Ist Leben irdisch?

von Dr. Jos Schnurer
03.07.2021

Gibt es ein Alleinstellungsmekmal des menschlichen Lebens? Dr. Jos Schnurer über das Interesse des Menschen an außerirdischem Leben und die Perspektiven eines Kontakts.

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Mit der intellektuellen Frage – „Wer bin ich?“ hat der Homo ego disens, das ich-sagende Lebeweseni, seine Existenz des Lebens zu erkunden versucht. Es sind die „Lebenswissenschaften“ – Philosophie, Psychologie, Pädagogik, Soziologie und Naturwissenschaften, die das anthropologische Nachdenken über „bios“ (βίος, vita) befördern. Im antiken philosophischen Diskurs unterscheidet bereits Aristoteles zwischen dem menschlichen, tierischen und pflanzlichen Leben (zôê, ζωή). Der lebendige Körper (psychê, ψυχή) zeigt an, welche Bedeutung die Seele beim Leben einnimmt. Der Anthrôpos, der Mensch, nimmt dabei in der scala naturae eine Mittelstellung zwischen theos, Gott, und zôon, Tier, einii. Der unerschütterliche Glaube an die göttlichen Mächte, wie wir sie aus der Odyssee lesen – „Jezzo erhub sich die Sonn‘ aus ihrem strahlenden Teiche. Auf zum ehernen Himmel, zu leuchten den ewigen Göttern. Und den sterblichen Menschen auf lebenschenkender Erde“iii. Die biblische Lehre, dass Gott am Anfang Himmel und Erde, und (in der Reihenfolge?) das Licht, das Wasser, die Erde, die Tiere, Pflanzen und die Menschen schuf („Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde“iv), bestimmt – spätestens bis in die Zeiten der Aufklärung – dass, zumindest im abendländischen Denken, der Mensch als „Krone der Schöpfung“ bezeichnet werden kannv. Die Aufforderung – Sapere aude, habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienenvi - kann als ein entscheidender Perspektivenwechsel im Denken der Menschen verstanden werden. Er hat seitdem philosophische und lebensweltliche Reflexionsprozesse hervorgerufen, in denen das Alleinstellungsmerkmal des menschlichen Lebens, im Gegensatz zum tierischen und pflanzlichen, in Frage gestellt wirdvii.

Was ist wirklich?

Im (existenz-)philosophischen Diskurs werden die Fragen nach der Wirklichkeit und der Wahrheit in unterschiedlicher Weise beantwortet. Die Conditio Humana, die Fragen nach dem Sinn des menschlichen Lebens, nach den Verantwortlichkeiten des Daseins, verweist darauf, dass mögliche Idealzustände und –möglichkeiten des Lebens nicht per se, also automatisch und genetisch vorgegeben sind, sondern intellektuell erworben und hergestellt werden müssenviii. Es sind ontogenetische, evolutionäre Herausforderungen, die notwendig sind, um ego-, ethnozentristische, rassistische und populistische Auffassungen zurückzudrängen und humanes, ganzheitliches Leben möglich zu machenix. Der Wunsch, den Sinn und die Herausforderungen des individuellen und kollektiven Lebens der Menschen in einfachen Ja-Nein-Antworten und simplen Gewissheiten zu finden, ist verständlich, aber eben nicht zielführend.

Allzu menschliche Fragen stellen sich immer wieder, und in unterschiedlicher, realistischer wie phantastischer Form: Ist Leben, wie wir es auf der Erde kennen, einmalig? – Gibt es Lebensformen, die entweder unseren gleich oder ähnlich oder ganz anders sind, im All und Universum? In der Science Fiction-Literatur, in Filmen, Theaterstücken und Kunstwerken sind sie durchaus lebendig und vorstellbar, immer verbunden mit dem Wissen, dass das Dargestellte nicht wirklich, sondern erdacht und phantasiert ist. Anders stellt es sich dar, wenn es um „Außerirdische“ geht, die mit riesigen Ufos auf der Erde landen und entweder Schrecken verbreiten, (Entwicklungs-)Hilfen für die Menschheit bringen oder das menschliche Leben beeinflussen und steuern. Es sind wissenschaftlich und glaubhaft beanspruchende Meldungen darüber, dass „Außerirdische unter uns sind“. Der US-Geheimdienst veröffentlicht einen Bericht über ungeklärte Phänomene im Luftraum: Pilot*innen der US-Navy wollen immer wieder Objekte gesichtet haben, die mit Hyperschallgeschwindigkeit ihre Flugzeuge kreuzten. Die New York Times informiert mit Berufung auf hochrangige Regierungsbeamte, dass die Geheimdienste bisher zwar keine Beweise dafür vorlegen können, es handele sich bei den Sichtungen um Raumschiffe oder Technologien von Außerirdischen; doch ausgeschlossen könne das auch nicht werden. In der Bevölkerung zeige sich zwar einerseits ein großes Interesse an den möglichen Phänomenen, gleichzeitig breite sich Unruhe aus, ob dies Gefahren für die Menschen bedeuten könne: „Keiner weiß, was zu tun ist“, so äußert sich ein Kongressabgeordneter zur Situation. Barack Obama hat in einer Talkshow-Veranstaltung festgestellt: „Wahr ist, dass es Aufnahmen von Objekten am Himmel gibt, von denen wir nicht genau wissen, was es ist“. Der ehemalige Astromaut Chris Hadfielt freilich entgegnet, dass diese Meldungen und Sichtungen der „Gipfel der Dummheit“ seienx. Der Weltraumhistoriker Alexander Geppert weist darauf hin, dass die Berichte im Rahmen der Vermutungen und Spekulationen über Außerirdische nur „zu weiterem Rauschen“ führen würde. Die Ergebnisse werden nicht wirklich dazu beitragen, das Ufo zu erklären oder dessen Herkunft zu klären“, sagte er im Dlf-Interview. „Es liegt in der Natur der Sache, dass das Ufo unerklärbar ist. Es ist eine Leerstelle und das muss auch so sein“; denn, so der Geschichtswissenschaftler, in den Erzählungen über Außerirdisches, Anderes, Unbegreifliches stecke eine Sehnsucht der Menschen nach Ordnung, nach dem Guten und dem Gelingenden im Lebenxi.

