Sitzung des Simmel-Seminars am 22.12.2010 Kurzurlaub im Holiday-Inn Resort Sanya Bay

China-Tagebuch Teil 8 - Erlebnisse als Gastprofessor am Sanya College auf der Insel Hainan

von Prof. Dr. Horst Helle
23.12.2010 | Soziale Arbeit | Schwerpunkte Kommentare (0)

Mittlerweile befindet sich der Soziologe Prof. Dr. Horst Helle seit über 16 Wochen in China. Er berichtet an dieser Stelle exklusiv für Sozial.de von seinen Erfahrungen in der Lehre, aber auch aus seinem Alltag.

Hintergrund

Der Soziologe Horst Jürgen Helle wurde von der Stiftungsinitive Johann Gottfried Herder im Deutschen Akademischen Austauschdienst aus dem Ruhestand zurückgeholt und als Gastprofessor an das südlichste Kollege der Volksrepublik China nach Sanya auf der Insel Hainan vermittelt. Er ist seit 2002 mit einer Deutschen chinesischer Abstammung verheiratet, so dass er immer einer Übersetzerin bei sich hat. Helle und seine Frau Lilly haben drei Töchter: Lisa (7), Rita (5) und Emmy (2).

Woche 15: Sonntag, 28. November – Samstag, 4. Dezember

1.  Adventssonntag, 28. November 2010 Gegen 8:30 Uhr treffe ich die Englischlektorin Sylvia Zhang, und wir gehen zur  Bushaltestelle am Campus-Tor. Dort warten weitere Studierende dieses College, die das gleiche Ziel haben wie wir. Nach kurzer Busfahrt steigt ein großer Teil der Fahrgäste mit uns aus, und wir gehen zu einem Wohnhaus, in dessen Erdgeschoß Läden untergebracht sind. Dazwischen ist der Eingang zum Treffenhaus recht eng, und so entsteht eine auffällige Szene, in deren Verlauf mehr als ein Dutzend Leute sich in das Treppenaus hineindrängen und in den fünften Stock hinaufspazieren. Außer von „unserem“ Sanya College kommen noch Studenten von dem nahegelegenen Qiong-Zhou College, das von der Inselprozinz Hainan betrieben wird. Alle betreten eine Drei- (oder Zwei-einhalb?) zimmerwohnung wie privat zu einer Party eingeladene Gäste. Die Wohnung hat ein großes Zimmer, in dem Reihen von Plastikhockern aufgestellt sind. Wenn man es direkt vom Treppenhaus aus betritt, führen nach rechts zwei Türen zu zwei kleineren benachbarten Zimmern, die zusammen so groß sind wie das „große“ Zimmer. In den kleinen Zimmern gibt es Schlafstellen. Nach hinten links schließen sich Kochecke und Naßzelle an. Im vorderen zur Straße gelegenen Teil ist das „große Zimmer“ etwas breiter, und dort hängen Fotos von gemeinsamen Aktivitäten der Vergangenheit an der Wand; auch steht dort ein Keyboard, auf dem der eifrige Gesang der Gemeinde klavier- oder orgelmäßig initiiert und begleitet wird. Die Stimmen der Studenten sind kräftig, die Fenster sind wegen der Temperaturen hier offen, man kann den musikalischen Teil des Gottesdienstes ohne Frage draußen weithin mithören. Sylvia stellt mich dem David vor, einem jungen Mann, der etwa dreißig