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Einkommensungleichheit wächst weiter

Trotz positiver wirtschaftlicher Gesamtentwicklung hat sich die Einkommensungleichheit weiter vergrößert. Zu diesem Ergebnis kommt der neue WSI-Verteilungsbericht der Hans-Böckler-Stiftung. Autorin Dorothee Spannagel betont, der Zustand sei nicht schicksalhaft. Die Politik könnte die Entwicklung durch aktives Gegensteuern verändern.

„Die aktuellen Daten zeigen, dass all jene Politiker und Ökonomen falsch liegen, die Entwarnung geben wollten, weil sich der rasante Anstieg der Einkommensspreizung nach 2005 zunächst nicht fortgesetzt hat“, erklärt Spannagel. Sie verweist hiermit auf beschwichtigende Erklärungsansätze der Politik. Denn trotz einer Verlangsamung der Entwicklung habe die Einkommensungleichheit ein neues Rekordniveau erreicht. Haushalte mit hohen Einkommen hätten ihren Vorsprung dank steigender Kapitalerträge ausbauen können, während die Haushalte am unteren Ende der Einkommensverteilung auch gegenüber der Mitte weiter zurückgefallen seien. Ca. 40% der Bevölkerung profitiert somit nicht vom allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung. Für Spannagel bedeutet diese Entwicklung, dass die Funktionsfähigkeit der sozialen Marktwirtschaft in Frage stehe. 

Der Verteilungsbericht beruht auf den aktuellsten Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Laut Spannagels Berechnungen lag der Gini-Koeffizient, der den Grad der Ungleichheit auf einer Skala von 0 bis 1 misst, Ende 2016 bei 0,295. Das entspricht einer Steigerung um 19 Prozent seit Ende der 1990er-Jahre und 2 Prozent seit 2005, dem Jahr, in dem die Ungleichheit einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte. Während einige Ökonomen zu dem Fazit kommen, die Ungleichheit sei seit 2005 stabil geblieben oder sogar leicht gesunken, macht der WSI-Verteilungsbericht deutlich, dass es sich dabei lediglich um eine Momentaufnahme gehandelt hat. Der leichte Rückgang im Jahr 2009 beruhte demnach wesentlich darauf, dass die Kapitaleinkommen in der Finanzkrise kurzfristig einbrachen. Seit 2011 nimmt der Gini-Wert aber wieder zu. Dabei entwickeln sich die Einkommen in Ostdeutschland deutlich schneller auseinander als im Westen. Noch ist die Spreizung in den neuen Ländern allerdings geringer als in den alten.

Auch die sogenannte „Armutslücke“ hat sich vergrößert. Sie zeigt an, welches jährliche Einkommen einem durchschnittlichen armen Haushalt fehlt, um es über die Armutsschwelle von 60 Prozent zu schaffen. Inflationsbereinigt hat sich dieser Fehlbetrag von 2005 bis 2011 von 2873 auf 2673 Euro verringert, seitdem ist wieder angestiegen, bis 2016 um 29 Prozent auf 3452 Euro. Das hat Spannagel zufolge auch damit zu tun, dass im aktuellen Aufschwung – anders als in den 2000er-Jahren – nicht nur die oberen, sondern auch die mittleren Einkommen stärker zugelegt haben: Viele Haushalte in der Mitte gewannen durch steigende Löhne und mehr Beschäftigung hinzu. Ein positiver Trend, von dem im unteren Bereich der Einkommensverteilung aber wenig bis nichts ankam: Das unterste Zehntel hat zwischen 2010 und 2016 nach Abzug der Inflation sogar Einkommen verloren. In den drei Zehnteln darüber waren die Zuwächse unterdurchschnittlich. 

Um die wachsende Ungleichheit zu bekämpfen, müsste im Niedriglohnsektor eine höhere Tarifbindung erreicht werden, während die Steuersätze auf hohe Einkommen und Kapitalerträge, fordert die Forscherin. Auch müsse über Veränderungen bei der Erbschaftssteuer sowie eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer nachgedacht werden. Doch auch eine Stärkung der sozialen Infrastruktur könne positive Effekte herbeiführen, da diese dazu verhelfen könnten, das Menschen in einen Beruf zurückfinden und somit auch das Einkommen steige.


Quelle: Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung vom 10.10.2019