Erfolgreich Forschen in der neurologischen Rehabilitation

Wissenschaftliche Forschung wird in der Regel Universitäten, Hochschulen oder Forschungsinstituten zugeordnet. Forschungsaktivitäten in operativen Einrichtungen wie Rehabilitationszentren oder Einrichtungen der Eingliederungshilfe sind dagegen selten. Und dennoch können gerade diese Einrichtungen von der Forschung profitieren. Wie das möglich ist und wie man am besten im Rahmen der neurologischen Rehabilitation forschen kann, fragte ein Symposium der Fürst Donnersmarck-Stiftung.

Neurologische Schädigungen im Erwachsenalter insbesondere durch Schlaganfälle gehören in Deutschland zu den häufigsten Ursachen für schwere Erkrankungen und eine anschließende Pflegebedürftigkeit. Schlaganfälle betreffen dabei keineswegs „nur“ ältere Menschen, sondern sind über alle Generationen hinweg verteilt. Die neurologische Forschung wurde daher in den letzten Jahren zunehmend intensiviert. Inzwischen hat die Wissenschaft bedeutende Fortschritte bei der Behandlung von Schlaganfällen gemacht. Der nächste Schritt ist nun der Ausbau der Forschung im Bereich neurologischen (Langzeit-)Rehabilitation sowie der anschließenden Betreuung und Versorgung im Sozialraum. Denn gerade bei schweren neurologischen Schädigungen spielt eine gute Anschlussversorgung bis hin zu spezialisierten Wohn- und Betreuungsangeboten eine entscheidende Rolle, um das Recht der Betroffenen auf ein möglichst selbstbestimmtes Leben dauerhaft zu gewährleisten.

Vor diesem Hintergrund ging die digitale Veranstaltung „Erfolgreich Forschen in der neurologischen Rehabilitation“ am 11. Februar 2021 der Frage nach, wie Forschungsprozesse beispielsweise in Rehabilitationszentren oder unter dem Dach anderer Einrichtungen der Behindertenhilfe organisiert und umgesetzt werden können. Veranstaltet wurde das Symposium von der Fürst Donnersmarck-Stiftung zu Berlin. Die rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erlebten ein kurzweiliges, vielfältiges Symposium, an dessen Ende fünf übergreifende Thesen diskutiert wurden, die auch das Verhältnis von Forschung, neurologischer Rehabilitation und Teilhabe adressierten. 

1. Der forschende Blick hat positive Auswirkungen auf die Versorgung und Rehabilitation betroffener Menschen 

Forschungsaktivitäten führen zu einer systematischeren Beschäftigung mit den eigenen Grundannahmen, den Alltagspraktiken in der neurologischen Rehabilitation und eingespielten Routinen. Der forschende Blick führt beinahe von selbst zu einer stärkeren Selbstreflexivität und Offenheit gegenüber neuen Ansätzen in der neurologischen Rehabilitation sowie pädagogischen Unterstützung.

Die Aufnahme von Forschungsaktivitäten beispielsweise innerhalb eines Rehabilitationszentrums kann deswegen dazu beitragen, Therapie, pädagogische Unterstützung und somit die Versorgung von Menschen mit Behinderung zu verbessern. Dies gilt auch dann, wenn diese Forschungsaktivitäten nicht in großangelegte Studien oder Publikationen in bedeutenden wissenschaftlichen Zeitschriften münden. Der „Forschende Blick“ zeichnet sich in diesem Kontext vor allem dadurch aus, Arbeitshypothesen zu bilden und theoretische Überlegungen anzustellen, die dann in größeren und systematisch angestellten Studien weiter erforscht und bewertet werden. 

2. Forschung zeigt die Bedeutung multiprofessioneller Teams in der neurologischen Rehabilitation 

Forschungsaktivitäten insbesondere in der neurologischen Rehabilitation unterstreichen vor allem die Komplexität neurologischer Einschränkungen. Sie zeigen die Heterogenität der aufgetretenen Schädigungen und Bedarfe sowie die unterschiedlichen Möglichkeiten der Behandlung auf. Gute Forschung verdeutlicht, dass neurologische Einschränkungen nur durch die Zusammenarbeit mehrerer Disziplinen und Ansätze von der pädagogischen Betreuung über die medizinische Versorgung und eine gute, aktivierende Pflege bis hin zu den unterschiedlichen Therapien (Logotherapie, Physiotherapie, Psychotherapie, Ergotherapie) adäquat behandelt werden können. 

