40 Jahre Forschung am Herzen des Sozialstaats

31.03.2016 | Sozialpolitik | Nachrichten

Am 1. März 1976 nahm die Max-Planck-Projektgruppe für internationales und vergleichendes Sozialrecht ihre Arbeit auf

Auf vier Dekaden sozialrechtliche Forschung blickt die Abteilung für ausländisches und internationales Sozialrecht des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik in diesem Jahr zurück. Am 1. März 1976 nahm die Projektgruppe „internationales und vergleichendes Sozialrecht“,  aus der 1980 das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht hervorging, unter der Leitung von Hans F. Zacher in München ihre Arbeit auf. Eine Handvoll Wissenschaftler begann damit, das brachliegende Feld der nationalen und internationalen Sozialrechtsforschung systematisch zu bestellen. „Hans F. Zacher und seine Mitarbeiter haben Herausragendes geleistet. Ihnen gelang die Neugründung der Sozialrechtswissenschaft“, sagt Ulrich Becker, einer der beiden Direktoren des Instituts. Es besteht heute aus der sozialrechtlichen sowie einer zweiten sozialpolitischen Abteilung und zählt 44 Wissenschaftler, die sich aus verschiedenen Perspektiven mit grundlegenden wie aktuellen Fragen des Sozialstaats beschäftigen. Das Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik hat seinen Ursprung in einem paradoxen Phänomen: „Kein anderes Recht bestimmt so unmittelbar die Befindlichkeit des Menschen und der Gesellschaft wie das Sozialrecht“, betonte Hans F. Zacher, der vor einem Jahr verstorbene Gründungsdirektor und ehemalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (1990–1996). Ungeachtet der großen Bedeutung des nationalen Sozialrechts gehörte es aber bis in die 1970er-Jahre hinein zu den Rechtsgebieten, die weitgehend unerforscht waren. Zudem gewann auch das internationale Sozialrecht zunehmend an Relevanz, da die Bundesrepublik durch Verträge, Abkommen und Konventionen international immer mehr sozialrechtliche Bindungen einging, die neue juristische Fragen aufwarfen. In dieser „Nullpunkt-Situation“ regte der damalige Präsident des Bundessozialgerichts, Georg Wannagat, die Gründung eines Max-Planck-Instituts für internationales Sozialrecht an. Die Max-Planck-Gesellschaft beschloss 1974, mit einer Projektgruppe zu beginnen, die am 1. März 1976 ihre Arbeit aufnahm. Bereits 1980 wurde aus dieser Gruppe ein vollwertiges Institut. Pioniere mit Weitblick Als einzige Forschergruppe ihrer Art weltweit leisteten Zacher und seine Mitarbeiter Pionierarbeit. Die Wissenschaftler mussten nicht nur Methode und System der Sozialrechtsforschung von Grund auf entwickeln – sie mussten zunächst auch bestimmen, was unter Sozialrecht überhaupt zu verstehen ist. Eine Annäherung erfolgte durch eine Reihe wegweisender wissenschaftlicher Publikationen zum Sozialstaatsprinzip, zur Entstehung der Sozialversicherung und zum Sozialgesetzbuch, dessen Erster Teil vor ebenfalls 40 Jahren in Kraft trat. Von zwei Seiten tasteten sich die Forscher an ihre komplexe Materie heran: über thematische Schwerpunkte wie „rechtliche Grundprinzipien“ und „Institutionen des sozialen Schutzes“ einerseits und die Erforschung des Sozialrechts verschiedener Länder andererseits. Zu berücksichtigen hatten die Wissenschaftler auch, dass das Sozialrecht in besonderem Maße die Lebensverhältnisse der Menschen berührt und zugleich abhängig von bestimmten historischen Konstellationen und politischen Entscheidungen ist. Insofern die Projektgruppe dieses Recht als Ganzes in den Blick nahm, musste sie von Anfang an den Austausch mit Wissenschaftlern suchen, die den Sozialstaat aus anderen Perspektiven erforschten. So kam es zu engen Kooperationen mit Soziologen, Politikwissenschaftlern, Ökonomen und Historikern. Bereichernd für die international ausgerichtete Forschungsarbeit waren zudem Besuche von Gastwissenschaftlern aus der ganzen Welt, darunter nicht wenige aus Osteuropa, was in den 1980er-Jahren noch Seltenheitswert hatte. Erforschung des Sozialrechts heute wichtiger denn je Als Zacher 1990 Präsident der Max-Planck-Gesellschaft wurde, übernahm bald darauf Bernd Baron von Maydell die Leitung des Instituts. Seine Amtszeit war gekennzeichnet durch die Beschäftigung mit der Transformation sozialer Sicherungssysteme in den ehemals sozialistischen Staaten und den Ausbau der Zusammenarbeit mit Forschern aus Japan, deren Gesellschaft vor ähnlichen Herausforderungen steht wie die deutsche. Im Jahr 2002 folgte Ulrich Becker von Maydell als Direktor nach. Er richtete die inhaltliche Arbeit des Instituts an Veränderungsprozessen aus und bezog die immer stärker sichtbar werdenden Verschränkungen zwischen verschiedenen Sozialleistungssystemen ein. Der ständige Wandel des Sozialrechts und die Veränderung sozialer Probleme stellen die Forscher immer wieder vor neue Herausforderungen. Angesichts der Anfälligkeit des Sozialrechts für aktuelle Entwicklungen stellt Becker fest: „Die sozialrechtliche Forschung hat national wie international nichts von Ihrer Bedeutung und Dringlichkeit verloren. Der demographische Wandel und die Flüchtlingsströme führen uns dies exemplarisch vor Augen. Es ist daher wichtiger denn je, das Sozialrecht in seiner Breite und Vielfalt zu erforschen und den Sozialstaat insgesamt zum Forschungsgegenstand zu machen.“ Im Jahr 2011 erhielt das Institut mit Axel Börsch-Supan einen zweiten Direktor sowie eine sozialpolitische Abteilung mit ökonomischer Ausrichtung. Aus diesem Anlass wurde es in Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik umbenannt. Eine thematische Ausweitung erfuhr die wissenschaftliche Arbeit auch mit der Einrichtung der temporären Forschergruppe „Inklusion bei Behinderung“ unter Leitung der Max-Planck-Fellow Elisabeth Wacker. Das Institut beherbergt heute die weltweit größte Sammlung sozialrechtlicher und sozialpolitischer Literatur sowie eine Couch, auf der angeblich schon Jürgen Habermas gesessen hat. Weitere Informationen erhalten Sie unter www.mpisoc.mpg.de

Quelle: Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik vom 24.02.2016