Das Leben ist kein Traum

Das Streben der Menschen nach Wissen und Wirklichkeit wird zum einen befördert durch wissenschaftliche Aktivitäten. Es sind Forschungen und Fakten, die auf verschiedenen Denkwegen und –richtungen zustande kommen. Weil Wissenschaft Wissen schafft, kommt ihr für die Aufklärungs-, Bildungsentwicklung, Ich- und Weltverständnis des Menschen eine besondere Bedeutung zuxii. Es sind Auseinandersetzungen mit dem Sosein des Menschen, die sich in der individuellen Existenz als Berg- und Talfahrt, als Rutsche und Risiko darstellenxiii, in der Analyse von Traumata zeigenxiv, oder bei Spaziergängen erworben werden könnenxv. Denken nämlich, als Voraus- und Nachdenken, vollzieht sich bewusst und unbewusstxvi. Gefordert ist autonomes Denken, das gründet in dem Bewusstsein der kollektiven, humanen Existenzxvii.

Zu den Sternen schauen

Immer schon haben Menschen den Blick zu den Sternen gelenkt, andächtig, ehrfurchtsvoll, hoffnungsvoll und furchtsam. „Der Mann im Mond“, als Ebenbild oder Monster, wurde besungen und erzählt – bis es möglich wurde, dass der Mensch durch den technologischen, wissenschaftlichen Fortschritt die ersten Schritte auf dem Nachbarplaneten tun konnten – und kein Leben vorfanden. Die ersten, unbemannten Marslandungen sind als irdisches Machtstreben erfolgt. Die Weiten des Alls werden durch neue astronomische Technologien und physikalische Analyseverfahren erkundet. Mit den Prognosen und Projektionen verbinden sich immer auch Fragen danach, wie unsere Erde und das Leben auf dem Planeten entstanden sind: „Wie sind wir geworden, was und wie wir sind?“. Es ist die digitale, globale Welt, die den Blick ins All und der Suche nach außerirdischem Leben motiviert. Als die Astronauten voller Begeisterung und Anschaulichkeit die ersten Bilder vom „blauen Planeten“ funkten, da entstanden auch die bangen, wie fordernden Fragen: „Wie gehen wir mit unserer Erde um?“. Es sind die Herausforderungen, die Umwelt der Menschen gerechter, menschenwürdiger und nachhaltiger zu gestalten und zu erhaltenxviii. Es ist die Bildung, die Raum braucht und Raum schafft, die es den Homo erectus ermöglicht, aufrecht zu gehen und zu leben, Raum und Zeit in Einklang zu bringen und bewusst auf den Boden zu stehenxix.

Sozialität – individuell, lokal, global und intergalaktisch

Falls tatsächlich einmal real die Möglichkeit bestehen sollte, dass Erdbewohner mit außerirdischen Wesen in Berührung kommen sollten, wäre zu hoffen und zu wünschen, dass dies im Sinne der menschlichen Sozialität erfolge. Weil „menschliches Handeln auf Sozialität hin ausgerichtet ist, in Sozialität Selbstreflexivität erlangt, durch Sozialität Struktur gewinnt und von Sozialität abhängig bleibt“, bedarf es eines eingehenden, differenzierten Nachdenkens und Analysierens über die Konstitutionen und Wirkungen des (klassischen) pragmatischen Denkens und Handelns. Es wird nämlich deutlich, dass „die Sozialität des Handelns und die durch sie entstehenden Verhaltenskompetenzen‚ Segen und Fluch‘ zugleich (sind)“. Die sich daraus entwickelnde Auffassung, „dass alles mit allem zusammenhängt“ bedarf der theoretischen und praktischen Analyse, dass pragmatisches Bewusstsein „Evolution, Handeln und kulturelle Entwicklung in nicht-reduktionistischer, innovativer und empirisch haltbarer Weise (miteinander, JS) verknüpft“. Der soziologischen, interdisziplinären Herausforderung stellt sich der an der Universität in Graz lehrende Soziologe Frithjof Nungesser mit der Studie: „Die Sozialität des Handelns“. Mit seinen Überlegungen über sozial vermitteltes pragmatisches Denken und Handeln bleibt er auf der Erde und entwickelt lebensweltliche und –wissenschaftliche Strategien unter Hilfenahme von evolutionstheoretischen, primatologischen, linguistischen, entwicklungs- und kulturphilosophischen und –psychologischen Aspekten. Es sind die menschlichen Beständigkeits- und Wandlungsprozesse, die (vielleicht) auch bereit machen und vorbereiten auf ein interplanetarisches Bewusstsein der Menschenxx.

