoßen auf erhebliche Bedenken der ärztlichen Verbände.

Der Vorstand der DGKJP hat sich auf seiner gemeinsamen Sitzung mit der Fachvertreterkonferenz am 30.06.2014 in Berlin ausführlich mit der Thematik befasst, um gemeinsame Grundpositionen zum anstehenden Reformprojekt heraus zu arbeiten und in die Diskussion einzubringen.

Folgende Punkte sollten aus Sicht der DGKJP in einer Revision des PsychThG unbedingt berücksichtigt werden:

Kinder und Jugendliche müssen auf jeden Fall auch künftig von „Kinderspezialisten“ behandelt werden, die besondere Kenntnisse aufweisen, und die spezielle Kompetenzen im Umgang mit verschiedenen Altersgruppen entwickelt haben.

Historisch ist die Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten aus der früheren Psychagogenausbildung hervorgegangen. Historisch begründet waren auch Limitationen für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, die nicht durch den Erwerb von Zusatzqualifikationen auch Erwachsene behandeln konnten, während Erwachsenenpsychotherapeuten umgekehrt, mit relativ wenig Aufwand, auch Zugang zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen finden können. Derzeit ist nur bei der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie rechtlich auch mit einem Bachelorabschluss ein Zugang zur Psychotherapieausbildung möglich, obwohl die meisten Institute vernünftiger Weise einen solchen Zugangsweg ablehnen und die Mehrzahl der Kliniken Kandidaten mit Bachelorabschluss nicht in das Praktikum aufnehmen. Diese Ungleichbehandlung in Bezug auf die Qualifikation von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten ist nicht sachgerecht. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten benötigen eine gleichwertige Ausbildung verglichen mit Erwachsenentherapeuten. Die Ausbildung von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten muss interdisziplinär und unter Einbezug entwicklungspsychologischer, pädagogischer und medizinisch-pflegerischer Inhalte gestaltet werden. Für den stets erforderlichen Einbezug von Eltern sind auch erwachsenenbezogene psychiatrische und psychotherapeutische Inhalte einzubinden.

Eine Niederlassung in eigener Praxis sollte nach einem Direktstudium erst nach einer längeren verpflichtenden Vertiefungsphase mit eigenständiger therapeutischer Tätigkeit unter Supervision möglich sein, analog der Facharztausbildung für Ärzte.

Psychotherapie für Kinder und Jugendliche im ambulanten Bereich bedarf eines breiten Spektrums an differenzierten Zugängen und Settings. Vorgaben der Richtlinientherapie werden allseits für zu unflexibel gehalten, bezogen auf die Bedürfnisse der Patienten und insbesondere bezogen auf die damit verbundene Selektion bestimmter Patientengruppen. Vom GBA sollten Qualitätsstandards für die ambulante Psychotherapie entwickelt werden. Es sollte dabei kritisch geprüft werden, inwieweit ärztliche und nicht-ärztliche Psychotherapie in einem gestuften Gesamtkonzept der interdisziplinären psychotherapeutischen Versorgung der Bevölkerung dargestellt werden können. Wie für die ärztliche Psychotherapie schon ausformuliert, wären dabei verschiedene Ebenen der psychosomatischen Grundversorgung, der fachgebundenen Psychotherapie und der fachärztlichen Psychotherapie jeweils gesondert zu betrachten.

Klinische Zeiten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und die Arbeit mit Patienten, die wegen der Schwere ihrer psychischen Erkrankung und komorbiden Störungen in Kliniken oder Institutsambulanzen behandelt werden, sind für eine fundierte und breit angelegte kinder- und jugendlichenpsychotherapeutische Ausbildung unabdingbar.

