Mann mit roter Jacke steht mit Rücken in der Tür. Ein anderer telefoniert. Ein Stempel
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"Die rote Linie ist überschritten!"

Sozial.de im Gespräch mit dem Vorsitzenden des Deutschen Berufsverbandes für Soziale Arbeit, Michael Leinenbach

Es fehlt jegliche berufsethische Grundlage, um Soziale Arbeit an Abschiebungen zu beteiligen. Diese Haltung leitet der Vorsitzende des Deutschen Berufsverbandes für Soziale Arbeit (DBSH), Michael Leinenbach, aus der eigenen Berufsethik ab, die vor zwei Jahren verabschiedet wurde. Das formulierte er in einem Positionspapier. Sozial.de im Gespräch über Hintergründe und Konsequenzen.

Herr Leinenbach, Diskussionen um schnellere Abschiebepraxis und eine andere Flüchtlingspolitik werden seit längerem geführt. Gab es Michael Leinenbach, DBSH-Vorsitzender im Portraitjetzt einen konkreten Anlass für Ihr Positionspapier?

Michael Leinenbach: Flüchtlingsarbeit im Rahmen der Sozialen Arbeit hat Grenzen. Konkret gab es Anfragen von Flüchtlingsräten dazu. Es zeigt sich: Bei der Einbindung Sozialer Arbeit in die Abschiebungen ist nun eine rote Linie übertreten worden. Deshalb haben wir aus unserer Berufsethik heraus Positionen entwickelt. Schnittpunkte ergeben sich auch aus der neuen Definition zur Sozialen Arbeit und zum Qualifizierungsrahmen. Das Positionspapier greift damit exemplarisch das Handlungsfeld der Flüchtlingshilfe auf, so wie wir auch für andere Felder Sozialer Arbeit anhand dieser Ethik ableiten könnten, ob rote Linien betreten werden. Wir hoffen damit eine berufsethische Diskussion anzuregen. Wer, wenn nicht wir, soll sich zum Thema Abschiebung positionieren?

Welche Diskussion ist aus Ihrer Sicht notwendig zu führen?

Leinenbach: Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wo wir noch im Rahmen unserer Berufsethik handeln und wo, ich sag es mal, als Anweisungsempfänger im Rahmen von Verwaltungen. Natürlich kann der Staat von seinen Beamtinnen und Beamten verlangen, eine Dienstanweisung zu erfüllen. Aber, wenn der verbeamtete Sozialarbeiter den Auftrag erhält, bei der Abschiebung mitzuwirken, hat das keinen professionellen Hintergrund mehr. Die Grundfrage ist: Wie stark ist der einzelne, oder wo greift die Anordnungspflicht, beispielsweise im Rahmen der Verbeamtung und was passiert, wenn ich mich davon löse?

Gibt es nicht auch solche Haltungen, dass Menschen gerade in für sie schwierigsten Prozessen, Beistand und Unterstützung benötigen?

Leinenbach: Das ist eine typische und verständliche Kümmererreaktion. Aber die Frage ist doch, welche Rolle hat denn Soziale Arbeit, wenn die Abschiebung eines jungen Mannes droht, der zu Hause miterleben musste, wie seine Familie erschossen wurde, der tausende Kilometer zu Fuß hinter sich gebracht hat und jetzt in genau dieses Land abgeschoben werden soll, weil es zum sicheren Herkunftsland erklärt wurde. Wenn er hierbleiben könnte, könnte er vielleicht sogar Abitur machen und sich ein eigenes Leben in Sicherheit aufbauen. Wir können doch nicht mitmachen, ihn in einen sicheren Tod zu schicken? Ich kenne aus der eigenen ehrenamtlichen Arbeit viele junge geflüchete Menschen, denen Perspektivlosigkeit es fast unmöglich macht, zu denken und zu handeln. Sie leben in ständiger Angst und Panik. Was mutet man den Menschen eigentlich zu, die hier auch noch im Schnellverfahren Deutsch lernen sollen. Muss ich vor dem eigenen berufsethischen Hintergrund nicht dafür eintreten, dass er nicht abgeschoben wird? Ich denke, ja. Soziale Arbeit muss doch versuchen,Unterstützung zu geben, um die von Abschiebung bedrohten Menschen zu retten.

Das Positionspapier und ethische Kriterien können sicher den Rahmen dafür schaffen, Orientierung und Sicherheit für die eigene berufliche Haltung zu bekommen. Was tut der Berufsverband, wenn solche Haltungen im Arbeitsalltag arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könnten?

Leinenbach: Wir haben eine arbeitsrechtliche Vertretung im Berufsverband. Wenn Kolleginnen und Kollegen sich an uns wenden, würden wir sie dabei unterstützen, sie gegebenenfalls auch gerichtlich vertreten. Es gibt zu den Fragen, die uns beschäftigen, noch keine gerichtlichen Entscheidungen. Da wir keine Kammer des Berufstandes wie beispielsweise die Ärzte haben, ist für eine Klärung der Haltung oder auch der Frage des Umgangs mit ethischen Konflikten im Arbeitsfeld die Position von Gerichten für die Sicherung im Rahmen des Arbeitsrechtes sehr wichtig. Aber es stellt sich auch die Diskussion einer eigenen Kammer wieder aktuell. Hätten wir eine Berufskammer, könnten wir solche konfliktträchtige Fragen selbst regeln.

Ergeben sich auch politische Forderungen?

Leinenbach: Na klar. Wenn wir uns als Berufsverband nicht politisch verhalten würden, könnten wir uns auflösen. Besonders, wenn es um Menschenrechte geht. Aber die berufsethische Ebene und politische Ebene sind verschiedene Handlungsräume. An den DBSH wurde nach Erscheinen des Papieres die Aufforderung gerichtet, uns für das bedingungslose Bleiberecht einzusetzen. Stellt man politische Forderungen, dann muss man aber auch die gesellschaftlichen Folgen diskutieren. Im politischen Diskurs kann man höchst unterschiedlicher Meinung sein und miteinander ausfechten. Wir bewerten das aktuelle Geschehen der Abschiebung mit unserem Positionspapier vor dem ethischen Hintergrund und finden eine Diskussion der Fachwelt dazu überfällig.

Vielen Dank für das Gespräch. Die Fragen stellte Ines Nowack.

Das DBSH-Positionspapier finden Sie unter http://www.dbsh.de/sozialpolitik/sozialpolitische-news/sozialpolitische-news-2017/detailseite/kann-soziale-arbeit-im-rahmen-von-abschiebungen-stattfinden.html

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Kommentare (1)

Stephan aus Kölle 03. Mai 2017, 16:34

Kurzes, aber gutes Interview! Die Berufsethik stärkt die Position vieler Sozialarbeiter*innen und gibt ihnen Argumentations- und Reflektionsstränge für ihre Arbeit. Danke dafür!

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