Entscheidung des Bundessozialgerichts bestätigt ernsthafte Zweifel am Ausschluss von Sozialleistungen für EU-Bürger

06.01.2014 | Sozialpolitik | Nachrichten

Das Bundessozialgericht hat am 13.12.2013 ernsthafte Zweifel an dem bestehenden Ausschluss von Sozialleistungen für arbeitsuchende Unionsbürger bestätigt und die Rechtsfrage nun dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt.

"Wir begrüßen die Entscheidung des Bundessozialgerichts, endlich eine Grundsatzentscheidung herbeiführen zu wollen und die dringend benötigte Rechtssicherheit herzustellen", sagt Diakonie-Präsident Johannes Stockmeier am 13.12.2013 in Berlin. "Es ist dem Gesetzgeber allerdings unbenommen, wie auch im Koalitionsvertrag angekündigt, schon vorher tätig werden", fordert Stockmeier. "Dies schon allein, um den Betroffenen Sicherheit zu geben und die Sozialgerichte zu entlasten. Die Erfolgsaussichten einer Klage auf Sozialleistungen sind seit der gestrigen Entscheidung deutlich gestiegen." Das Bundessozialgericht hat zu erkennen gegeben, dass ein europarechtlich gebotenener Anspruch auf Hartz IV für arbeitsuchende EU-Bürger bestehen kann.
Damit würde die sozialstaatliche Lücke geschlossen, die Kommunen und Wohlfahrtsverbände in der Notversorgung dieser Menschen vor große Herausforderungen stellt. Bisher sind arbeitsuchende EU-Bürger gesetzlich von jeglicher Grundsicherung ausgeschlossen. Viele Sozialgerichte sprechen den EU-Bürgern jedoch Leistungen zu, da gegen den Ausschluss zahlreiche rechtliche Gründe sprechen, die nun vom Bundessozialgericht bestätigt wurden. Die Menschen leben häufig am Rand oder unterhalb des Existenzminimums und ohne Krankenversicherung, oft allein vom Kindergeld. Als Beschäftigte sind sie ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen zu niedrigsten Löhnen ausgeliefert. Häufig finden sie Unterkunft allenfalls in sogenannten Schrottimmobilien zu völlig überhöhten Mietpreisen. "Klar ist: Wer einen Anspruch auf Sozialleistungen hat und sein Freizügigkeitsrecht zur Arbeitsuche rechtmäßig in Anspruch nimmt, begeht keinen `Sozialmissbrauch`. Im Gegenteil: Ziel muss es sein, allen Menschen, die ernsthaft Arbeit suchen, schnellstmöglich eine Chance auf Integration in Arbeit und Gesellschaft zu eröffnen. Es ist die Verantwortung der deutschen Gesellschaft, sie vor massiver Ausbeutung zu schützen", betont Stockmeier.

Hintergrund:

Rechtliche Situation:

Die Rechtsprechung der Sozialgerichte hinsichtlich eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen für EU-Bürgerinnen und EU-Bürger in Deutschland war bisher uneinheitlich. Es fehlt an einer Grundsatzentscheidung von EuGH und Bundessozialgericht in dieser wichtigen, aber politisch brisanten Frage. Inzwischen sind vor dem Bundessozialgericht mehrere Revisions- und Vorlageverfahren anhängig. Das Sozialgericht Leipzig hat im Juni 2013 bereits eine eigene Vorlagefrage an den EuGH gestellt, der nun ebenfalls vom Bundessozialgericht angerufen wurde. Im Jahr 2012 hat das Bundesverfassungsgericht ein Grundsatzurteil zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für Ausländer gefällt. Unionsbürgerinnen und - bürger, die sich nicht nur vorübergehend in Deutschland aufhalten, sind auch Träger dieses Grundrechts. Die deutschen Sozialleistungsausschlüsse könnten damit auch gegen deutsches Verfassungsrecht verstoßen

Soziale Situation in Deutschland:

Viele Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die mittellos zuwandern oder während ihrer Arbeitsuche mittellos werden, leben in Deutschland zum Teil unter äußerst prekären Umständen. Wegen der Leistungsausschlüsse für arbeitsuchende Unionsbürger sowohl im Sozialgesetzbuch II ("Hartz IV-Leistungen" durch das JobCenter) und SGB XII (klassische Sozialhilfe vom Sozialamt) bekommen sie keine Leistungen zur Existenzsicherung. Diese Möglichkeit ist den Mitgliedstaaten in der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG eingeräumt worden. Familien erhalten oft als einzige staatliche Leistung das Kindergeld. Zuwandernde aus Rumänien und Bulgarien werden außerdem durch die bis 31.12.2013 eingeschränkte Freizügigkeit (für Kroatien gilt dies ab 1.07.2012 für zwei Jahre) auf selbstständige Tätigkeiten beschränkt, so dass sie oft in rechtwidrige und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse mit extremen niedrigen, nicht existenzsichernden Niedriglöhnen geraten und sich als moderne Tagelöhner verdingen, wenn sie kein Gewerbe anmelden können. Vielen Frauen verbleibt eine Erwerbsarbeit zumeist nur im Bereich der Prostitution. Auch der Zugang zu Bildung für Kinder und Jugendliche ist vielerorts nicht ausreichend gewährleistet, da Schulen abwehrend reagieren, nicht genügend vorbereitet und ausgestattet sind. Ebenso entstehen Probleme bei der Wohnungssuche und daraus folgend zum Teil Mietwucher in sogenannten Schrottimmobilien. Größte Probleme verursacht auch die fehlende Krankenversicherung der Menschen, oftmals Familien mit Kindern.

Quelle: Pressemitteilung der Diakonie Deutschland - Evangelischer Bundesverband vom 13.12.2013
www.diakonie.de