Die Beteiligung der Sorgeberechtigten bei der Gefährdungseinschätzung …
Die neue Hilfe, die ich im Co-Team mit der Familientherapeutin übernommen habe, ist im Gefährdungsbereich eingeordnet. Bei der Hilfekonferenz war das gar nicht so deutlich, und der Hilfeplan, mit den Zielen und Aufträgen, kam erst zwei Wochen später mit der Post. Im Anschreiben hieß es, wir möchten doch bitte unterschreiben und auch die Unterschrift der Kindesmutter einholen und dann ein Exemplar mit allen Unterschriften an das Jugendamt zurückschicken.
Das wird öfter so gemacht. Nur noch wenige Jugendamtskolleg:innen schreiben den Hilfeplan während der Konferenz, sodass alle Beteiligte den Inhalt wirklich kennen und mit einem eigenen Exemplar aus der Besprechung herausgehen können.
Die junge Mutter, um die es geht, lebt mit ihrer 1-jährigen Tochter in einer Notunterkunft, und sie möchte eine Wohnungsbewerbungsmappe zusammenstellen. Wir wollten eigentlich endlich den Kindergeldantrag stellen und die ID Nummer neu anfordern, denn die hat sie nicht mehr. Ein bisschen Mutter-Kind-Interaktionsbeobachtung wollten wir auch machen, aber das steht gar nicht im Hilfeplan.
Die Einordnung zum Gefährdungsbereich ist damit begründet, dass Frau Simpson ihre Behördensachen nicht selbständig erledigen kann, die finanzielle Situation unsicher ist und wegen der vielen Strafanzeigen, die gestellt wurden. Frau Simpson regt sich fürchterlich auf, ihre Wut steigt mit jedem Satz, und sie schimpft auf das Jugendamt, das sie, so schnell es geht, wieder loswerden will. Aufnahmefähig und gesprächsbereit ist sie heute nicht mehr. Die Kleine weint und quengelt, und wir schlagen vor, einen Spaziergang zu machen. Aber „Nein“, dazu hat sie keine Lust. Sie meint: „Die Kleine braucht ihre Ruhe“ und bittet uns klar und deutlich zu gehen. Ziemlich frustriert beenden wir das Gespräch und erinnern daran, dass unser nächstes Treffen in den Räumen des Trägers stattfinden soll. Meine Co ist doppelt frustriert, weil sie dachte, sie würde als Familientherapeutin auch eher therapeutische Themen bearbeiten und nun sollen Behördensachen erledigt werden, eine Schuldnerberatung gefunden und zum JobCenter begleitet werden. Ich dagegen bin sauer, weil ich finde, der Sozialarbeiter vom Jugendamt hätte der Mutter seine Entscheidung genauer erklären müssen. Nachholen kann er das nun nicht mehr, denn er ist für 4 Wochen in Urlaub, und wir brauchen die unterschriebenen Hilfepläne wegen der Kostenübernahme, hören wir immer wieder von unserer Leitung.
Meine Co und ich wollen mehr Klarheit und versuchen herauszuarbeiten, worin denn nun genau die Kindeswohlgefährdung besteht und wie sie abgewendet werden kann. Meine Co sagt, in ihrer Familientherapieausbildung war Kinderschutz kein Thema, und ihr Sozialarbeitsstudium ist lange her, da kann sie sich nur noch an Kindeswohlgefährdung im Zusammenhang mit dem Familiengericht erinnern. Also schauen wir uns die einzelnen Bereiche aus den Kinderschutzbögen an, die Ankerbeispiele und einen Aufsatz zur Kindesentwicklung. Am Ende haben wir einige Risikofaktoren identifiziert, die zu einer Gefährdung führen können, und wir kommen zur Feststellung, dass eine Gefährdung noch nicht eindeutig vorliegt. Aus den beengten Wohnverhältnissen, die auch als Risikofaktor gelten, möchte die junge Mutter so schnell wie möglich heraus. Allerdings sind da einige Behördensachen vorher zu regeln.
Ob sie das annehmen kann, wenn wir erklären, wo und warum wir diese Risiken sehen und dass eine Gefährdung droht, die sie ja selber noch abwenden kann, mit unserer Hilfe? Beispielsweise die vielen Terminkonflikte, die sich immer wieder einhandelt. Manchmal hat sie 3 Termine an einem Vormittag. Das geht so nicht, und der Kinderarzttermin ist genauso wichtig wie der Gerichtshelfer. Ich besorge einen Kalender, einen Schülerkalender, die gibt es ja gerade zu kaufen. Bisher hat sie Kalender abgelehnt, vielleicht nimmt sie diesen jetzt an. Wenn sie zum nächsten Gerichtstermin nicht erscheint, muss sie in Haft, hat der Sozialarbeiter gesagt, und dass er für die Kleine dann eine Pflegefamilie suchen wird. Und ich frage mich, ob es in der JVA für Frauen auch eine Entbindungsstation gibt, denn sie ist ja erneut schwanger.
Ihre Katja Änderlich*
*Pseudonym der Autorin