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Gesunde Männer schlagen nicht

Frau S möchte Jahrestag feiern. Am 13. November, vor einem Jahr,  haben Nachbarn die 110 gerufen, wegen Ruhestörung. Es war nicht das erste Mal. Herr und Frau S waren schon bekannt bei der Polizei. Immer wieder waren die Einsatzteams angerückt, hatten geklingelt und hörten: „Wir haben uns gestritten. Tut uns leid, wenn wir zu laut waren“. Einmal hatte Frau S eine Anzeige gemacht, wegen Körperverletzung. „Diesmal ist er zu weit gegangen. Ich werde mich trennen“, sagte sie zu ihrer Schwägerin, die ihren Bruder bereits auf seine zunehmende Gewaltbereitschaft angesprochen hatte. Frau S nahm die Anzeige zwei Tage später wieder zurück. Ihr Mann hatte die ganze Familie zum Ausflug ins Spaßbad eingeladen und nach seinem „ich brauch dich doch“ konnte sie einfach nicht anders.

Diese „Rückzieher“ sind Teil der Dynamik, die sich entwickelt, in Beziehungen häuslicher Gewalt, wobei „häuslich“ hier nicht unbedingt heißt, dass die Gewalt in einem Haus stattfindet. Gemeint ist die Gewalt in Beziehungspartnerschaften. Wenn es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen eines Paares in der Öffentlichkeit kommt, dann fällt das auch unter häusliche Gewalt. Anders als Gewalt gegen Kinder. Wenn Eltern ihren Kindern Gewalt antun, dann ist das keine „häusliche Gewalt“ sondern „Gewalt gegen Kinder“ oder Gewalt gegenüber Schutzbefohlenen oder Kindesmisshandlung.

„Die Kinder hat er nie geschlagen“, sagte Frau S als ich sie kennenlernte, vor fast einem Jahr, zwei Wochen nach dem letzten Polizeieinsatz. Der geschulte Beamte hatte gleich durchschaut, was da los war und diesmal waren auch die Kinder zuhause. Eng aneinandergerückt saßen sie in ihrem Spielhaus, das sie erst am Nachmittag zusammen mit Papa aus einem riesigen Pappkarton zusammengebaut hatten. Jetzt war es Abend und der fünfjährige Phillip hatte eingepullert vor Angst und weil es so laut war im Flur. Line versuchte ihn zu trösten und tat so als ob sie ihm eine Geschichte vorliest. Dabei konnte sie noch gar nicht lesen, sie war ja im Sommer erst eingeschult worden.

Die Polizistin sprach mit den Kindern und ihr Kollege sprach mit den Eltern und dann packte Herr S ein paar Sachen und zog vorübergehend wieder bei seiner Mutter ein. Am nächsten Tag hatte Herr Arndt, Sozialarbeiter im Jugendamt, das Polizeiprotokoll auf seinem Tisch. Es ist Standard, dass bei Vorfällen häuslicher Gewalt im Beisein von Minderjährigen das zuständige Jugendamt informiert wird.

Herr Arndt meldete sich zum Hausbesuch bei Frau S an und Herrn S lud er ins Amt ein. Als er die Familie kennengelernt hatte, entschied der Sozialarbeiter eine sozialpädagogische Familienhilfe einzusetzen. Als Fachkraft wurde ich zuständig.

„Am 13. November ist bei mir der Schalter gekippt“, sagt Frau S. „Das war der Wendepunkt, da wusste ich, es geht so nicht weiter“.

Frau S feiert Jahrestag.

Herr S auch.

Er sagt, ohne die Aufforderung, sich bei „Männer-gegen-Männergewalt“ zu melden, hätte er sich nie auf eine Therapie eingelassen und er wäre auch nicht in der Männergesundheits-Gruppe gelandet.

Am 3. November ist der Weltmännertag, laut Wikipedia ein Aktionstag zur Männergesundheit.

Am 25. November ist der internationale Tag gegen Gewalt gegen Frauen.

Was hat die Männergesundheit mit der Gewalt gegen Frauen zu tun?

Herr S sagt: „Gesunde Männer schlagen nicht! Wer richtig gesund ist, im Sinne von körperlich und seelisch heile, hat es nicht nötig, anderen Menschen Gewalt anzutun und schon gar nicht Personen, die einem etwas bedeuten.“

Allen Familienmitgliedern geht es heute besser als vor einem Jahr und sie sagen, dass die SPFH dazu beigetragen hat. In diesem Fall bin ich gern Familien-system-relevant gewesen.

Ihre Katja Änderlich