Katze wird gekrault
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Jahresthema Selbstfürsorge

Ob ich Vorsätze für das neue Jahr habe, fragt Marvin, ein junger Kollege aus Arians Team, bevor wir in unsere Fachberatung Kinderschutz einsteigen.
Nein, habe ich nicht. Oder vielleicht doch. Selbstfürsorge ist mein Jahresthema. Ich möchte gut für mich sorgen, das habe ich mir vorgenommen.
Marvin sagt, er will weniger rauchen, und er hat sich selbst beobachtet im Januar. Er hat, immer wenn er Suchtdruck hatte, seine Notizen geöffnet und geschrieben wo er gerade ist, und mit wem und was er denkt. Und als er das notiert hatte, war der Suchtdruck weg.

Bei der SPFH für Familie Bergstein habe er viel geraucht im letzten Jahr. Nicht in der Familie, nicht bei den Hausbesuchen aber davor und danach. Der Einsatz dort habe ihn ganz schön mitgenommen, sagt Marvin. Richtig krank sei er geworden.

Ach deshalb, denke ich. Das war ja schon recht auffällig, die vielen Arbeitsunfähigkeiten bei Arians neuem Träger. Ich dachte mir schon, dass die nicht alle Grippe haben. Erschöpfungssyndrome und akute Stressreaktionen seien es gewesen, bei ihm und bei Luise, seiner Co, die immer noch arbeitsunfähig ist.
Ich frage nach seinem Beratungsanliegen.

Er schildert den Fallverlauf, die Zweifel, die von Anfang an da gewesen sind, die fehlende Begleitung als neu zusammengewürfeltes Co-Team, dass bei den Fallbesprechungen im Team immer nur er oder die Kollegin dabei waren, niemals beide, so wie jetzt auch, dass Arian eine merkwürdige Art hat, die Fallberatungen in der Teamsitzung zu moderieren. „Da schließen sich bei mir sofort alle Denkkanäle“, sagt Marvin. Er kennt die kollegiale Fallberatung, in der alle gehört werden und die Ideen nicht gleich diskutiert werden, und die Fachkraft entscheidet, was sie mitnimmt. Bei Arian sei es so, dass er immer gleich sagt, was zu tun ist und gar nicht alle gehört werden. Außerdem würde nie etwas visualisiert werden, so wie bei mir. Ich nehme den Ball auf und frage nochmal, was denn sein Anliegen sei.

Er möchte überprüfen, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt und wenn ja, wie er das in den Bericht schreiben soll. Er habe zwar schon einen Bericht geschrieben, der war aber noch nicht fertig, die Kollegin hätte noch etwas zu ergänzen gehabt, sie war aber krank, und Arian hat den Bericht herausgeschickt, obwohl er noch gar nicht fertig war. „Außerdem war er noch gar nicht mit den Eltern besprochen“,  sagt Marvin, der den Bergsteins das vorher zugesagt hatte. Die waren natürlich empört und drohten mit einer Anzeige wegen Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung. Der Kollege vom Jugendamt hat den Bericht zurückgegeben, er soll mit den Eltern besprochen und überarbeitet werden.

Marvin schildert, was er und die Kollegin beobachtet haben und im Ergebnis kommen wir zur Feststellung, dass eine Kindeswohlgefährdung nicht ausgeschlossen ist und die Familie dringend eine passende Unterstützung braucht. Das Kind erfährt eine psychische Misshandlung, ohne dass die Eltern dies wollen. Sie sind überfordert, fühlen sich hilflos, und sie können einfach nicht anders.
Das Co-Team habe eigentlich schon im Oktober zu mir kommen wollen, aber irgendwie ist es nicht dazu gekommen weil immer etwas anderes wichtiger war.

Ich biete ihm an, den Bericht gemeinsam zu überarbeiten, wir machen eine kleine Pause, in der Marvin seine NikotinSuchtDruckNotizen öffnet, und dann bringen wir den Bericht in Form.
Im Anschluss vereinbare ich gleich noch einen Termin mit Arian. Ich möchte, dass er frühzeitig dafür sorgt, dass die Fachkräfte zu mir kommen. Auch wenn wir alle eigenverantwortlich für unsere Selbstfürsorge zuständig sind, hat auch der Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht für die Mitarbeitenden. Und dazu gehört auch, sich den Zweifeln zu widmen und sich frühzeitig miteinander zu beraten.       

Ihre Katja Änderlich*


 *Pseudonym der Autorin