Jahre alt und hier Gastgeber ist. Wenn man von mir mal völlig absieht, sind Sylvia und David hier die Senioren; denn die gesamte schon bei unserem Eintreffen begeistert singende Gemeinde besteht aus etwa 30 Studierenden, sechs männlichen Kommilitonen, doch die große Mehrheit sind junge Damen. Sylvia fügt sich da unauffällig ein, David und ich sitzen ganz hinten in der Nähe von Naßzelle und Kochecke und hören dem Gesang und dem Keyboard zu, während wir uns flüsternd unterhalten (denn David kann ganz gut Englisch). Ich bedanke mich für die freundliche Aufnahme, und er bittet mich, etwas zu erzählen. Mein Vorschlag geht dahin, dass ich gern Fragen beantworten will. Die Atmosphäre ist herzlich und aufgeschlossen, was in einem erfreulichen Gegensatz zu den sachlichen Inhalten der Unterhaltung steht. Eine Studentin berichtet, in ihrem Heimatdort gibt es eine Gruppe, die nicht Jesus, sondern Maria anbeten. Sie fragt, ob die auch Christen sind. Der Informationsstand ist so, dass einem die Haar zu Berge stehen könnten. Motiviert teils aus Frust teils aus Sendungsbewußtsein halte ich einen Kurzvortrag über die Entstehung der Dreiteilung der Christenheit in Römer, Orthodoxe und Protestanten, die sich irgendwie alle drei als „katholisch“ (im Sinne des Wortursprungs) erleben. Und zu der Frage über die Marienverehrung sage ich, dass diese Chinesen wahrscheinlich zu einer orthdoxen oder katholischen Gemeinde gehören, und dass sie allerdings, sollten sie wirklich Maria nicht zusätzlich, sondern an Stelle von Jesus verehren, keine Christen wären. Ich erwähne noch, dass der Papst und ich als Universitätslehrer im deutschen Bayern lange Jahre Kollegen waren, dass ich ihn als einen außergewöhnlich freundlichen und gelehrten Mann kenne und dass er sich entschieden dafür einsetzt, in Jesus nicht einfach einen guten Mann, sondern Gott selbst zu sehen. Das erregt am Ende meines Auftritts Verwunderung und lebhafte Gespräche. Ich schließe damit, dass nach meiner Überzeugung die Zeit vorbei sei, in der Christen verschiedener Richtung unfreundlich über einander reden, und dass man nun endlich den Christen daran erkennt, dass er liebevoll mit anderen umgeht, nicht nur, aber zumal, wenn sie auch Christen sind. Ich gewinne den Eindruck, dass die jungen Leute damit sofort beginnen wollen. Als erstes laden sie mich zum Mittagessen ein, das während des „Gottesdienstes“ in der Kochecke vorbereitet wurde mit viel Reis, und auch mit Gemüse und Fisch. Es wird von vielen wegen der Enge des Raumes stehend eingenommen. Dann hilft mir Sylvia wieder den richtigen Bus zu finden, und wir fahren zurück ins Sanya College. Montag, 29. November 2010 In der Frühvorlesung komme ich mit dem Vortrag über Shibutani rasch ans Ende und beginne mit Goffman. Als ich um 