1. Zwischenbericht zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs

Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, die vor etwa einem Jahr ihre Arbeit aufgenommen hatte, stellte nun ihren ersten Zwischenbericht vor. Neben der Dokumentation ihrer Arbeit beinhaltet der Bericht erste Erkenntnisse aus vertraulichen Anhörungen und schriftlichen Berichten. Er beinhaltet zudem Botschaften von Betroffenen an die Gesellschaft und Empfehlungen der Kommission an die Politik.

Seit Mai 2016 haben sich bei der Kommission  nach eigenen Angaben rund 1.000 Betroffene und weitere Zeitzeuginnen und Zeitzeugen für eine vertrauliche Anhörung gemeldet. Davon konnten bisher etwa 200 Personen angehört werden. Zusätzlich seien 170 schriftliche Berichte eingegangen. Bei rund 70 Prozent der Betroffenen, die sich bisher an die Kommission gewandt haben, fand der Missbrauch in der Familie oder im sozialen Nahfeld statt, gefolgt von Missbrauch in Institutionen, durch Fremdtäter/Fremdtäterinnen und rituellem/organisiertem Missbrauch, heißt es im Bericht.

Schwerpunkt: Missbrauch in der Familie

Einen ersten Schwerpunkt ihrer Arbeit hat die Kommission mit sexuellem Missbrauch in der Familie gesetzt und damit auch international Neuland betreten. Bisherige Erkenntnisse: Kinder haben ihren Erkenntnissen nach oft keine oder erst spät Hilfe erfahren, weil Familienangehörige zum Teil lange etwas von dem Missbrauch wussten, sie dennoch nicht davor schützten und handelten. Insbesondere die Rolle der Mütter steht im Fokus. Mütter treten nach den Erkenntnissen der Kommission auch als Einzeltäterinnen auf, aber vorwiegend als Mitwissende und damit als Unterstützende der Taten.

Mehrfachbetroffenheit

In den Anhörungen und schriftlichen Berichten werde deutlich, so die Kommission, dass viele Menschen mehrfachbetroffen sind. Sie erlebten sexuelle Gewalt durch verschiedene Täter oder Täterinnen oftmals auch in verschiedenen Bereichen. So wird zum Beispiel von sexuellem Missbrauch in der Familie berichtet und von parallel oder später stattfindendem Missbauch im Heim oder in der Schule. Oder es finde Missbrauch in der frühen Kindheit durch den Großvater und in der späteren Kindheit durch den Vater statt. Auch der Zugang zu rituellen oder organisierten Gewaltstrukturen erfolgt nicht selten über die Familie.

Zentrales Thema Armut

Alle Kontexte durchziehe das Thema Armut im Erwachsenenalter als Folge des Missbrauchs in der Kindheit, so die Kommission. Es bestehe längst noch kein Bewusstsein darüber in der Gesellschaft, in welchem Ausmaß sexueller Kindesmissbrauch auch das spätere Erwerbsleben beeinträchtigen kann und welche erheblichen sozioökonomischen Einschränkungen damit verbunden sein können.

Aus ihren Erkenntnissen richtet die Kommission folgende Empfehlungen an die Politik: Betroffene Menschen haben das Recht auf eine deutliche Geste der Politik und klare politische Entscheidungen, welche die Verantwortungsübernahme des Staates für mangelnden Schutz und unzureichende Hilfen in der Vergangenheit zum Ausdruck bringen. So ist es beispielsweise in Österreich gelungen, durch einen Staatsakt im Parlament ein eindrückliches Zeichen zu setzen.

Betont wird, dass eine gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung über 2019 hinaus gewährleistet sein. Die große Anzahl der Meldungen für vertrauliche Anhörungen bedinge einen deutlichen Nachsteuerungsbedarf bei den Ressourcen für Forschung. Die Kommission empfiehlt zudem dringend eine gesetzliche Verankerung. Dieses werde benötigt, um einer umfassenderen Aufarbeitung den Weg zu bereiten, zum Beispiel durch die Möglichkeit, Akten über Täter und Täterinnen einzusehen oder Verantwortliche aus Institutionen zu einer Anhörung vorzuladen.

Mehr Informationen zum Zwischenbericht und der Arbeit der Kommission und Zugang zum Zwischenbericht finden Sie unter www.aufarbeitungskommission.de/pm-14-06-2017-erster-zwischenbericht 

Zur aktuellen Situation

Die Kommission kann aufgrund ihrer begrenzten Ressourcen vorerst keine weiteren Anmeldungen für vertrauliche Anhörungen annehmen. Mit den vorhandenen finanziellen Mitteln kann sie gewährleisten, bis zum Ende ihrer Laufzeit im März 2019 alle Betroffenen anzuhören, die sich bis jetzt angemeldet haben. Bisher sind bei der Kommission fast 1000 Anmeldungen für vertrauliche Anhörungen eingegangen. Für die Kommission ist das ein Zeichen großen Vertrauens der Betroffenen in die gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung. Die Kommission hat seit Herbst 2016 verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Situation zu verbessern. Dank der zusätzlichen finanziellen Unterstützung durch das Bundesfamilienministerium in 2017 kann die Kommission fast doppelt so viele Anhörungen durchführen, wie anfangs möglich waren. Doch schon heute zeigt sich, dass der Bedarf noch viel größer ist. Wir setzen uns sehr dafür ein, dass unsere Mittel bereits in 2018 aufgestockt werden und dass die Kommission ihre Arbeit im April 2019 weiterführen kann.

Kontakt zur Aufarbeitungskommission: 0800 40 300 40 (kostenfrei und anonym) oder unter www.aufarbeitungskommission.de


Quelle: Pressemitteilung der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs beim Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs vom 14. Juni 2017