IMK-Studie: Drei-Säulen-Konzept gegen Ungleichheit und Armut

Die soziale Schere zwischen Arm und Reich hat sich deutlich geöffnet. Was die Politik dagegen tun kann, zeigt eine neue Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.

IMK-Direktor Prof. Dr. Gustav A. Horn entwickelt darin gemeinsam mit seinen Forscherkollegen Jan Behringer, Dr. Sebastian Gechert, Dr. Katja Rietzler und Dr. Ulrike Stein konkrete Vorschläge, mit denen sich die Ungleichheit hierzulande wirksam reduzieren lässt. Dabei setzen die Forscherinnen und Forscher drei Schwerpunkte: Es gelte, die wirtschaftlich Starken mehr zu beteiligen, die Mitte zu stärken und Armut zu bekämpfen. "Viele Menschen empfinden die wirtschaftlichen Verhältnisse als ungerecht, wie Umfragen zeigen. Damit liegen sie auch richtig", sagt Gustav Horn. "Es ist Zeit, die Ungleichheit wieder zu reduzieren. Das sichert den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und es verbessert Deutschlands wirtschaftliche Chancen für die Zukunft. Ein polarisiertes Land kann auf Dauer nicht erfolgreich sein." 

Dass Ungleichheit ein gravierendes Problem darstellt, zeigen die IMK-Forscher anhand der neuesten Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Dabei haben sie die Bevölkerung in drei Einkommensgruppen eingeteilt: Wer weniger als 70 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat, gehört finanziell zur unteren Schicht, wer mindestens 150 Prozent ausgeben kann, zur oberen, der Rest zur Mitte. Den Berechnungen zufolge ist das durchschnittliche verfügbare Einkommen der oberen Gruppe von 1991 bis 2014 real um gut 17 Prozent gestiegen, das der Mitte um zehn Prozent. Die Geringverdiener mussten sich dagegen über den Zeitraum von mehr als zwei Jahrzehnten mit Zuwächsen von insgesamt knapp drei Prozent begnügen. Die Diskrepanz zwischen den Einkommensklassen hat sich also deutlich vergrößert. Zugleich ist die Mittelschicht geschrumpft: Der Anteil der Haushalte mit 70 bis 150 Prozent des mittleren Einkommens hat zwischen 1991 und 2014 von 63 auf 56 Prozent abgenommen.

Wirtschaftliche Dynamik erhalten und Ungleichheit verminden

Diese Entwicklung lasse sich nicht mit einer einzelnen Maßnahme umkehren, schreiben die Wissenschaftler in ihrer Studie. Erforderlich sei ein "Bündel politischer Entscheidungen, die die Regeln wirtschaftlichen Handelns so verändern, dass einerseits die wirtschaftliche Dynamik erhalten bleibt, anderseits die Ungleichheit vermindert wird". Die nötigen Weichenstellungen reichen laut IMK von Änderungen bei der Arbeitsmarktregulierung über steuerpolitische Maßnahmen bis hin zu Initiativen für eine gerechtere Verteilung von Kapitaleinkommen.

Zu ihren Vorschlägen gehört mehr Beteiligung der Starken, die Stärkung der Mitte und die Reduzierung von Armut. 

Geeignete Mittel gegen Armut wären der Analyse zufolge die Eindämmung prekärer Beschäftigung und eine Stärkung der gesetzlichen Rente. Zusätzlich sollte der Mindestlohn schneller steigen. Warnungen vor horrenden Beschäftigungsverlusten durch eine gesetzliche Lohnuntergrenze hätten sich nicht bestätigt, stellen die IMK-Wissenschaftler fest. Sie hätten aber dazu geführt, dass der Mindestlohn mit nur 8,50 Euro pro Stunde angesetzt wurde - im internationalen Vergleich ein eher bescheidenes Niveau, wenn man das Verhältnis zum mittleren Lohn zum Maßstab nimmt. Um daran etwas zu ändern, müsste der Mindestlohn stärker steigen als der Medianlohn. Das heißt: Die Kommission, die für die Anpassung zuständig ist, sollte sich nicht wie bisher allein an der Reallohnentwicklung orientieren, sondern einen Aufschlag einkalkulieren.

Neben den Niedriglöhnern sollte die Politik Langzeitarbeitslose nicht zurücklassen. Das setzt nach Auffassung des IMK eine angemessene Höhe des Hartz-IV-Regelsatzes voraus. Der derzeitige Anpassungsmodus enthalte einen "Automatismus zu mehr Ungleichheit". Denn als Maßstab diene die Entwicklung der Konsumausgaben beim ärmsten Fünftel der Haushalte. Das führe dazu, dass Hartz-IV-Empfänger in Zeiten gesamtwirtschaftlich steigender Reallöhne in der Einkommensverteilung immer weiter zurückfallen. Das könnte verhindert werden, indem die Anpassung an die Entwicklung des Mindestlohns gekoppelt wird. Der Abstand zum niedrigsten Lohn bliebe so unverändert, gleichzeitig würden die Arbeitslosen am steigenden Wohlstand beteiligt.

Gustav Horn u.a.: Was tun gegen die Ungleichheit? Wirtschaftspolitische Vorschläge für eine reduzierte Ungleichheit, IMK-Report Nr. 129, September 2017. Download: unter www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_129_2017.pdf 

Videostatement von Prof. Dr. Gustav A. Horn unter https://youtu.be/ORmbjbjMDNI


Quelle: Presseinformation der Hans-Böckler-Stiftung vom 18. September 2017