Jugendhilfeträgern geht das Personal aus
Der Jugendhilfeträger 'Mutabor - Mensch und Entwicklung' aus dem Rhein-Sieg-Kreis hat ein echtes Problem: Er findet nicht mehr genügend Fachkräfte, um sein breit gefächertes Jugendhilfeangebot weiterhin vorhalten zu können. Die beiden Geschäftsführer des freien Trägers wünschen sich daher mehr Aufmerksamkeit für die Rahmenbedingungen der 'Hilfen zur Erziehung'.
„Wir stehen erst am Beginn einer Entwicklung, die die Kinder- und Jugendhilfe auf eine machtvolle Weise beeinflussen und vielleicht sogar dominieren wird“, befürchtet Jürgen Sellge, der vor 16 Jahren den gemeinnützigen Jugendhilfeträger MUTABOR Mensch & Entwicklung mit Hauptsitz in Eitorf im Rhein-Sieg-Kreis gründete. Während in der Öffentlichkeit der höchste Stand der in Pflegefamilien untergebrachten Kinder und der Höchststand an Kindeswohlgefährdungen in diesem Jahr bekannt geworden sind, rückt innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe zumeist der hohe Fachkräftebedarf in Kindertageseinrichtungen in den Fokus. „Der Bedarf in den Hilfen zur Erziehung schafft es hingegen nicht in die Schlagzeilen“, hat Co-Geschäftsführer Matthias Holland bemerkt, der gleichzeitig Pädagogischer Leiter des privaten Trägers ist.
Das Problem sei, so Holland, dass die Zahl der 'Jugendhilfenutzer*innen' in einem Maße steige, in dem die Gewinnung pädagogischer Fachkräfte nicht mithalten könne. So weist er auf die für die Kinder- und Jugendliche gestiegenen Ausgaben von Bund, Ländern und Kommunen sowie den Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter hin. Dem gegenüber stehe der gewachsene Bedarf an pädagogischen Fachkräften, deren Anzahl gemäß Kinder- und Jugendhilfereport 2018 von 2006/2007 bis 2016/2017 um ca. 67.000 Fachkräfte gestiegen sei. Ein Ende sei unabsehbar, wenn man an den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz denke oder an die hohe Nachfrage nach pädagogischen Kräften im Rahmen der Eingliederungshilfe.
Ein harter Schritt – die Schließung einer Wohngruppe
Jürgen Sellge beschreibt besorgt, dass diese Situation auf kaum wahrnehmbare, langfristig aber sehr wirkungsmächtige Weise die Zukunft der Hilfen zur Erziehung in Frage stelle. „Ohne pädagogische Fachkräfte keine pädagogischen Dienste,“ bringt er es auf den Punkt. Den Personalmangel habe MUTABOR - aber auch andere Träger - leider schon ganz konkret zu spüren bekommen. So musste eine Wohngruppe geschlossen werden, weil sich keine Fachkräfte auf die ausgeschriebenen Stellen beworben hatten. Für die zuvor dort lebenden fünf Kinder konnte zwar mit Hilfe der zuständigen Jugendämter eine anderweitige Unterbringung gefunden werden, auch die in der Wohngruppe Beschäftigten erhielten alternative Arbeitsangebote. Doch das Domizil im Eitorfer Ortsteil Käsberg wurde aufgegeben. „Das war ein für alle Betroffenen harter Schritt“, fasst Sellge zusammen.
Nicht nur Wohngruppen seien gefährdet, befürchten die beiden Geschäftsführer. Auch das bisherige Wachstum der Hilfen gem. § 33 SGB VIII, also die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Pflegefamilien als Form der Fremdunterbringung, wird nach ihrer Einschätzung nur noch einige Jahre andauern. Die zunehmende Berufstätigkeit von Frauen und das damit verbundene 'Aussterben' der sogenannten Hausfrauenehe mache es den Jugendämtern schon jetzt schwer, Pflegefamilien in ihrer Stadt zu finden. Deshalb würden sie fallweise gerne auf ländlich gelegene Landkreise zurückgreifen, wo sie eher noch klassische Familienstrukturen und den benötigten Platz vorfänden.
Perspektivisch sei aus Sicht von Sellge und Holland nicht auszuschließen, dass Jugendämter kindeswohlgefährdende Situationen wegen fehlender Fremdplatzierungsmöglichkeiten nicht unmittelbar beenden könnten. Holland befürchtet, dass ein Absenken der Fachkraftquoten oder die Inkaufnahme einer schlechteren Personalausstattung die Folge sei. Für ihn ist das ein Widerspruch, denn „diese Entwicklung steht in starkem Kontrast zu den gestiegenen Ansprüchen an die Arbeit und der Beobachtung vieler Praktiker, dass das Ausmaß an Auffälligkeiten oder erzieherischen Problemen immer weiter zunimmt!“ – Das erfordere erst recht die Kompetenzen von Fachkräften.
Politik gefordert – bessere Rahmenbedingungen nötig
Aus Trägersicht seien politische Maßnahmen unumgänglich: „Wir fordern die Politik auf, Rahmenbedingungen zu schaffen, die erstens eine bessere Entlohnung von Fachkräften, zweitens Umschulungen für Quereinsteiger, drittens die Ausweitung von Ausbildungsmöglichkeiten für Erzieher/innen sowie viertens die Berücksichtigung von Auszubildenden im Abrechnungsverfahren zwischen Ämtern und Jugendhilfeträgern vom Beginn der Ausbildung an ermöglichen, und die fünftens das Arbeitsfeld 'Hilfen zur Erziehung' attraktiver wirken lassen“, bekräftigt Sellge.
Schließlich gebe es viele Pluspunkte, die Tätigkeiten in der Kinder- und Jugendhilfe mit sich brächten: Eine sinnstiftende Arbeit oder die unterschiedlichen Arbeitsfelder, in denen sich im Laufe eines Berufslebens verschiedene Schwerpunkte setzen ließen. Auch bieten Jugendhilfeträger ein hohes Maß an Arbeitsplatzsicherheit, was gerade für junge Beschäftigte keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Und nicht zuletzt zeigen sich auch attraktive Karrieremöglichkeiten: Aufgrund des demographischen Wandels werden in den kommenden Jahren viele Stellen mit Führungsverantwortung frei.