3. Forschungsergebnisse müssen im Alltag umgesetzt werden 

Aufgrund der Bedeutung der multiprofessionellen Teams in der neurologischen Rehabilitation ist es besonders bedeutsam, Forschungsergebnisse aktiv und systematisch in der medizinischen, pflegerischen, therapeutischen oder pädagogischen Praxis umzusetzen und anzuwenden. Denn nur wenn Forschungsergebnisse, Effizienznachweise oder therapeutische Verbesserungen auch im Alltag der betroffenen Rehabilitandinnen und Rehabilitanden umgesetzt werden, können diese zu nachhaltigen Verbesserungen der Versorgungs- und Rehabilitationsqualität führen.

Dies ist insbesondere in der neurologischen Rehabilitation eine große Herausforderung. Denn neurologische Rehabilitationszentren sind in der Regel nicht systematisch an das Netzwerk der deutschen Universitätskliniken angebunden. Dadurch ist eine Einheit von Forschung, Lehre und medizinischer Behandlung in diesen Fällen nicht gegeben. 

4. Forschungsergebnisse müssen adressatengerecht kommuniziert werden 

Grundvoraussetzung für eine effektive Umsetzung von Forschungsergebnissen in der Praxis ist eine adressatengerechte Kommunikation der Ergebnisse, die von allen Beteiligten verstanden und umgesetzt werden kann. Von besonderer Bedeutung ist hierfür die Bereitschaft und die Fähigkeit, die Perspektive jeweils anderer Disziplinen einzunehmen und wissenschaftliche Ergebnisse in ihre jeweiligen Lebenswelten zu übersetzen. Dies kann ggf. auch dazu führen, neue Darstellungsformen suchen zu müssen, um wissenschaftliche Ergebnisse auch für Laien anschaulich zu machen. 

5. Königsweg Teilhabeforschung: Eine Herausforderung für die Zukunft  

Den Königsweg stellt schließlich die Teilhabeforschung dar. Das bedeutet die aktive Beteiligung der betroffenen Menschen mit Behinderung am Forschungsprozess. Dabei möchten Menschen mit Behinderung in erster Linie an der Formulierung von Forschungsfragen sowie der Interpretation der Forschungsergebnisse beteiligt werden. Weiterhin vermissen sie häufig eine respektvolle Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit den professionellen Forscherinnen und Forschern.

Dies könnte unter anderem auch damit zusammenhängen, dass Menschen mit Behinderung ihre gesamte Biografie, mithin ihre gesamte Person, in den Forschungsprozess einbringen und aus diesem Grund persönlich von den jeweiligen Ergebnissen betroffen sind. Forscherinnen und Forscher können sich einem Untersuchungsgegenstand dagegen eher mit einem analytischen Blick und größerem Abstand nähern. Dieses Spannungsverhältnis im Blick zu behalten und zu respektieren, ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer gelingenden Teilhabeforschung. 

Fazit 

Forschungsprozesse in operativen Einrichtungen der neurologischen Rehabilitation einzuführen, ist aufwendig und mit vielen Hindernissen verbunden. Die Mühen lohnen sich jedoch, da Sie – richtig organisiert – zu einer nachhaltigen Verbesserung der Versorgung und Rehabilitation führen können. Gleichzeitig können sie die wissenschaftliche Theoriebildung dahingehend unterstützen, dass theoretische Überlegungen und gebildete Hypothesen bestätigt oder falsifiziert werden. Notwendig dafür ist ein multiprofessionelles Team, das als Einheit am Forschungsprozess beteiligt wird, eine systematische Übertragung der Forschungsergebnisse in den Alltag und eine adressatengerechte Kommunikation. Wichtig wäre weiterhin eine Zunahme von Forschungsaktivitäten, an denen betroffene Menschen mit Behinderung aktiv beteiligt werden.

Sebastian Weinert