Dabei sind die Kliniken nicht einfach Praktikumsinstitutionen, die integral in den Instituten als Ausbildungsstätten kaum berücksichtigt werden. Vielmehr wird in den Kliniken ein wesentlicher Teil der leitlinienkonformen, störungsspezifischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen in der Praxis gelehrt. Dieser wichtigen Ausbildungsaufgabe der Kliniken und Praxen für Kinder- und Jugendpsychiatrie muss bei allen bevorstehenden Entwürfen in geeigneter Weise Rechnung getragen werden.
Tätigkeiten in der Psychotherapie für Kinder und Jugendliche im stationären und teilstationären Setting können nicht allein in Verantwortung der ausbildenden Institute liegen, sondern müssen weiterhin unter den klaren Vorgaben der ärztlichen Letztverantwortung fachlich angeleitet und je nach Aus- und Weiterbildungsstand der künftigen Psychotherapeuten in Ausbildung enger oder weniger eng supervidiert werden. Im Falle einer generellen - von uns erwarteten und prinzipiell begrüßten - tariflichen Entlohnung der Psychotherapeuten in Ausbildung (wie z.B. derzeit schon im Tarifvertrag der Uniklinika Baden-Württemberg) müssen deren Leistungen in den Kliniken im Rahmen der OPS-Kodes beim DIMDI angemessen berücksichtigt bzw. neu definiert werden. In die künftig durch den GBA zu entwickelnden Vorgaben der Struktur- und Personalqualität für psychiatrische und kinder- und jugendpsychiatrische Krankenhäuser sind die verschiedenen psychotherapeutischen Kompetenzebenen angemessen zu integrieren. Dabei dürfen durch einen Einbezug von weiteren Leistungserbringern wie Institutsambulanzen, deren Klientel außerhalb des allgemeinen Versorgungsauftrags definiert ist, die Gesamtressourcen für Psychotherapie für diese sensible Patientengruppe nicht künstlich verknappt werden.

Fazit:

Spezialisierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie ist komplex und unverzichtbar. Die Zugangsvoraussetzungen zu Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie müssen denen der Erwachsenen-Psychotherapie entsprechen. Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten sollten bei entsprechender Zusatzausbildung auch Erwachsene (mit)behandeln können, da die Mitbehandlung der Eltern ohnehin durch die notwendige Familienbehandlung erfolgt und diese Kompetenzen in jedem Fall erforderlich sind. Modelle, die nur noch generell psychologische Psychotherapeuten (ohne spezifische Ausbildung) sehen, wie z.B. Modelle der Direktniederlassung nach dem Studium, lehnen wir nachdrücklich ab. Spätestens im Rahmen einer Reform muss die Arbeitsleistung der PiAs in den Kliniken honoriert und anerkannt werden. Gleichzeitig müssen diese Arbeiten als Leistungen ihren Niederschlag im zu entwickelnden Entgeltsystem und in den vom GBA vorbereiteten Strukturqualitätsmerkmalen finden. Auch für die berufliche tarifliche Eingruppierung ihrer Tätigkeiten in Kliniken braucht es differenzierte Qualifikationsmerkmale für unterschiedliche Ausbildungsstufen im Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Die wesentliche Ausbildungsleistung der Kliniken muss bei einer Neugestaltung der Psychotherapeutenausbildung stärker berücksichtigt werden (integraler Bestandteil der Ausbildung, nicht nur Praktikumsplatz und Abbildung im Curriculum). Wünschenswert ist die generelle zeitliche Einordnung der Praktikumsphase in den Kliniken sowohl am Anfang als auch zu Beginn der Behandlungsbefähigung im Rahmen der Ausbildung bzw. des Studiums und nicht, wie vielerorts praktiziert, nur am Anfang.

Dringend benötigt werden außerdem Forschungsaktivitäten zur Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen jenseits der Vorgaben der Richtlinienpsychotherapie zur Effektivität verschiedener, auch methodenintegrativer Behandlungsverfahren in flexiblen Settings und in multiprofessioneller Vorgehensweise. Gerade in diesen praxisnahen Behandlungsfeldern, welche eher schwerer beeinträchtigten Patientinnen und Patienten zu Gute kommen, hat die ärztliche Psychotherapie und methodenintegrative Behandlung in den letzten Jahren zahlreiche Belege für innovative Behandlungsansätze bei Kindern und Jugendlichen gebracht.

Erforderlich ist eine Bedarfsplanung für die psychotherapeutische und psychiatrische Versorgung, die das Gesamtspektrum spezifischer für Kinder und Jugendliche notwendiger, psychotherapeutischer Leistungen adäquat berücksichtigt und den autonomen Zugang für Kinder und Jugendliche zur alters- und entwicklungsstandentsprechenden psychotherapeutischen Behandlung in jeder Region und für alle Störungsbilder gleichermaßen gewährleistet.

Autoren: Prof. Dr. R. Schepker, Prof. Dr. K. Becker, Prof. Dr. B. Herpertz-Dahlmann, Prof. Dr. Dr. M. Holtmann, Prof. Dr. F. Resch, Prof. Dr. J. Fegert für den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie und die Konferenz der Lehrstuhlinhaber in der Kinder- und Jugendpsychiatrie