Deutschland und die Demokratie: eine zerrüttete Beziehung?

Wie hat sich die Zufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland von 1977 bis 2016 entwickelt? Mit dieser Frage hat sich der Wissenschaftler Markus Tausendpfund befasst. Dabei fand er Unterschiede zwischen zwei Formen der Demokratie-Zufriedenheit. Während die Menschen hierzulande die Demokratie überwiegend als die beste Staatsform anerkennen, sind sie viel weniger zufrieden mit den Leistungen der Politikerinnen und Politiker. Von einer zerrütteten Beziehung zwischen den Deutschen und der Demokratie könne aber keine Rede sein", schätzt der Leiter der Arbeitsstelle Quantitative Methoden an der FernUniversität in Hagen ein. 

Bei der „spezifischen Unterstützung"  geht es um die Leistungen, die die Demokratie erzeugt, also um die Zufriedenheit mit der Regierung und ihrer Arbeit. Die „diffuse Unterstützung" gilt der Demokratie als Staatsform. In den Medien und in der öffentlichen Diskussion wird jedoch häufig die Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit der Regierung als Unzufriedenheit mit der Staatsform gleichgesetzt.

Steigende Zufriedenheit - mit Unterschieden

Seit 2006 beschreibt Tausendpfund in punkto Demokratiezufriedenheit sogar einen langsamen Aufwärtstrend, der nur durch die Finanz- und Eurokrise 2008/2009 kurzfristig unterbrochen wurde. Erkennbare Unterschiede fand der Wissenschaftler bei der Zufriedenheit mit der Demokratie zwischen Ost- und Westdeutschland: Sie ist in den neuen Bundesländern niedriger als im Westen. In den 1990er Jahren lag sie im Osten bei 30 Prozent, im Westen bei 60 Prozent (die Daten des ZDF-Politbarometers, mit denen Tausendpfund arbeitete, lassen die Differenzierung nach „Demokratie" und „Regierungsarbeit" nicht zu).  Ende 2016 lag in den alten Bundesländernie Zufriedenheit mit der Demokratie bei 70 Prozent, in den neuen bei 55. „Die wirtschaftliche Entwicklung hat einen besonderen Einfluss auf die Zufriedenheit mit der Regierung", erläutert Tausendpfund. Einen Effekt  auf die Unterschiede schreibt er der Sozialisation zu: „Die älteren Ostdeutschen wurden in der DDR sozialisiert, auch dadurch ist dort die Demokratiezufriedenheit geringer", so Tausendpfund. „Jüngere Ostdeutsche stehen der Demokratie jedoch positiver gegenüber als ältere."

Menschen mit höherer Bildung, höherem Einkommen und höherem sozialem Status sind laut Studie überall mit der Demokratie zufriedener: „Sie profitieren von der Demokratie stärker, die bessere Bildung erlaubt ihnen ein größeres Verständnis für die Komplexität der Politik. Dadurch sind sie weniger verunsichert. Bildung ist zudem ein wichtiger Faktor für die Entwicklung demokratischer Normen und Werte wie etwa Toleranz, so Tausendpfund. 

Vorurteile als Konsequenz des Nichtwissens 

Einen Vertrauensverlust im Zusammenhang mit der Migrationskrise macht Tausendpfuhl dafür verantwortlich, dass die Zufriedenheit in der Arbeit der Bundesregierung nachhaltig beschädigt wurde. Dass dies ganz besonders im Osten Deutschlands zu spüren war, hängt laut Tausenpfund damit zusammen, dass esl Migration dort praktisch gar nicht gab.  Laut Gordon W. Allport entstehen Vorurteile gegen Migrantinnen und Migranten als „Konsequenz des Nichtwissens". Durch persönliche Erfahrungen können Vorurteile verringert werden. „Die Ostdeutschen hatten aber gar keine großen Möglichkeiten, solche Erfahrungen zu machen, weil es dort viel weniger Migrantinnen und Migranten gab. Dadurch entstanden Ängste, gepaart mit der problematischen wirtschaftlichen Situation", so der Wissenschaftler. 

Ähnliche Entwicklungen in anderen Staaten

Ähnlich sieht er die Entwicklung in anderen Ländern Europas. Überall führten Euro-Krise und Finanzkrise – Stichwort „Lehman Brothers" – zu einem kurzfristig markanten Rückgang der Demokratie-Zufriedenheit. In den Staaten, die die Krise schnell beherrschten wie Skandinavien, sei es aber auch zu einer raschen „Erholung" der Zufriedenheit gekommen. Anders als in Staaten mit langanhaltenden wirtschaftlichen Problemen wie Griechenland.

Die Migrationskrise sei politisch problematischer als die Wirtschaftskrise gewesen, so Tausendpfund. Sie traf vor allem Länder traf, die zuvor von der Wirtschaftskrise besonders betroffen waren wie Griechenland und Italien. In Griechenland, Zypern und Spanien nahm die Zufriedenheit mit der Arbeit der Regierung und der Demokratie als Staatsform deutlich ab. Je mehr sich die Wirtschaft erholte, desto größer war der Anstieg der Zufriedenheit.

Erklären, Diskutieren und Vertrauen zurückgewinnen

Die Migrationskrise hatte auch Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung, die bei der jüngsten Bundestagswahl im September 2017 gestiegen ist, von der wahrscheinlich  die AfD am meisten profitiert habe. Wie können die etablierten Parteien die Zufriedenheit mit ihrer Arbeit erhöhen? „Mehr erklären und mehr diskutieren. Es ist traurig genug, dass es die AfD dafür gebraucht hat, dass wieder mehr Debattenkultur im Bundestag herrscht, dass die Bundesregierung wieder mehr erklären muss, dass es mehr Konfrontation gibt, dass verschiedene Standpunkte offengelegt werden. Eine bestimmte Politik als ‚alternativlos' zu begründen ist meines Erachtens eine Bankrotterklärung", kritisiert Tausendpfund. 

In Gefahr sieht er deswegen die Demokratie (noch) nicht, auch, wenn er Gefahren in den aktuellen Entwicklungen und Unwägbarkeiten erkennt. Tausendpfund setzt auf ddie „kritische Demokratin" und den „kritischen Demokraten", einen Begriff in der in der politikwissenschaftlichen Literatur. Diese idealtypische Person unterstütze die Demokratie als Staatsform, sie begegnet der aktuellen Ausgestaltung der Demokratie jedoch mit einer kritischen Haltung. Sie treibt immer wieder an und weist auf Defizite hin. Tausendpfund: „Das finde ich wichtig. Demokratie ist nie abgeschlossen, sondern ein ständiger Prozess, der immer wieder neu gelebt werden muss. Da sehe ich Deutschland auf keinem schlechten Weg."

„Zufriedenheit mit der Demokratie. Ein Blick auf die Einstellungen der wahlberechtigten Bevölkerung von 1977 bis 2016." Informationsdienst Soziale Indikatoren (ISI) 60: 29-35

Mehr Informationen unter https://doi.org/10.15464/isi.60.2018.29-35


Quelle: Presseinformation der Fernuniversität Hagen vom 25. Juli 2018