Ethikrat verneint Anspruch auf staatliche Unterstützung bei Suizid

05.06.2017 | Gesundheitswesen | Nachrichten

Der Deutsche Ethikrat empfiehlt, der gebotenen Achtung individueller Entscheidungen über das eigene Lebensende keine staatliche Unterstützungsverpflichtung zur Seite zu stellen. Damit widerspricht der Ethikrat dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2017.

Anfang März hatte das Bundesverwaltungsgericht (Az.: BVerwG 3 C 19.15) entschieden, das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Artikel 2 Absatz 1 i.V.m. Artikel. 1 Absatz 1 des Grundgesetzes  umfasse "auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Patienten, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln. Daraus kann sich im extremen Einzelfall ergeben, dass der Staat den Zugang zu einem Betäubungsmittel nicht verwehren darf, das dem Patienten eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht." Seit dem 17. Mai liegt auch die Urteilsbegründung vor.

Der Deutsche Ethikrat ist mehrheitlich der Ansicht, dass durch dieses Urteil ethische Grundwertungen unterlaufen werden: Es beschränke sich nicht darauf, individuelle Selbsttötungsverlangen zu achten. Vielmehr zwinge es das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte dazu, Suizidwünsche anhand bestimmter materieller Kriterien zu überprüfen und gegebenenfalls ihre Umsetzung durch eine Erlaubnis zum Erwerb einer tödlich wirkenden Substanz zu unterstützen.

Auf diese Weise werde eine staatliche Instanz zum Verpflichtungsadressaten der Selbsttötungsassistenz und diese von einer staatlichen Bewertung und Erlaubnis abhängig gemacht. Der Deutsche Ethikrat verweist dazu darauf, dass dies der zuletzt noch einmal in Paragraph  217 des Strafgesetzbuches zum Ausdruck gebrachten und dem gesamten System des (straf-)rechtlichen Lebensschutzes zugrunde liegenden ethischen Leitidee der staatlichen Neutralität gegenüber Lebenswertvorstellungen widerspricht. Das stelle zugleich die höchstpersönliche Natur von Suizidwünschen infrage, heißt es. Die Vorstellung, diese könnten staatlich bewertet und legitimiert werden, sei geeignet, diejenigen sozialen Normen und Überzeugungen zu schwächen, in denen sich der besondere Respekt vor jedem menschlichen Leben ausdrückt. Sie laufe damit auch der zentralen Forderung einer Stärkung suizidpräventiver Maßnahmen und Strukturen zuwider.

Forderung nach suizidpräventiver Maßnahmen

Eine Minderheit des Deutschen Ethikrates hält das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts dagegen für ethisch wohl erwogen und begrüßenswert. Ihr zufolge stehe es im Einklang mit der dem Notstandsprinzip zugrunde liegenden Moralpflicht, vor allem in existenziellen Grenzfällen ein generell begründbares Verbot nicht zum Gebot der Unmenschlichkeit werden zu lassen. Nach Auffassung der Minderheit sollte dies im Sinne einer klarstellenden und präzisierenden Regelung in das Betäubungsmittelgesetz aufgenommen werden.

Ungeachtet dieses Dissenses bekräftigt der Deutsche Ethikrat in seiner Gesamtheit die Forderung nach einer Stärkung suizidpräventiver Maßnahmen sowie nach einem Ausbau nicht nur der Hospiz- und Palliativversorgung im ambulanten und stationären Bereich, sondern allgemein der Versorgung von Menschen in der letzten Lebensphase. Mehrheitlich empfiehlt er, entgegen der vom Bundesverwaltungsgericht vorgeschlagenen problematischen Neuausrichtung des normativen Ordnungsrahmens an dem zuletzt noch einmal legislativ bekräftigten ethischen Grundgefüge festzuhalten und nicht der gebotenen Achtung individueller Entscheidungen über das eigene Lebensende eine staatliche Unterstützungsverpflichtung zur Seite zu stellen.

Der komplette Wortlaut der Ad-hoc-Empfehlung findet sich unter www.ethikrat.org/dateien/pdf/empfehlung-suizidpraevention-statt-suizidunterstuetzung.pdf


Quelle: Pressemitteilung des Deutschen Ethikrates vom 1. Juni 2017