9:40 Uhr schließe, kündige ich noch an, dass ich bei der nächsten Zusammenkunft von meinem Doktorvater Schelsky reden werde. Heute erfahre ich, dass in der Provinz Hebei nahe Peking eine römisch-katholische Bischofsweihe stattgefunden hat, und zwar ohne die Billigung das Vatikans. Informationen im Internet darüber erhalte ich vor allem aus den U.S.A. Der umstrittene Vorgang ereignete sich schon am 20. November, doch der Vatikan brauchte bis zum 24. November, ehe dort alle Fakten vorlagen und eine Stellungnahme an die Presse herausgegeben wurde, und die chinesischen Medien scheinen darüber nicht zu berichten. Das Staatsfernsehen sendet aber die Information, dass es in Korea ein „exchange of fire“ gegeben hat, was grotesk ist, da ganz offensichtlich Nordkerea auf südkoreanisches Gebiet gefeuert hat, ohne das es – mindestes bisher – eine Reaktion von dort gegeben hat. Der Sprecher liest dann die Worte „exchange of fire“ auch so betont von seiner Vorlage ab, dass es einem auffallen muss. Hier stellt sich die Frage, ob China daran nicht mitverantwortlich ist, wegen der Vorgänge, über die ich in dem Tagebuch vom 25. Oktober berichtet habe, und die als Ermutigung gegenüber Nordkorea versanden werden konnten. Zusätzlich berichten die Fernsehnachrichten noch über Spannungen an der Grenze Chinas mit Indien und zeigen Bilder von Militäreinheiten, die diesseite und jenseits der Grenze in Stellung gehen. Dienstag, 30. November 2010 – Freitag, 3. Dezember 2010 An diesen Tagen gibt es keine berichtenswerten Ereignisse, abgesehen von einer Einladung von Tracy und Jeremy für das ganze kommende Wochenende in das Hotel Holiday Inn Resort in der Nähe des Flughafens am Sanya Bay, dessen stellvertretende Direktorin Tracy ist. Die Einladung bezieht sich auf uns alle sieben, schließt also Lillys Eltern ein und sieht eine Übernachtung in dem Hotel vor. Samstag, 4. Dezember 2010 Zunächst mit dem Bus (die erste Teilstrecke) und dann mit einem Taxi erreichen wir das Hotel der gehobenen Preisklasse am Strand: Holiday-Inn Resort Sanya Bay. Wir mußten unsere deutschen Pässe mitbringen, um offiziell als Hotelgäste registriert zu werden. Für Lillys Eltern genügen die chinesischen Personalausweise. Jeremys Frau hat uns im fünften Stock zwei einander gegenüberliegende Suiten reserviert, jede bestehend aus zwei großen Zimmer mit geräumigem Bad, zusätzlichem WC und großem Balkon. Von dort aus hat man einen herrlichen Blick über das Meer in die Ferne, und auf die Parkanlage mit Schwimmbecken im Anschluß an das Erdgeschoß des Hotels. Jeremy, seine Frau Tracy und deren Sohn Hunter wohnen für die kommende Nacht auch hier, und so steht uns ein gemeinsames Wochende mit hohem Lebensstandard bevor. Die Kinder und wir alle sind begeistert von diesem Kurzurlaub.

