ConSozial Wissenschafts-Preise für inklusive Perspektiven

Zwei junge Forscherinnen sowie eine herausragende Persönlichkeit, die Lebensweltorientierung in der Sozialen Arbeit zum Begriff und zur Perspektive machte, erhielten den Wissenschaftspreis der ConSozial 2016. Die Branche der Sozialwirtschaft zeichnet mit dem Preis alle zwei Jahre Konzepte zur nachhaltigen Entwicklung Sozialer Arbeit in der Wissenschaft aus - gestiftet von der Dr. Loew Soziale Dienstleistungen. Verliehen wurde der Preis zur Eröffnung der diesjährigen Leitmesse der Sozialwirtschaft durch die Bayerische Staatsministerin für Arbeit, Soziales, Familie und Integration Emilia Müller.

Für sein Lebenswerk geehrt wurde Prof. Dr. Dr. Hans Thiersch, der Ende der 1970-er Jahre den Begriff der Lebensweltorientierung in der Sozialen Arbeit geprägt hatte und Grundlegendes für eine wissenschaftlich fundierte Sozialpädagogik geleistet hat.

Besonders in den 1990-er Jahren wurde das Konzept der Lebensweltorientierung strukturbildend für die Theorien Sozialer Arbeit und deren praktische Umsetzung. Begriffe wie Alltagsnähe, Regionalisierung, Prävention, Integration und Partizipation fanden über seine Forschung Eingang in  sozialberufliches  Handeln, heißt es in der Begründung. Von 1990 bis zu seiner Emeritierung 2002 lehrte und forschte Thiersch als Professor für Erziehungswissenschaft und Sozialpädagogik an der Universität Tübingen.

ConSozial Wissenschafts-Preis in der Kategorie „Wissenschaft":

Behinderung/Nichtbehinderung in Diskurs und Praxis von Diversitätsprozessen

Diversität ist in aller Munde? Im Zusammenhang mit Behinderung oder Nicht-Behinderung  kann man diese Frage nicht so selbstverständlich mit „Ja“ beantworten.  In der Diversitätsforschung/in Diversity Studien nimmt diese Perspektive bisher eher eine Randstellung ein. Dr. Laura Dobusch vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik an der TU München  hat sich dieser Forschungslücke mit ihrer Promotion angenommen und den diesjährigen Wissenschaftspreis der ConSozial in der Kategorie „Wissenschaft“ gewonnen.  Für die Jury des Wissenschaftspreises leistet ihre Arbeit einen wichtigen und hochaktuellen  Beitrag zur Analyse und  Selbstreflexion dieses neuen betrieblichen Aktionsfeldes.

Ihre brisante Arbeit untersucht in vergleichender Perspektive, wie Nicht/-Behinderung  und Geschlecht  im Rahmen von Diversity Management adressiert, verhandelt und dabei ko-konstituiert  werden. Sie hat dafür qualitative Interviews  in einem Bildungsunternehmen, einer Bank, in zwei Stadtverwaltungen und in einer Universität in Deutschland und Österreich geführt. Dobusch spricht selbst von Best Practice Unternehmen mit einer hohen Sensibilität gegenüber dem Diversitätsgedanken.

Ihre Datenanalyse legt einen qualitativen Unterschied in der Behandlung  von behinderungs- und geschlechtsbezogenen Diversity-Zielgruppen offen. Während Geschlechtszugehörigkeit als Merkmal aller Menschen normalisiert wird, beschrieben wesentliche Akteurinnen und Akteure im Aktionsfeld Diversität eine Behinderung  nach wie vor als persönliche Unzulänglichkeit. Abseits von der Schaffung barriererfreier Infrastruktur werde sie von potenziell meist als zu kompensierender Ausnahmefall behandelt, so Dobusch.