Fazit

Die spekulative Annahme, dass es im Universum auch außerhalb der Erde Leben gibt, stützt sich nicht auf irrationale Phantasien, sondern auf vermutete, zukünftig aufweisbare wissenschaftliche Fakten. Diesen Perspektivenwechsel zu denken hat nichts zu tun mit Wirklichkeitsleugnung und Querdenkerei, sondern soll anregen, das konkrete, irdische Leben der Menschen zu verbessern und menschenwürdig zu gestalten; im Sinne der „globalen Ethik“, wie sie in der Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 votiert wird: „Die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte bildet die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt“xxi.

 


i Hans Lenk, Kreative Aufstiege. Zur Philosophie und Psychologie der Kreativität, stw 1456, Frankfurt/JM., 2000, S. 16

ii Otfried Höffe, Hrsg., Aristoteles-Lexikon, Stuttgart 2005, 640 S.

iii Johann Heinrich Voss, Hrsg., Homer: Odyssee, Reclam 280-83, 1962, S. 28

iv Deutsche Bibelstiftung, Die Bibel, Stuttgaqrt 1979, S.15ff

v Norbert Elias, Über den Prozess der Zivilisation, stw 159, 1976, 492 S.

vi Karl Kehrbach, Hrsg., Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, 2. Aufl., Leipzig 1787 / 1877, 703 S.

vii Wolfgang Welsch, Homo mundanus. Jenseits der anthropischen Denkform der Moderne, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/14323.php

viii Angela Janssen, Verletzbare Subjekte. Grundlagentheoretische Überlegungen zur conditio humana, 2018, www.socialnet.de/rezensionen/25043.php; siehe dazu auch: Paul Watzlawick, Wie wirklich ist die Wirklichkeit? SP 174, München 1985, 252 S.

ix Michael Tomasello, Mensch werden. Eine Theorie der Ontogenese, 2020, www.socialnet.de/rezensionen/27385.php

x FR vom 4. 6. 2021

xi DLF, 13. 6. 2021

xii Monika Rößiger, Forscherfragen. Berichte aus der Wissenschaft von morgen,2013, www.socialnet.de/rezensionen/16301.php

xiii Julian Nida-Rümelin / Nathalie Weidenfeld, Die Realität des Risikos. Über den vernünftigen Umgang mit Gefahren, 2021, www.socialnet.de/rezensionen/…php

xiv Marion Oliner, Psychische Realität im Kontext. Reflexionen über Trauma, Psychoanalyse und die persönliche Geschichte, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/16285.php

xv Jim Holt, Als Einstein und Gödel spazieren gingen. Ausflüge an den Rand des Denkens, 2020, www.socialnet.de/rezensionen/26803.php

xvi Timo Storck, Das dynamisch Unbewusste, 2019, www.socialnet.de/rezensionen/25677.php

xvii Martina Franzen, u.a., Hrsg., Autonomie revisited, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/17917.php

xviii Alberto Acosta, Buen Vivir. Vom Recht auf ein gutes Leben, 2015, www.socialnet.de/rezensionen/20598.php; Peter M. Senge, Die notwendige Revolution, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/11714.php; Ulrich Grober, Die Entdeckung der Nachhaltigkeit, 2010, www.socialnet.de/rezensionen/9284.php; Sighard Neckel, u..a., Hrsg., Die Gesellschaft der Nachhaltigkeit, 2018, www.socialnet.de/rezensionen/24051.php; Jeremy Rifkin, Der globale Green New Deal. Warum die fossil befeuerte Zivilisation um 2028 kollabiert – und wie ein kühner ökonomischer Plan das Leben auf der Erde retten kann, 2019, www.socialnet.de/rezensionen/26178,php; Ann Pettifor, Green New Deal. Warum wir können, was wir tun müssen, 2020, www.socialnet.de/rezensionen/27787.php; Manfred Folkers / Niko Paech, All you need is less, 2020, www.socialnet.de/rezensionen/26692.php

xix Ekkehard Nuissl / Henning Nuissl, Hrsg., Bildung im Raum, 2015, www.socialnet.de/rezensionen/20159.php

xx Frithjof Nungesser, Die Sozialität des Handelns. Eine Aktualisierung der pragmatischen Sozialtheorie, 2021, www.socialnet.de/rezensionen/…php

xxi Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Präambel, Deutsche UNESCO-Kommission, Menschenrechte. Bonn 1981, S. 48