Woche 16: Sonntag, 5. Dezember – Samstag, 11. Dezember

2. Adventssonntag, 5. Dezember 2010 Während sich die Daheimgebliebenen in Deutschland und Europe mit Kälte, Schnee und Glätte herumärgern müssen, liegen wir am Strand und baden sogar im Meer. Wir tun das mit guten Gewissen, denn wir haben hier ja alle recht intensiv gearbeitet, besonders die Lisa in ihrer chinesischen Grundschule. Ich habe auch Gelegenheit zu langen Gesprächen mit Jeremy. Eigentlich wollten wir nach dem Frühstück die Heimreise antreten, doch Tracy drängt uns noch zu bleiben, sie lässt uns einen Lunch aufs Zimmer schicken und beschafft am späten Nachmittag einen hoteleigenen Wagen, der uns alle zunächst in der Nachbarschaft zu Abendessen und endlich sogar bis ins Sanya College fährt. Als kleines Geschenk haben wir Tracy und Jeremy einen Adventskranz überreicht, den Lilly mit viel Mühe in der Innenstadt entdeckt hatte. Es war ein ganz außergewöhnlicher aber höchst erfreulicher zweiter Advent. Montag, 6. Dezember, Nikolaus Auf der Rückfahrt vom Holidy Inn Resort war Emmy auf Lillys Schoß eingeschlafen und dann in die Wohnung getragen worden, ohne dass sie wach wurde. Heute früh wacht sie auf und macht uns schwere Vorwürfe darüber, dass wir nicht in dem neuen Hotel-Zuhause geblieben sind, dass Emmy weit besser gefiel, als die bescheidene Unterkunft hier auf dem Campus. Die Präsentation von Stoff in der Einführungsvorlesung schließt mit Dahrendorfs Aufforderung, von jeder Form des Marxismus in der Wissenschaft Abschied zu nehmen. Das ist hier ein Stück weit schwer verdauliche Kost. Viele altgediente „Lehrer“ im Hochschulbetrieb verdienen ihr Geld seit Jahrzehnten damit, den für alle Studierenden verpflichtenden Kurs über Marxismus zu unterrichten. Das gilt auch für die uns gut bekannte Perteisekretärin, die wir als Leiterin der ersten Fakultätssitzung kennengelernt haben. Sollte die Forderung Dahrendorfs in China Gehör finden – und das zu erwarten wäre angesichts der Macht der Partei ganz abwegig – dann würden alle diese Leute von heute auf morgen arbeitslos. Dienstag, 7. Dezember 2010 In der Nachmittagsversion der Einführungsvorlesung hilft Lilly als Übersetzerin Fragen von Studenten zu beantworten. Thema dieser Zusammenkunft ist die Information über die Verfahrensweisen bei der Schlußprüfung am Semesterende. Auch der Tutor und Betreuer dieser Erstsemestergruppe, Herr Chen, den wir als Konfuzius-Experten schon kennen, ist anwesend. Etwas verspätet bringt der Nikolaus noch kleine Säckchen mit Süßigkeiten, die er für die Kinder auf dem Balkon abstellt. Der Weg nach China ist für ihn eben recht beschwerlich. Mittwoch, 8. Dezember 2010 Zum Mittagessen treffe ich mich mit Jeremy, und er borgt mir das Buch von Joseph Campbell Pathways to Bliss, dessen Lektüre mich sehr beschäftigen wird. Jeremy bewundert Campbells Werke, und auch ich muß dessen breite Kenntnis von Mythen aus den unterschiedlichsten Kulturen anerkennen, kann mich aber nicht den Deutungen anschließen, die Campbell mit großer Sicherheit vorträgt. Donnerstag, 9. Dezember 2010 Tracy hat Daisy und mich in ihr Super-Hotel eingeladen, und wir fahren gegen 16 Uhr mit Bus und Taxi dorthin. Daisy ist, wie Sylvia, hier Lektorin für Englisch. Es kommt zu einer sehr netten und erfolgreichen Begegnung zwischen den beiden Frauen, die aus Rücksicht auf mich ihre gesamte Unterhaltung auf Englisch führen. Daisy hat die schlechtbezahlte und mit 18 Wochenstunden Unterricht belastete Tätigkeit als Englischlehrerin hier am College ziemlich satt, und Tracy macht ihr Hoffnung, sie in der Hotelbranche unterzubringen, zumal ihr Englisch so gut ist. Freitag, 10. Dezember 2010 Lilly nimmt mit Lisa ein Taxi in die Innenstadt, in der auf dem Beifahrersitz schon ein weiblicher Fahrgast sitzt. Sie wird so unfreiwillig Zeugin eines Gesprächs zwischen dem Fahrer, der aus dem Festland zugewandert ist, und der Frau an seiner Seite, die von den Eingeborenen dieser Insel abstammt. Der Fahrer klagt über die Männer der alten Inselkultur: Sie sind arbeitsscheu, sitzen herum und trinken Tee, lassen ihre Frauen die schwere Arbeit tun und schlagen sie sogar noch, falls es ihnen in den Sinn kommt. Sicher werde doch seine Beifahrerin nicht einen solchen Mann ihrer eigenen Volksgruppe heiraten! Die Frau widerspricht nicht, ja, so seien die Männer hier, aber sie sind leicht zu verstehen, man weiß genau, was sie wollen, und sie sind auch lustiger, also werde sie gewiß einen der eigenen Männer heiraten und eben nicht einen Festlandchinesen. Samstag, 11. Dezember 2010 Für morgen, den 3. Advent, verabrede ich mit Sylvia einen zweiten Besuch in der evangelischen Hauskirche, bei der ich vor zwei Wochen zu Gast war. Wir treffen uns morgen am Campus-Tor um 8:30 Uhr.

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