Kevin Davison / Unsplash

Das Jahr geht zu Ende - was nehme ich mit?

2020 war anstrengend. Herausfordernd. Und die Suche nach den guten Geschichten ist schwieriger als sonst. Ich fische nach Begegnungen, an die ich mich gern erinnern möchte und werde nicht fündig.

Das war früher anders. Ich mag Aktionen, die von Fachkräften und Familien gemeinsam geplant und durchgeführt werden und genau das gab es kaum. Die wenigen Spielenachmittage waren begleitet von Angst und Unsicherheit, weil die Hygienekonzepte nicht eingehalten werden konnten, einen Lesenachmittag im November hat es nicht gegeben und der traditionelle Winterbasar ist auch abgesagt worden. Wir sind angewiesen, die Kontakte zu begrenzen, Hausbesuche sind kurz zu halten und Beratungen sollen wir mit einem Spaziergang verbinden.

Viele Elterngespräche führe ich inzwischen am Telefon und Frau K sagt, das sei ihr sogar lieber. Sie lebt mit ihrer Dreijährigen auf 42 qm und hat einen hohen Anspruch, was den Zustand der Wohnung betrifft. Wenn ein Gast kommt, soll das Wohnzimmer, das mehrmals täglich auch Esszimmer ist und jeden Abend zum Schlafzimmer wird, stets top sein. Gestern haben wir über eine Stunde telefoniert und ich habe viel über ihre Herkunftsfamilie erfahren. Morgen werden wir über ihre Weihnachtsplanung sprechen. Sie hat ihren Vater eingeladen und möchte ihn am liebsten wieder ausladen. Er sei alkoholkrank, phasenweise trocken aber zu Weihnachten regelmäßig im Rückfall und dann wird es ungemütlich.

Auch mit Frau T kann ich gut telefonieren. Ich frage nach den Highlights des Jahres und sie sprudelt nur so heraus. Jedes „Häkchen“, das sie setzen konnte, wird ausführlich beschrieben. Ihre Hilfeplanziele hat sie erreicht, die Behördensachen im Griff und die Schuldenregulierung ist abgeschlossen. Die anderen Vorhaben, betreffend die Kinder,  können wir nicht umsetzen. Geplant war, mit den beiden Töchtern, 10 und 12 Jahre, geeignete Freizeitstätten in der Nähe und den Mädchenclub zu erkunden, für die Zeit nach der Familienhilfe. Doch der Zugang wurde, wegen der Corona-Auflagen, immer hochschwelliger und seit dem 1. November sind die Türen geschlossen.   

Die Hilfe für Familie S wird verlängert. Da haben wir die mündliche Zusage des Sozialarbeiters im Jugendamt. Eine Hilfekonferenz wird nicht stattfinden. Im Amt gibt es nur einen Raum, der groß genug wäre und da haben die Krisenberatungen Vorrang. Frau S geht es gut und mir auch, denn ich arbeite im Co-Team mit einem Kollegen. Die Eltern möchten, nach einer vorübergehenden Trennung, die Weihnachtsfeiertage wieder gemeinsam und mit den Kindern verbringen. Einen Krisen- und Notfallplan werden wir noch besprechen.

Um Familie F mache ich mir Sorgen. Die 12-jährige Melli möchte nicht mehr zuhause wohnen. Streit gibt es täglich, Frau F ist überfordert und letzte Woche ist ihr die Hand ausgerutscht. Frau F leidet seit Jahren unter depressiven Schüben und hat Schuldgefühle weil sie ihrer Tochter den Rahmen nicht geben kann, den das Mädchen braucht. Frau F war bei einer Psychiaterin, die sie medikamentös einstellen wollte, aber Frau F möchte keine Medikamente, sie hatte auf Unterstützung vom sozialpsychiatrischen Dienst gehofft aber bisher niemanden erreicht. Melli möchte in eine Wohngruppe aber der Antrag auf stationäre Hilfe wurde vom Jugendamt abgelehnt.

Ich werde den ganzen Dezember durch arbeiten, auch in der Weihnachtswoche und vor Silvester - sofern ich nicht krank werde oder in Quarantäne geschickt. Die erste Kollegin scheint es erwischt zu haben, das Testergebnis steht noch aus. - Und was, wenn das ganze Team infiziert ist?

Ich wünschte, es gäbe ein klares Coronakonzept für die sozialpädagogische Familienhilfe. Den Schulen werden Versäumnisse vorgeworfen und ich finde, die Jugendhilfe hätte sich auch besser auf die „zweite Welle“ vorbereiten können, Telefonberatungen und Onlinemodule könnten integriert werden, unter Berücksichtigung von Datenschutzregeln, versteht sich, und Hausbesuche müssten nur dann gemacht werden, wenn es wirklich Sinn macht. So könnte das Infektionsrisiko für uns und die Familien reduziert werden.

Ich wünsche mir klare, erfüllbare und ausdifferenzierte Hilfepläne und dass uns für die Hausbesuche endlich Masken bereit gestellt werden, die uns vor Ansteckung schützen.

Ihre Katja Änderlich