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Besuchsregelungen bedürfen genauer ethischer Abwägung

06.05.2020 | Altenhilfe | Nachrichten

Bewohner*innen von Alteneinrichtungen sind besonders von der Corona-Krise betroffen. Einerseits gelten sie als besonders gefährdet, andererseits benötigen gerade von Demenz betroffene Menschen oft besondere Wärme und Zuwendung. Mit Blick auf die so dringend benötigten Besuche von Angehörigen gibt es derzeit keine 'gute' Lösung.

„Das allgemeine Besuchsverbot in Einrichtungen der Altenhilfe in NRW könnte in seiner Wirkung zur Isolation von Bewohnern führen und provoziert damit ethische und rechtliche Fragestellungen, die über den intendierten Infektionsschutz hinausgehen“, so Dr. Bodo de Vries, Vorstandsvorsitzender des Deutsche Evangelische Verband für Altenarbeit und Pflege e.V. (DEVAP). „Allein die Tatsache, dass ca. 50 % der neuen Bewohner einer Einrichtung in den ersten 15 Monaten ihres Aufenthalts versterben, macht deutlich, dass das Warten auf einen Impfstoff gegen Covid-19 in diesem Zusammenhang für viele Bewohner zu spät kommen wird und die letzte Lebensphase sich ohne die natürliche Beziehungsgestaltung zu Angehörigen gestalten könnte.“

Seit Wochen beherrscht die Corona-Pandemie die Gesellschaft und das Leben der Menschen in unserem Land. In besonderer Weise sind die Menschen betroffen, die aufgrund von Vorerkrankungen und ihrem Lebensalter zur „Risikogruppe“ gehören. Der Gesetzgeber hat u.a. mit Besuchs- und Betretungsverboten in den Pflegeeinrichtungen reagiert. Aus der gesundheitspolitischen Sichtweise sind diese restriktiven Maßnahmen erforderlich, weil andere Maßnahmen bei fehlender Schutzausrüstung nicht ausreichend greifen.

Gleichzeitig entwickelt sich eine Diskussion um die „Lockerung“ des Besuchsverbots. Der Spannungsbogen reicht hierbei von „Gesundheitsschutz über alles“ bis zur Selbstbestimmung des Einzelnen. In Bezug auf die Selbstbestimmung wird in diesem Zusammenhang insbesondere das Recht auf „WIE Sterben durch und mit dem Corona-Virus“ intensiv diskutiert.  Diese Diskussion ist notwendig, aber geht es thematisch wirklich um die Würde des Einzelnen oder die tatsächlichen Bedürfnisse der betroffenen Menschen? Dass die Einschränkungen der Kontakte zwischen Bewohnerinnen und Bewohnern und ihren nächsten Angehörigen nicht ohne Folgen bleiben, muss jedem bewusst sein und fordert einen umso sensibleren Umgang mit der Thematik.

Die Mitarbeitenden in den Einrichtungen setzen alles daran, um diesen Verlust auszugleichen. Sie entwickeln kreative Ideen, so gibt es beispielsweise Balkongespräche, Postkartenaktionen oder Hof­konzerte bis hin zur Einrichtung von Besuchszelten und Räumen, die unter Beachtung der notwendigen Hygienemaßnahmen einen eingeschränkten Kontakt zulassen. Mit digitaler Technik begleiten Mitarbeitende Videotelefonie und sorgen dafür, dass Kontakte aufrechterhalten werden. Was für einen großartigen Job die Mitarbeitenden in diesen schweren Zeiten machen, spielt bei der Diskussion pro und contra Gesundheitsschutz allerdings eine untergeordnete Rolle.

Naheliegend wäre eine Beteiligung der Bewohnerinnen und Bewohner, die aber aufgrund des hohen Anteils an Menschen mit Demenz nicht oder nur eingeschränkt möglich wäre. Selbst der Blick in eine Patientenverfügung würde wahrscheinlich keine Klärung bieten, weil die Patientenverfügungen in der Regel auf Maßnahmen bei irreversiblen Erkrankungen abzielen und die therapeutischen Interventionen bei einer Virusinfektion nicht eindeutig geregelt sind. Vor diesem Hintergrund fordert der DEVAP mehr Augenmaß auf den eigentlichen ethischen Konflikt zu legen und setzt auf ein Pflegeverständnis, das die Würde des einzelnen Menschen und ein Leben bis zuletzt in den Blick nimmt. 

Dazu gehört auch die Forderung an die Politik, für ausreichende Schutzkleidung, konsequente Testverfahren und eine bessere Personalausstattung zu sorgen, damit die Mitarbeitenden in dieser schwierigen Zeit die Ressourcen haben, um Bewohnerinnen und Bewohner bei der Kommunikation und beim Aufrechterhalten der Kontakte zu nahestehenden Personen zu unterstützen. Zudem braucht es eine ethisch orientierte Diskussion, die auch unterschiedliche Standpunkte aushält, aber die Notwendigkeit von pragmatischen Lösungen, die Lebensqualität, Kommunikation mit nahestehenden Menschen und den Gesundheitsschutz im Blick behält. Und es braucht Gesundheitsämter und Heimaufsichtsbehörden, die gemeinsam mit den Verantwortlichen in den Einrichtungen nach gemeinsamen Lösungen suchen.


Quelle: Pressemitteilung des Deutschen Evangelischen Verbands für Altenarbeit und Pflege e.V. (DEVAP)