Genogramm: Skizze
Bild: Sozial.de

Das Genogramm

Anleitung und Definition

von Ursula Pabsch
20.04.2023 | Dossier

Familiäre Systeme können sehr komplex sein, insbesondere wenn man mehrere Generationen betrachtet. Die Familientherapeut:innen der ersten Generation begannen in den 1950er-Jahren Genogramme zu verwenden. Der Blickwinkel erweiterte sich auf die Beziehungen von Klient:innen innerhalb der Familie. Das Genogramm wurde zu einer Standardmethode in der Systemischen Familientherapie.

Definition: Was ist ein Genogramm?

Das Genogramm ist eine grafische Darstellung der familiären Beziehungen mit Symbolen über mindestens zwei Generationen hinweg. Dabei geht es um die verwandtschaftlichen Beziehungen sowie psychische und soziale Informationen über die Familie. Schwerpunkt ist die Erkundung der emotionalen Beziehungen und der tradierten Werte.

Wie erstellt man ein Genogramm?

Die familiären Daten zeichnet man mit einfachen Symbolen während des Gespräches auf ein Blatt Papier auf. Es werden die verwandtschaftlichen Beziehungen wie Ehepartner:innen, Kinder, Eltern etc. erfragt. Folgende Symbole werden dazu benutzt:

Namen und Daten werden unter die Symbole geschrieben. Adoptivkinder werden mit einem „A“ markiert, Pflegekinder mit einem „P“. Verstorbene werden mit einem Kreuz versehen.

Als Beziehungszeichen können folgende Symbole eingefügt werden:

 

Man sollte die Klient:innen in die Mitte des Blattes zeichnen und genügend Platz rechts und links lassen. Ein Familiensystem kann auf dem Papier sehr schnell wachsen. Für die Dokumentation bieten sich die Vorlagen von Word an. Es gibt aber auch Online-Vorlagen, die teilweise kostenlos sind.

Wofür ist ein Genogramm gut?

Die Genogrammarbeit bietet die Möglichkeit, unkompliziert Vertrauen aufzubauen. Die Erhebung der familiären Daten über mindestens zwei Generationen hinweg wird mit der Haltung der beratenden Person als nicht wissende:r Gesprächspartner:in zu einem erforschenden Dialog. Man bekommt einen Einblick in die Familienstruktur, ihren Beziehungen, ihren Denk- und Verhaltensmustern und kann so Hypothesen für die weitere Beratung entwickeln. Der Klient oder die Klientin erlebt offenes Interesse an seiner Lebenswirklichkeit und bleibt Expert:in der eigenen Familie.

Ein gemeinsamer Blick auf das Genogramm gibt Orientierung, falls man mal den Faden verloren hat oder auch was ergänzen möchte. Manchmal ergeben sich neue Erkenntnisse aus Sicht der Klient:innen, wenn alle Familienmitglieder vor sich aufgezeichnet betrachtet werden können. Bei interdisziplinärer Zusammenarbeit oder bei Fallsupervisionen hat jede Person die Möglichkeit, sich über die Strukturen der Familie zu informieren.

Die Genogrammarbeit ist eine Standardmethode in der Sozialen Arbeit und wird bei der sozialen Diagnostik und zur Dokumentation verwendet. Weitere Anwendungsfelder finden sich im Bereich des Coachings, beispielsweise auch als Ergänzung beim NLP. In der Altenpflege wird es im Rahmen der Biografiearbeit verwendet.

Das Genogramm – Eine Anleitung mit Beispielen

Bitten Sie Ihre(n) Klient:in mehr über sich und seiner Familie zu erzählen. Bei der Erstellung des Genogramms wird für jedes Familienmitglied ein Symbol verwendet.

Ein Genogramm anhand des Beispiels (Bild: Ursula Pabsch)

Dieses einfache Beispiel zeigt die Grundstruktur einer Familienkarte mit der Darstellung von zwei Generationen. Sabine und Martin sind verheiratet, sie haben zwei Kinder, Max und Julia. Martin ist der Klient. Je nach Beratungskontext, Auftrag und persönlichen Vorlieben können noch Beziehungszeichen oder/und Wohnverhältnisse eingezeichnet werden. Wichtige außerfamiliäre Personen oder Systeme können mit Dreiecken ergänzt werden. Zu viele Informationen können auch entgegengesetzt zur Übersichtlichkeit sein. Die professionelle Herausforderung liegt in der zielgerichteten Erhebung und Verwendung der sozialen Informationen.

Nehmen wir ein komplexeres Beispiel aus einem klinischen Kontext. Der Patient, rot markiert, liegt auf der Intensivstation und ist nicht ansprechbar. Er ist beatmet, weitere medizinische Maßnahmen müssen geplant und entschieden werden.

Es kommen zu Besuch: seine Lebensgefährtin (linker Kreis) und seine getrenntlebende Ehefrau sowie seine erwachsenen Kinder aus der Ehe. Das Kind mit seiner jetzigen Partnerin ist noch minderjährig. Er lebt seit ca. 8 Jahren getrennt, hat aber noch engen Kontakt mit seiner Frau, vorwiegend wegen der gemeinsamen Kinder. Die beiden Frauen sind sich uneinig über den mutmaßlichen Willen des Patienten. Hätte er lebensverlängernde Maßnahmen, wie eine dauerhafte Beatmung gewollt? Die Ärzt:innen sind etwas ratlos und drängen auf eine richterliche Entscheidung. Durch den klinischen Sozialdienstes erfolgt eine Beratung hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen und dem Prozedere der Einleitung einer Betreuung. Ob es sinnvoll ist, beide Frauen gemeinsam als Betreuerin vorzuschlagen oder ob ein:e Berufsbetreuer:in seine Rechte besser vertreten kann, lässt sich nicht so einfach beantworten.

 Komplexeres Genogramm (Bild: Ursula Pabsch)

Je nach Alter der Kinder oder Dauer der Trennung von der Ehefrau, je nach Bindung und auch finanziellen Abhängigkeiten sind Interessenkonflikte bei der Übernahme der Betreuung nicht auszuschließen. Die komplexe Familiensituation wird mit einem Genogramm strukturiert dargestellt, womit man bei weiteren Schritten leichter die Übersicht behält. Das Beispiel könnte auch aus der Arbeit im Jugendamt stammen oder einer Erziehungsberatungsstelle.