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Ein überraschender Vorstoß, der Fragen aufwirft

Im Sterbehilfediskurs sind die Kirchen die vehementesten Kritikerinnen eines liberaleren Umgangs mit assistiertem Sterben. Umso mehr überrascht daher der Vorstoß von Diakonie-Präsident Ulrich Lilie, dass ein assistiertes Sterben unter bestimmten Umständen auch in Einrichtungen der Diakonie möglich sein könnte. Indirekt stößt er damit eine Debatte an, die die Dominanz christlicher Wohlfahrtsverbände in bestimmten Arbeitsfeldern auf den Prüfstand stellt.

Unter der Überschrift "Die Würde der Sterbenden" hat Lilie aufgeschrieben, was ihn angesichts des lange diskutierten Themas des 'assistieren' Sterbens schon länger zu beschäftigen scheint. Denn nicht erst seit dem Urteil des Bundeverfassungsgerichts, das den §217 StGB für verfassungswidrig erklärt hat, treibt Mitarbeiter*innen in diakonischen Einrichtungen (und natürlich auch jenen anderer Wohlfahrtsverbände) die Frage um, wie man Menschen zu einem würdevollen Sterben verhelfen kann.

Die Position der Kirchen wirkte hierbei unumstößlich: Es muss alles unternommen werden, um ein schmerz- und leidfreies Sterben möglich zu machen. Den Sterbeprozess jedoch aktiv einzuleiten bzw. durch die Verschaffung eines Zugang zu entsprechenden Mitteln hierzu zu verhelfen, war und ist nicht vorgesehen. Der Tatsache, dass nicht wenige Menschen sich genau dies, ein selbstbestimmtes und friedliches Ausscheiden aus dem Leben, wünschen, wird hauptsächlich mit theologischen Argumenten begegnet.

Lilie: "Es kann unter dem Dach der Diakonie möglich sein"

Ulrich Lilie schreibt in seinem vergangene Woche veröffentlichten Plädoyer: "Wenn aber ein todkranker Mensch in seiner letzten verbleibenden Lebenszeit äußert, dass sein Leiden mit der Perspektive stetiger Verschlechterung nicht mehr lebbar für ihn ist, möchte ich das respektieren. Es ist vorstellbar, meine ich, und kann unter dem Dach der Diakonie auch möglich sein, diese Menschen zu begleiten." Die Aussage strahlt in zwei Richtungen. Zum einen richtet nach innen: Auch die Diakonie und ihre Mitarbeiter*innen können sich nicht davor verschließen, dass immer weniger Menschen verstehen (wollen), weshalb ein assistiertes, selbstbestimmtes Sterben in Würde sündhaft sein sollte. Glaubenssätze zu vertreten, mit denen eine große Mehrheit nichts mehr anfangen kann, ist kein Modell, mit denen man die Herzen der Menschen erreicht. Zum anderen richtet sie sich nach außen: Lilie sendet ein Signal des Verstehens an diejenigen, die sich durch rigide Moralvorstellungen der Kirchen gegängelt und unter Druck gesetzt fühlen. Denn auch heute, dies machte der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche Heinrich Bedford-Strohm u.a. im ZDF 'heute journal' deutlich, bezieht sich die Kirchenlogik auf das fünfte Gebot "Du sollst nicht töten", ohne dabei zu berücksichtigen, dass mit diesem Argumentationsmuster Menschen, die Sterbehilfe leisten, mit Menschen, die aus niederen Motiven töten, implizit gleichgesetzt werden. Dabei ist offensichtlich, dass es sich um völlig unterschiedliche Sachverhalte handelt. 

Aufgrund des im Februar 2020 getroffenen Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe ergibt sich möglicherweise schon sehr bald eine absurde Situation: Ist das nächstgelegene Hospiz in den Händen eines katholischen oder evangelischen Trägers, ist kein assistiertes Sterben möglich. Wird das Hospiz hingegen konfessionsunabhängig getragen, dann schon. Dies könnte zur Folge haben, dass kirchlich getragene Einrichtungen demnächst gemieden werden und die Menschen sich noch stärker erst von den Kirchen, aber im zweiten Schritt auch von den von ihnen getragenen Verbänden abwenden. Nicht erst seit kurzem ist ein deutlicher Trend erkennbar, der zeigt, dass gerade keinen großen Wert mehr auf 'kirchliche Obhut' legen. Viele möchten schlicht liebevoll umsorgt und gepflegt werden.

Es gibt keine Wahlfreiheit

Nun sollte den Kirchen und den ihnen zugehörigen Verbänden selbstverständlich niemand vorschreiben, dass assisitertes Sterben in ihren Einrichtungen möglich sein muss. Doch ergeben sich für Betroffene durchaus Probleme: Denn dadurch, dass in vielen Regionen die meisten Hospizplätze von kirchlich getragenen Organisationen zur Verfügung gestellt werden, könnte für Menschen, die kurz vor ihrem Lebensende stehen, am Ende die Postleitzahl darüber entscheiden, ob für sie ein assistiertes Sterben möglich ist oder nicht. Wahlfreiheit ist in weiten Teilen des Sozial- und Gesundheitswesens bekanntlich nicht gegeben, so dass das Argument, man könne sich ja für eine nicht-christliche Einrichtung entscheiden, längst nicht für alle greift - zumindest nicht dann, wenn man Sterbenden einräumen möchte, dass sie zum Sterben nicht in eine entfernte Stadt umziehen müssen.

Auch ist nicht jeder Mensch, der in den Einrichtungen der Diakonie an seinem Lebensende versorgt und begleitet wird, gläubig. Ob das Hospiz in katholischer, evangelischer oder konfessionsfreier Trägerschaft ist, hängt von mehr oder weniger zufälligen lokalen Bedingungen ab. Viele Menschen wenden sich also primär aus pragmatischen Gründen an Einrichtungen der Kirchen - in Köln befinden sich beispielsweise sämtliche stationären Hospize, die die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin ausweist - in katholischer Trägerschaft, nicht aus einer christlichen Überzeugung heraus. Somit könnte es zukünftig dazu kommen, dass der Zufall darüber entscheidet, welche Optionen ihnen am Lebensende bleiben. Hier sind auch die zuständigen staatlichen Stellen gefragt, die für ein flächendeckendes Angebot sorgen müssen. 

Kurzum: Wenn sich immer mehr Menschen ein friedliches assistiertes Sterben in Würde wünschen und dies gesetzeskonform ist, dann muss die Gesellschaft entsprechende Angebote schaffen. Ob dies dann Angebote von Caritas oder Diakonie sind, ist für viele Menschen schlicht nicht wichtig. Sie wünschen sich ein friedliches Lebensende in einer liebevollen und fürsorglichen Umgebung. In diesem Sinne argumentiert übrigens auch Diakonie-Präsident Lilie in seinem mutigen Aufsatz. So schreibt er: "Es geht eben auch um die Frage, wie wir es mit der Achtung der Freiheit und Selbstbestimmung dieser Menschen halten wollen."

Sebastian Hempel

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