So entstehe eine asymmetrische Legitimation der Teilhabeansprüche.  Das spiegle sich auch in der Diskurspraxis der untersuchten Unternehmen wider. Vor dem Hintergrund der Gleichstellungsnorm ist nach Ergebnissen der Analyse ausgewogene Inklusion von Frauen und Männern zentraler Bezugspunkt organisationaler Praktiken. Die Bürde der Teilhabe wird nicht alleine auf die Schultern  von Bewerberinnen und Bewerber verteilt. Auch dem  Unternehmen komme eine proaktive Rolle bei der Gestaltung durchlässiger Inklusionsbedingungen zu.

Inklusion von Menschen mit Behinderung  jedoch werde nicht vor dem  Hintergrund der Gleichstellungsnorm verhandelt.  Vielmehr gehe es schlicht darum,  die Organisationsmitglieder mit Behinderung in die vorhandenen Strukturen  „einzupassen“ und ein reibungsloses Arbeiten  zu ermöglichen. Das geschehe  durch individuell adaptierte Arbeitsplätze oder die Schaffung  barrierefreier Infrastruktur.

Dobuschs Fazit ist, dass die diversitybezogene Diskurspraxis in den untersuchten  Organisationen an bereits vorhandene, defizitorientierte Vorstellungen von Behinderung anschließt.
Der Diskurs eröffne dennoch zusätzlich zu den medizinisch-therapeutischer und pädagogisch-fördernder  Paradigmen ein weiteres Deutungs- und Bearbeitungsrepertoire, so die Wissenschaftlerin.  Behinderung erfahre in einem Diskurs von Vielfalt und Heterogenität als Potenzial die Berücksichtigung  aus bürgerrechtlicher Perspektive.

Diversity Limited – Inklusion, Exklusion und Strategien der Grenzziehung mittels Praktiken des Diversity Managements, erschienen bei Springer VS, 2015

ConSozial Wissenschafts-Preis in der Kategorie „Nachwuchs":

Weinklusion – eine verbindende Strategie: sozial und unternehmerisch

Mit einer inklusiven Unternehmenskonzeption am Beispiel des Weinanbaugebietes an der Ahr gewann Monika Walbröl den diesjährigen Wissenschaftspreis der ConSozial in der Kategorie „Nachwuchs“.

In ihrer Masterarbeit an der Katholischen Hochschule in Münster ging sie der Vision eines Unternehmens im Weinanbau/Ahr nach, in der Menschen mit geistiger Behinderung auf Augenhöhe mit Menschen ohne Behinderung beschäftigt werden. Zur Klärung der Machbarkeit einer solchen Unternehmung analysierte sie jeden einzelnen Arbeitsschritt.  Aufbauen konnte sie auf Branchenkenntnissen und Kenntnissen regionaler Besonderheiten, weil sie selbst aus einer Weinanbaufamilie der Gegend stammt.

Die Jury würdigte vor allem die breite Fundierung ihrer Arbeit. Walbröl  erarbeitete die anthropoliogisch-ethischen, sozialpolitischen und rechtlichen Grundlagen. Es entstand eine ambitionierte Gründungskonzeption, die auf einer gründlichen Sozialraum- und Branchenfeldanalyse basiert.  Ihre Analyse bewertet dessen volkswirtschaftliche,  wissenschaftliche, sozialpolitische und gesellschaftliche Relevanz.

Insbesondere war es  der jungen Sozialpädagogin  Anliegen, soziale und marktwirtschaftliche Aspekte in ihrem inklusiven Konzept zu verbinden, jenseits von häufig kritisierter Nothilfe-Sozialpädagogik. Sie thematisierte damit beispielhaft neue Steuerungselemente,  neue Kooperationsformen und  unternehmerische  Neuorientierung  im Sozialen Sektor.

Mit ihren zehn Handlungsempfehlungen für Unternehmensgründerinnen und- gründer im Sozialen Sektor schuf sie die Möglichkeit, ihre Ansätze auf weitere marginalisierte und diskriminierte Gruppen sowie Branchen zu übertragen.

Berichterstatterin: Ines Nowack, Redaktion Sozial, Kontakt