Digitalisierung in der Neurorehabilitation
Digitalisierung ist einer der Megatrends der Gegenwart und macht vor nahezu keinem Bereich des Lebens halt. Auch in der Medizin sind digitale Prozesse inzwischen weit verbreitet. Was vor vielen Jahren mit den digitalen Bildgebungsverfahren begann, hat inzwischen eine Vielfalt an Einsatzmöglichkeiten erreicht – von der berühmten E-Akte über telemedizinische Angebote bis hin zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Diagnostik.
Auch in der neurologischen Rehabilitation nehmen digitale Angebote immer mehr Raum ein. Digitale Angebote vereinfachen beispielsweise die Kontaktaufnahme mit Rehabilitationseinrichtungen, in dem Kennenlerngespräche bequem online geführt werden können, oder dienen Menschen mit neurologischen Einschränkungen als kleine Helfer im Alltag. Nicht zuletzt erlauben computergestützte Geräte wie der Lokomat eine zukunftsweisende und individualisierte Therapie. Gleichzeitig haben neue digitale Angebote bei der Zertifizierung mit Zulassungshürden zu kämpfen, die traditionelle Medizinprodukte mehr oder weniger überwunden haben.
Mit den Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung in der neurologischen Rehabilitation beschäftigte sich am 18. Juni 2022 ein Praxiskolloquium im P.A.N. Zentrum für Post-Akute Neurorehabilitation der Fürst Donnersmarck-Stiftung. Die interdisziplinäre Veranstaltung richtete sich an Beschäftigte in den Bereichen Medizin, Therapie, Pflege und Pädagogik. Darüber hinaus nahmen einige Rehabilitandinnen und Rehabilitanden aus dem P.A.N. Zentrum an der Veranstaltung teil.
Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung
Die Vorträge auf dem Kolloquium spannten einen weiteren Bogen von einer eher grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der Digitalisierung bis hin zu sehr konkreten Anwendungsfällen. So betonte Prof. Dr. Karl Wegscheider in seinen einleitenden Bemerkungen, die Digitalisierung sei einerseits ein linearer Prozess, entwickle sich andererseits aber immer wieder in Schüben sprunghaft weiter. Gleichzeitig benannte er – als erfahrener Wissenschaftler, der selbst mit einer Körperbehinderung lebt – zwar zahlreiche Vorteile der Digitalisierung für den Alltag. Viele dringende Probleme der Gesundheitsbranche wie etwa der Fachkräftemangel können aus seiner Sicht durch die Digitalisierung aber nicht gelöst werden. Eine weitere Perspektive zeigte PD Dr. Nils Lahmann auf. In einem engagierten Vortrag wurden unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten digitaler Hilfsmittel in der Pflege vorgestellt. Diese könnten dabei helfen, Allokationsprobleme in der Pflege zu reduzieren und dadurch einen Beitrag im Kampf gegen den Fachkräftemangel leisten.
Mit dem Weg digitaler Medizinprodukte in den Gesundheitsmarkt beschäftigten sich zwei weitere Vorträge. Karsten Knöppler stellte in seinem Vortrag das DiGA Verzeichnis vor. Dabei handelt es sich um eine Auflistung an digitalen Medizinprodukten, die von Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen auf Rezept verschrieben werden dürfen. Die großen Herausforderungen für Entwickler:innen digitaler Angebote beschrieb Jonka Netzebandt am Beispiel ihrer Logopädie-App „Lingo Talk“. Anschaulich zeigte sie, wie viele Schritte und welch langer Atem nötig war, bis schließlich ein marktreifes Produkt den Weg in die Appstores findet.
Digitalisierung und Selbsthilfe
Den Abschluss des Vortragspanels bildete ein eindringlicher Vortrag von Gerlinde Bendzuck von der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin, die besonders darauf hinwies, dass Menschen mit Behinderung möglichst frühzeitig in den Entwicklungsprozess digitaler Angebote einbezogen werden müssen. Darüber hinaus skizzierte sie aus Betroffenensicht bestehende Lücken in der digitalen Versorgung von Menschen mit Behinderung Diese beginnen oftmals schon bei ganz grundlegenden Themen wie einer barrierefreien Terminvereinbarungssoftware.
Praxisangebot zum Schluss
Im Anschluss an den Vortragsteil hatten die Veranstaltungsteilnehmer:innen die Möglichkeit, an konkreten Beispielen unterschiedliche computergestützte Therapien kennenzulernen. Dafür wurden Workshops zu der therapieunterstützenden Trainingssoftware „Mind Motion Go“, zur VR-basierten Parkinson Therapie sowie zum VITALab angeboten. Das VITALab ist ein umgebauter LKW der Berliner Hochschule für Technik und erforscht den Einsatz von Technologien der Augmented (AR) und Virtual Reality (VR) in medizinischen Anwendungen..
So endete ein – trotz sommerlicher Temperaturen – für alle Beteiligten erfolgreicher Tag, der in Zukunft fortgesetzt werden soll. Die Vorträge vom 18. Juni sind live auf Youtube übertragen worden und dort für Interessierte weiterhin verfügbar.