Aufgeräumt und falsch gelesen
Das Maiwetter war nicht so verlockend, und ich habe viel Zeit in meiner Wohnung verbracht, habe ein ganzes Wochenende lang aufgeräumt und ausgeräumt, war im Kino anstatt Draußen zu tanzen, und beim Lesen lag ich nicht auf der Wiese im Park sondern im Bett und bin eingeschlafen.
Aufgeräumt habe ich auch mit Arian, und ich habe gekündigt. Er mir auch. Ich bin zu teuer, hat er gesagt, er kann sich keine eigene ISEF (insoweit erfahrene Fachkraft Kinderschutz) leisten, und mein Kinderschutzkonzept sei ihm zu anspruchsvoll. Er brauche Fachkräfte, die sich in sein Unternehmen einordnen und die auch schwierige Fälle übernehmen.
Aha, ich dachte, er möchte Leute, die mitgestalten. Und ich wollte Fachkräfte beraten, zu Kinderschutzfragen. Sozialpädagogische Familienhilfe kann ich auch bei meinem anderen Träger machen. Seit dem Wechsel der Geschäftsführung wird es dort zunehmend angenehmer. Die Diskussionen von Geschäftsführung und Betriebsrat werden transparent und lösungsorientiert geführt. Es geht nicht darum, wer Recht hat oder wer sich durchsetzt, sondern darum, wie man mit verschiedenen Perspektiven an ein gemeinsames Ziel kommen kann. Ein gutes Vorbild für die Arbeit mit streitenden Eltern, finde ich. Irgendwie wirkt ja die Unternehmenskultur in die Arbeit mit den Klient*innen hinein.
Unser Team ist gut arbeitsfähig, und letzte Woche hat sich eine potentielle neue Fachkraft in der Teamsitzung vorgestellt. Ein junger Transmann, Toni, in dessen Zeugnissen noch der alte Name, der weibliche Name, eingetragen ist. Er hat Erfahrung in den stationären Hilfen, möchte wechseln, weil er keinen Schichtdienst mehr machen will, und er hat mit der Weiterbildung zum Systemischen Berater angefangen. Während des Gespräches saß dann einfach nur eine sehr sympathische Person mit am Tisch, und ich hatte vergessen, dass er ein Mann ist. Ich las ihn weiblich. Das war damals bei Luca, den ich bei einer Schreibgruppe kennengelernt hatte, genauso. Er hat es mir zwar nie übel genommen, aber mir tat es unendlich leid.
Ich würde mich freuen, wenn Toni bei uns anfängt. Ich würde mich auch freuen, wenn er in die SPFH mit Familie Baumann einsteigt, das ist die alleinerziehende Mutter mit den Jungs, die nicht zur Schule gehen wollen. Der Fall zeigt sich komplex, und da möchte ich nicht alleine weitermachen, und ich finde auch, dass hier, wie in so vielen Fällen, eine Kombination von therapeutischer mit pädagogischer Hilfe sinnvoll wäre. Leider bin ich mit dieser Idee noch nicht weiter gekommen. Meine Koordinatorin unterstützt zunächst mal die Idee eines Co-Teams, und ein angehender systemischer Berater wäre doch super, finde ich.
Ob sich Toni für uns entscheidet? Ich bin gespannt.
Ihre Katja Änderlich*
*Pseudonym der Autorin