Ergotherapiepreis für Stärkungsansätze im Alltag psychisch belasteter Familien

Die beiden Ergotherapeutinnen Anna Franke und Bettina Fervers-Marten haben sich intensiv mit psychisch belasteten Familien auseinandergesetzt – in der täglichen Praxis, in ihrer Bachelorarbeit und zuletzt in einer gemeinsamen Ausarbeitung, für die sie mit dem Ergotherapie-Preis 2016 des Deutschen Verbandes der Ergotherapeuten (DVE) ausgezeichnet wurden.

Studien aus der Resilienzforschung bestätigen, was der Praxisalltag zeigt: Ein konstruktiver Umgang mit den Problemen hilft den Kindern ebenso wie den anderen Familienmitgliedern, sich aufzurichten und zu festigen. Damit hat auch die Ergotherapeutin Anna Franke ausgezeichnete Erfahrungen gemacht: „Ich erkläre den Kindern altersgerecht, was zuhause passiert. So sage ich zum Beispiel, dass die Mama eine Krankheit hat, die daran schuld ist, dass sie oft so lange im Bett liegt, so schwierig ist oder den Haushalt nicht macht“, legt sie diese Form der Intervention dar. Ergotherapeuten erklären, teils anhand dafür kindgerecht aufbereiteter Literatur, die Zusammenhänge zwischen dem Störungsbild des Elternteils und den Auswirkungen auf den Familienalltag. Findet dies nicht statt, entwickeln Kinder erfahrungsgemäß Schuldgefühle, beziehen das Verhalten des erkrankten Elternteils auf sich. Oder sie leben in einem emotionalen Chaos, weil sie nach außen die Erkrankung als Familiengeheimnis wahren und so tun müssen, als sei alles gut, obwohl das tägliche Leben in der Familie überhaupt nicht funktioniert. Oder sie übernehmen Rollen aus dem Familiensystem, denen sie – vor allem psychisch – nicht gewachsen sind.

Im Zusammenspiel der Disziplinen bei der Behandlung von Kindern psychisch erkrankter Eltern ist es die Aufgabe der Ergotherapeuten, die Familie zur Handlungsfähigkeit im Alltag zu befähigen. Ein Aspekt, der dafür sorgt, dass der Alltag ein stabiles Fundament für alle darstellt, ist, dass jedes Familienmitglied seine Rollen ausfüllt. Also die Eltern den Haushalt machen, die Kinder versorgen und die Kinder zur Schule gehen und alle damit verbundenen Aufgaben erledigen. Das ist aber bei Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil oftmals verschoben. „Damit den Eltern diese Verschiebung, die so genannte Parentifizierung der Kinder, als Problem bewusst wird, können wir verschiedene Strategien anwenden. Sehr eindrücklich ist der so genannte Rollenkuchen, ein Tortendiagramm“, beschreiben die Ergotherapeutinnen eine Vorgehensweise, die den Eltern visuell verdeutlicht, was im Familienalltag in Schieflage geraten ist und welche ihrer Rollen die Kinder übernommen haben. Mit oder ohne die Kinder erarbeiten sie, welche Rollen es in der Familie gibt. Und notieren dann auf den einzelnen „Tortenstücken“, wer innerhalb der Familie welche Rollen innehat. So lässt sich beispielsweise identifizieren, ob ein Kind Versorger jüngerer Geschwister ist, einkaufen geht, Essen kocht, Haushalt macht. Vielleicht ganz früh am Morgen, damit es danach seine eigentliche Rolle als Schüler so gut wie eben möglich wahrnehmen kann. Oder ob es Partnerersatz und Gesprächspartner ist, über Probleme mit dem psychisch erkrankten Elternteil sprechen muss, die es vielleicht noch gar nicht versteht, geschweige denn verarbeiten kann. „Einem Vierzehnjährigen kann man zumuten, einkaufen zu gehen und auch mal Essen zu kochen, ein Fünfjähriger ist damit aber restlos überfordert“, veranschaulicht die Ergotherapeutin Fervers-Marten an einem simplen Beispiel, warum ein solch verzerrter Alltag insbesondere jüngere Kinder in Dauerstress versetzt. Zusätzlich zu der Rollenverschiebung ist auch die Kommunikation häufig ein den Alltag belastendes Problem. „Ganz auffällig ist“, so die Ergotherapeutinnen, „dass die Familienmitglieder ganz viel übereinander reden, aber kaum miteinander.“ Und dies ist eine weitere wichtige Aufgabe, die Ergotherapeuten haben: Die Eltern und die Kinder dabei zu begleiten, miteinander zu reden. Oder miteinander spielen zu lernen, gemeinsam Spaß haben zu können, wie andere Familien auch. Und Dinge des täglichen Lebens zu tun wie gemeinsam Mahlzeiten einnehmen und überhaupt eine gute Strukturierung im Alltag hinzukriegen, indem sie möglichst viele Routinen und Rituale installieren. „Wenn wir das alles mit unserer Arbeit bewirken, ist schon viel gewonnen“, so das Fazit der beiden Expertinnen.

Informationsmaterial erhalten Interessierte unter anderem auf www.dve.info

Quelle: Presseinformation des Deutschen Verbandes der Ergotherapeuten vom 26. Juli 2016